Bahnen und Busse fahren jetzt seltener in Gera

Das ostthüringische Gera steht vor einer nicht alltäglichen Situation: Es gibt keinen genehmigten Haushalt und die Stadtwerke und der Verkehrsbetrieb (GVB) als deren Tochtergesellschaft haben Insolvenz anmelden müssen. Am 1. Oktober wurde die Insolvenz eröffnet. Das ist bislang beispiellos in der Bundesrepublik. Jetzt liegt es in der Hand des Insolvenzverwalters, wie es um die öffentliche Daseinsvorsorge, das kommunale Eigentum und die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen in Gera bestellt ist. Alle Proteste und Aktionen der Beschäftigten, ihrer Interessenvertretungen und von ver.di haben diese Situation nicht verhindern können.

Rainer Schmidt und Mario Birkenfeld sind Mitglieder im Betriebsrat der Stadtwerke. Seit Jahren beobachten sie mit Skepsis die Entwicklung in ihrer Stadt und in ihrem Unternehmen. "In Gera ist vieles schiefgelaufen und irgendwie wurde die Stadt abgehängt", sagt Rainer Schmidt. "Es gab nach der Abwicklung der alten Betriebe hier in den 1990er Jahren eine unzureichende Wirtschaftsförderung, keine nennenswerte Neuansiedlung von Unternehmen."

Ein "Weiter so" kann es nicht geben

Die Entscheidungen für die gegenwärtige Entwicklung wurden in der Stadt, von den Stadtwerken und der thüringischen Landesregierung gefällt. Im Rückblick waren es viele falsche Entscheidungen, ist sich der Betriebsratsvorsitzende Schmidt sicher. Dabei gehe es ihm nicht um das Zusammenlegen von kommunalen Unternehmen in den Stadtwerken, das sei in Ordnung gewesen. Aber heute funktioniere der Querverbund in Gera nicht mehr. Die Energiesparte erwirtschafte nun weniger Überschuss, als die Verkehrsbetriebe und die zur Stadt gehörende Flugplatzgesellschaft verbrauchen. Dafür seien der höhere Gaspreis und der Vorrang von erneuerbaren Energien mitverantwortlich.

Entscheidend waren jedoch die vertraglichen Regelungen. Beispielsweise hat die Stadt 2002 mit dem Mitgesellschafter der Energieversorgung, dem französischen Konzern GDF Suez, einen Ergebnisabführungsvertrag geschlossen. Die Gewinnabführung ist festgeschrieben, aber bei Verlusten steht die Stadt allein in der Pflicht. Das kann nicht funktionieren, nicht in einer mittlerweile so strukturschwachen Stadt wie Gera, sagt Schmidt. Die Betriebsräte sehen die Verantwortung bei der Stadtverwaltung, den Stadträten und der mangelnden Finanzierung der Kommunen durch das Land Thüringen. Das Bemerkenswerte ist, sagt Rainer Schmidt, dass es jetzt GDF Suez ist, der die Energieversorgung und die Unternehmenskultur aufrecht hält.

Die jetzige Insolvenz betrifft die Holding der Stadtwerke mit 23 Arbeitsplätzen. In den Tochtergesellschaften sieht es unterschiedlich aus. Der Verkehrsbetrieb wurde Ende der 1990er Jahre mit 18 Millionen D-Mark Schulden übernommen. Der Verlustausgleich durch die Stadtwerke habe nie ausgereicht, und die Stadt sei ihrer Verpflichtung, die bestellten Leistungen zu bezahlen, nicht nachgekommen, kritisiert der Betriebsratsvorsitzende. Der Verkehrsbetrieb hat mit seinen Neubau- und Sanierungsmaßnahmen auch in die Infrastruktur der Stadt investiert.

Zu den ersten Entscheidungen nach der Insolvenz gehört die Takterverlängerung bei der Straßenbahn auf zehn Minuten mit zusätzlichen Verstärkerbahnen und das Verringern der Fahrleistungen um jährlich 600.000 Kilometer, vor allem auf den Buslinien ins Umland von Gera.

Mittlerweile steht fest, dass 31 Arbeitsplätze wegfallen. 28 der betroffenen Kolleg/innen gehen in eine Transfergesellschaft. "Im Nachhinein ist alles schwer zu verstehen", sagt GBV-Betriebsrat Thomas Heinzl. Der GVB sei ein gesunder Betrieb gewesen, mit einer Kostendeckung von 82,5 Prozent habe er bundesweit zu den effektivsten Verkehrsbetrieben gehört.

Verhängnisvolles Signal

Die Insolvenzen der Stadtwerke und der Verkehrsbetriebe in Gera sind die ersten Insolvenzen kommunaler Unternehmen in Deutschland. "Die verantwortlichen Politiker in der Stadt und in der Landesregierung haben sie nicht verhindert, sondern stattdessen die Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge auf den Insolvenzverwalter verschoben", kritisiert ver.di-Landesbezirksleiter Thomas Voß. Der Insolvenzverwalter versucht jetzt, mit Personalabbau und Leistungsreduzierungen die Kosten herunterzufahren. "Ausbaden müssen das die Beschäftigten und die Bürgerinnen und Bürger", so Voß.

Ein Zuschussbedarf werde aber auf jeden Fall bleiben, denn kein Verkehrsbetrieb bundesweit mache Gewinn. Die Stadt werde weiter zahlen müssen. Fraglich sei, ob am Ende diese kommunale Kernaufgabe noch durch ein kommunales Unternehmen wahrgenommen werde. Von der Insolvenz der Geraer Stadtwerke gehe ein verhängnisvolles Signal aus, das weit über die Stadtgrenzen hinausreiche.