Ausgabe 07/2014
ver.di schreibt Tarifgeschichte
ver.di-Landesleiter Detlef Ahting und DDN-Vorsitzender Hans-Peter Hoppe bei der Vertragsunterzeichnung. Dahinter (v. li.) Cord von Frieling (DDN), Annette Klausing, Rüdiger Becker (DDN) und Joachim Lüddecke
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen und viel Druck aus den Belegschaften konnte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem Diakonischen Dienstgeberverband Niedersachsen (DDN) einen flächendeckenden Tarifvertrag abschließen. Mit dieser bundesweiten Premiere setzten beide Partner ein Signal, um den besonders zwischen Ems und Elbe herrschenden ruinösen und sozialschädlichen Wettbewerb in der Pflege zu beenden. Die Einigung in Niedersachsen hat darüberhinaus eine bundesweite Signalwirkung.
"Diesen Vertrag darf man historisch nennen", sagt deshalb auch ver.di-Landesleiter Detlef Ahting. ver.di hat mit dem Vertrag ein Stück Tarifgeschichte geschrieben. Der scheidende DDN-Vorstandschef Hans-Peter Hoppe spricht sogar von einem "Systemwechsel". Denn wo es zuvor in den diakonischen Einrichtungen nur Arbeitsvertragsrichtlinien gab, gelten nun die mit ver.di ausgehandelten Regelungen für alle wesentlichen Tarifstrukturen - Arbeitszeit, Urlaub, Entgelt, Zulagen und Sozialleistungen. Davon profitieren rund 37.000 Diakonie-Beschäftigte in Krankenhäusern und Sozialstationen, in der Alten-, Behinderten-, Jugend- und Wohnungslosenhilfe.
Bisher galt im kirchlichen Einflussbereich statt Mitbestimmung der sogenannte "Dritte Weg". Das heißt, paritätisch besetzte Kommissionen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verhandeln ohne Gewerkschaften und ohne Streikrecht die Arbeitsbedingungen. In dem nun geschlossenen Tarifvertrag haben sich ver.di und DDN als gleichberechtigte Partner für den Konfliktfall auf eine Schlichtungsvereinbarung verständigt. Das Erfurter Bundesarbeitsgericht hatte 2012 zwar festgestellt, dass Gewerkschaften bei Diakonie und Kirche mehr Mitsprache bekommen müssen und auch ein Streikrecht nicht in jedem Fall zu verwehren sei. Das Gericht bestätigte aber auch das Recht der Kirche auf Selbstbestimmung.
Im Frühjahr hatten ver.di und Diakonie mit der "Vereinbarung einer sozialen Partnerschaft zur Regelung der Arbeitsverhältnisse" die Grundlage für den neuen Tarifvertrag geschaffen. Im nächsten Schritt sollen auch die Wohlfahrtsverbände mit ins Boot geholt werden, um so "dem Lohndumping im sozialen Bereich einen Riegel vorzuschieben", sagt ver.di-Fachbereichsleiter Joachim Lüddecke. "Unser Ziel ist es nun, einen Tarifvertrag für die 120.000 Mitarbeiter in der Altenpflege in Niedersachsen zu verhandeln", ergänzt ver.di-Fachsekretärin Annette Klausing.
Vorbild für die Sozialbranche
Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt, SPD, begrüßt den Tarifabschluss ebenfalls und fordert für die sozialen Berufe eine gerechte Bezahlung auch im Kampf gegen den fortschreitenden Fachkräftemangel in den Pflegeberufen. Rundt: "Mit dem Tarifabschluss der Diakonie sind wir einem Tarifvertrag Soziales, der künftig ein flächendeckend gerechtes Lohnniveau in den sozialen Berufen sicherstellen könnte, wieder einen Schritt näher gekommen." Gegenwärtig liegt die Gehaltsspanne für Pflegefachkräfte zwischen 28.000 und 44.000 Euro jährlich. ver.di will nun mit dem DDN zügig über höheres Entgelt verhandeln und sich dabei eng an den Forderungskatalog im öffentlichen Dienst (TVöD) anlehnen. Dieser Tarifvertrag habe eine "Leitfunktion für die Sozialbranche mit insgesamt 400.000 Beschäftigten in Niedersachsen", sagt Annette Klausing.