Ausgabe 04/2014
Spardiktate mit fatalen Folgen
Ricard Bellera i Kirchhoff
"Für ein soziales und gerechtes Europa" trat Ricard Bellera i Kirchhoff von der katalanischen Gewerkschaft CCOO aus Barcelona auf einer ver.di-Veranstaltung in Hannover ein. Auch in Bremen und Oldenburg forderte der engagierte Gewerkschafter "eine breite gesellschaftliche Debatte über die Neuausrichtung der Europapolitik". Der Sekretär für Migration und Entwicklung berichtete ver.di publik, wie die Menschen in Spanien unter dem harschen Spardiktat leiden und wie eine junge Generation chancenlos einer ungewissen Zukunft entgegensieht.
Stichwort Verschuldung: "Die Sparmaßnahmen haben für drastische Einschnitte und eine Verarmung breiter Schichten der spanischen Bevölkerung gesorgt. Die Staatsschulden sind von 38 Prozent im Jahr 2007 auf heute fast 100 Prozent gestiegen. Das entspricht einer Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 12.000 Euro."
Stichwort Armut: "700.000 Haushalte stehen ohne Einnahmen da. Die Kürzung der Sozialleistungen geht auf Kosten von Kranken, Senioren, Kindern und Jugendlichen sowie Immigranten. Die tatsächliche Armutsrate ist in Spanien auf 23,4 Prozent gestiegen. Das sind elf Millionen Menschen, die ihre Grundbedürfnisse wie Wohnung oder Ernährung nicht mehr allein decken können. Und die Mehrwertsteuer kletterte von 16 auf 18 Prozent."
Stichwort Arbeitslosigkeit: "Die Anzahl der Arbeitslosen wächst, während die Anzahl der Beschäftigten schwindet. Neue Beschäftigung ist befristet und prekär. Die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt stark zu: Rund 3,5 Millionen Arbeitnehmer haben schon länger als ein Jahr keine Arbeit mehr. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei bis zu 55 Prozent. Gut ausgebildete junge Menschen wie Ingenieure oder Krankenschwestern verlassen folglich das Land."
Stichwort Beschäftigung: "Die erste Arbeitsmarktreform hat zu einer Entlassungswelle aus wirtschaftlichen Gründen sowie zur Einbindung privater Anbieter in die öffentliche Beschäftigungspolitik geführt - mit fatalen Folgen. So kamen Zeitarbeitsfirmen auch im öffentlichen Dienst zum Zuge. Die Gehälter der öffentlich Beschäftigten wurden um fünf Prozent gekürzt, die Renten eingefroren, das Renteneintrittsalter auf 67 erhöht. Es folgten Kürzungen des gesetzlichen Mindestlohns und der Arbeitslosenhilfe, Abbau des Kündigungsschutzes und Aushöhlung von Tarifverträgen und Tarifbindung."
Stichwort Europapolitik: "Wir brauchen Investitionen und müssen mehr solidarisch und genossenschaftlich regeln - durch soziale Wirtschafts- und Migrationsprojekte. Die Gewerkschaften sollten auf internationaler und EU-Ebene stärker kooperieren, die Tarifautonomie stärken, die Lohnspirale nach unten stoppen. Wir müssen als Gewerkschaften eine neue übergreifende Rolle in Europa finden - für ein soziales, gerechtes und demokratisches Europa mit Sozialstaatlichkeit und Mitbestimmung, in dem die Menschen in Würde leben und arbeiten können."
Bellera i Kirchhoff erinnert auch an die Charta der Europäischen Grundrechte mit dem Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung sowie auf ärztliche Behandlung, dem Recht auf Tarifverhandlungen, gerechte Arbeitsbedingungen und Sozialhilfe und dem Schutz vor unbegründeter Kündigung.