Das geht gar nicht: Karstadt flüchtet aus der Tarifbindung

Was für Kundinnen und Kunden auf den ersten Blick vielleicht ein Segen sein kann, entpuppt sich für die Beschäftigten des Handels als Fluch: die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Für die Beschäftigten im Großhandel und in der Einzelhandelslogistik sind dadurch Rund-um-die-Uhr-Schichten zum Arbeitsalltag geworden. Im Verkauf hat die Ausweitung der Öffnungszeiten eine unvorstellbare Flexibilisierung vorangetrieben. So gibt es heute kaum noch Vollzeitbeschäftigte, sondern immer mehr Kolleginnen und Kollegen arbeiten mit Stundenvolumen, die nicht ausreichen, um damit finanziell über den Monat zu kommen. Die ver.di-Befragung zur Guten Arbeit im Hamburger Handel zeigt, dass neben der Bezahlung die Arbeitsverdichtung die Beschäftigten belastet. So führt die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten dazu, dass die Besetzung auf der Fläche abgenommen hat. Das hat die Arbeit weiter verdichtet und lässt damit die Gesundheitsbelastung weiter ansteigen.

Wer vor diesem Hintergrund erwartet hatte, die von den Arbeitgebern in der laufenden Tarifrunde angekündigte Modernisierung würde diese Entwicklung beheben wollen, sieht sich getäuscht. Die in der ersten Verhandlungsrunde am 21. Mai vom Fachverband des Hamburger Einzelhandels e.V. (FHE) vorgestellten Forderungen würden für die Beschäftigten Einkommensverluste von 320 bis über 1000 Euro im Monat bedeuten. Denn der FHE versteht unter "modern" die Tarifierung der aus der Tarifverantwortung geflüchteten Dumpinglohn-Unternehmen. Dass das auf den erbitterten Widerstand der Beschäftigten treffen wird, ist klar. Sollte sich der Arbeitgeberverband seiner Verantwortung für einen modernen Flächentarifvertrag noch stellen, findet er in ver.di einen dazu bereiten Verhandlungspartner. Ignorieren die Hamburger Arbeitgeber diesen Weg aber weiterhin, stehen (arbeitskampf-)heiße Monate bevor - bei Karstadt und in vielen anderen Einzelhandelsunternehmen.

Mit welchen vollmundigen Versprechungen war Nicolas Berggruen angetreten, als er vor 22 Monaten Karstadt gekauft hatte: Alle Arbeitsplätze seien jetzt sicher, und auch die Zeiten, in denen auf Kosten der Belegschaft gespart wurde, seien nun vorbei. Die Bilanz seines wirklichen Handelns zeigt anderes: Schließungen ganzer Abteilungen, Entlassungen von Beschäftigten. Und jetzt der traurige Höhepunkt: Karstadt flüchtet aus der Tarifbindung. Dabei waren es in den letzten Jahren die Tarifverträge, die eine Schließung des Unternehmens verhindert haben. Deswegen ist eines klar: ver.di und die Beschäftigten kämpfen mit aller Macht für die schnelle Rückkehr von Karstadt in die Tarifbindung.

Der Großhandel rockt Hamburg schon

Und das haben auch die Arbeitgeber des Großhandels in Hamburg noch nicht erlebt: Elf Betriebe zeitgleich im Warnstreik, darunter alle in Hamburg ansässigen Pharmagroßhändler. In weiteren Betrieben gab es Urabstimmungen und andere Arbeitskampfaktionen. Die ver.di-Mitglieder haben am 23. Mai ihre Erwartungen an diese Tarifrunde deutlich gemacht, denn gute Arbeit hat ihren Preis. Dabei haben insbesondere die Fahrer des Lebensmittelgroßhändlers Citti gezeigt, mit welchem Engagement und Mut sie für ihre Forderungen aktiv werden. Dort beteiligten sich 25 Fahrer an einem ganztägigen Streik. Und auch die extra aus Kiel angereiste Geschäftsführung konnte die Kollegen von ihrer Überzeugung nicht abbringen. Sie, die Beschäftigten im Groß-, Außen- und Einzelhandel, geben solange keine Ruhe, bis sie einen guten Abschluss haben.