Ausgabe 06/2014
Ein Professor muss 64 Studierende betreuen
ver.di publik: Zieht die Politik bei der Hochschulpolitik an den richtigen Fäden?
UWE SCHIMANK: Die Politik hat viel Aktivismus an den Tag gelegt in den vergangenen Jahren, vieles davon war auch nicht falsch. Das Ganze hat aber nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt, weil das alles kostenneutral sein sollte. So muss ein Professor heute 64 Studierende betreuen, vor fünf Jahren waren es 58 und Anfang der 1970er Jahre 39 Studierende - und schon damals war es eng. Deshalb ist klar: Es muss mehr Geld in das System fließen.
ver.di publik: Aber es gibt doch jetzt sechs Milliarden Euro mehr.
SCHIMANK: Ein Großteil des Geldes wird absehbar für Kitas und Schulen ausgegeben werden. Der Druck von Eltern, hier etwas zu verbessern, wird von Landesregierungen wesentlich stärker wahrgenommen als der aus den Hochschulen. Selbst wenn die sechs Milliarden den Hochschulen zufließen würden, könnten damit nur die Verlängerung der Sonderprogramme wie die Exzellenzinitiative, also die Förderung von Wissenschaft und Forschung, und der Hochschulpakt bezahlt werden, aber nichts Grundsätzliches verbessert.
ver.di publik: Ist allein die Politik verantwortlich dafür, dass vieles an den Hochschulen im Argen liegt?
SCHIMANK: Eine erhebliche Verantwortung kommt den Professoren zu. Sie haben Jahrzehnte alle Reformen verweigert und sich auf keinerlei Auseinandersetzung eingelassen, was neue Arten von Studiengängen oder Forschung angeht. Überspitzt gesagt haben viele Professoren allein Interesse daran, zu forschen und Lehrangebote zu machen, die sich an ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs ausrichten.
ver.di publik: Wie sähe eine zukunftsfähige Hochschullandschaft aus?
SCHIMANK: Immer mehr Leute wollen studieren, die Motivationen sind vielfältig: Der kleinere Teil will in die Wissenschaft, der größere braucht eine akademische Ausbildung für den Beruf. Es muss differenzierte Angebote und unterschiedliche Formen der Betreuung geben. Der Bologna-Prozess will das zwar eigentlich fördern, hat aber zugleich eine Überregulierung gebracht und macht wünschenswerte Experimente und zielgruppenspezifische Angebote schwierig. Falsch wäre dagegen eine Entwicklung, bei der es einerseits Forschungshochschulen und andererseits Lehrhochschulen gibt. In Deutschland hat traditionell jede Hochschule einige forschungsstarke Fachbereiche und andere, die sich überwiegend in der Lehre engagieren. Das hat sich bewährt.