Alles digital

Unsere Arbeitsplätze verändern sich ständig. Kaum jemand arbeitet heute noch so in seinem Beruf wie jemand vor 25 Jahren. Manche Berufe verschwinden auch einfach, weil die Technik sie schon ganz übernommen hat. Die Digitalisierung ist der jüngste Umbruch in der Arbeitswelt - fünf Arbeitsplätze und fünf Veränderungen

"Im Hafen zu arbeiten, ist mein absoluter Traumjob"

Thorsten Klauke, 43, Hafenfacharbeiter im Containerterminal Altenwerder, Hafen Hamburg

Seit 2005 ist der Hamburger Hafen die berufliche Heimat von Thorsten Klauke. Trotz eines Drei-Schicht-Systems und des 24-stündigen Betriebs an 360 Tagen im Jahr, fühlt sich der 43-jährige Hafenfacharbeiter im Containerterminal Altenwerder pudelwohl. "Im Hafen zu arbeiten, ist mein absoluter Traumjob", sagt er. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Tätigkeiten als Fleischer und im Großhandel empfindet er die Aufgaben im Hafenbetrieb als sehr abwechslungsreich. Im Hafen ist er als Containerbrückenfahrer, als Brückenaufsicht, Einweiser oder als Checker unterwegs. Die größten Veränderungen in seinem Beruf sieht er, wenn er als Checker für die Fuhre arbeitet. Besonders der Ablauf des Wareneingangs hat sich hier in den letzten zwei bis drei Jahren sehr verändert. Die per Lkw angelieferten Container werden im Hamburger Hafen heute zu über 90 Prozent in sogenannten OCR Gates kontrolliert (Optical Character Recognition). Das heißt, dass die ankommenden Lkws durch mit Kameras und Scannern ausgestattete Module fahren und die so erfassten Daten auf einem Kontrollbildschirm vom Checker, wie es der Name sagt, gecheckt werden.

Mensch und Maschine

Früher wurden die Daten zu Ladung, Siegeln und Zustand der Container über Handfunkterminals erfasst, mit denen die Checker um die einzelnen Lkws herumliefen. Auch heute werden einzelne Größen wie etwa das Lkw-Kennzeichen noch per Hand eingegeben. Doch viele Wege bleiben den Beschäftigten durch die Einführung der OCR Gates erspart. "Wir müssen jetzt nicht mehr so oft die Treppe zur Rampe hoch, um den Zustand des Containers auch von oben beurteilen zu können. Das nehmen uns die Kameras ab, und das spart auch Zeit", sagt Thorsten Klauke. Der Durchfluss an Lkws sei jetzt höher, seit Mensch und Maschine so eng zusammenarbeiten. "Aber Gott sei Dank haben wir einen Technologie und Rationalisierungsschutztarifvertrag, sodass diese Entwicklung eben nicht zu Lasten der Mitarbeiter geht. Das finde ich top."

Ein weiterer automatisierter Arbeitsschritt im Hamburger Containerhafen sind die fahrerlosen Transportfahrzeuge, die mit Hilfe von im Boden eingelassenen Transpondern gesteuert werden. Diese sogenannten AGVs (Automated Guided Vehicle) transportieren die Container zu ihren unterschiedlichen Bestimmungsorten im Hafen. "Bei uns in Hamburg waren die AGVs von Anfang an Bestandteil der Abläufe, sodass auch hier zum Glück keine Arbeitsplätze abgebaut wurden", sagt Thorsten Klauke. Und im Gegensatz zu den vielen hochtechnisierten Abläufen gebe es im Containerhafen übrigens noch einen Bereich, der sich voll auf analog verlässt. So protokolliert der Deckseinweiser auf den Schiffen den Eingang der Ladung heute noch mit Zettel und Stift.


"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Roboter meine Tätigkeit macht"

Brigitte Poth, 59, Intensivschwester, Alfried Krupp Krankenhaus, Essen

Brigitte Poth und die Intensivstation des Krupp-Krankenhauses in Essen gehören einfach zusammen. Und zwar schon seit 31 Jahren. Deswegen weiß die gelernte Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivpflege auch ganz genau, wovon sie spricht, wenn sie über die Veränderungen in ihrem Berufsalltag berichtet. Für die 59-Jährige persönlich war der Wechsel vom Dauernachtdienst in das reguläre Wechselschichtsystem ein Meilenstein. Seit 2006 aber hat sich die Arbeit auf der Intensivstation im Krupp-Krankenhaus grundlegend verändert. Im Zuge der Modernisierung der Station wurden die einzelnen Fachabteilungen zu einer interdisziplinären Intensivstation zusammengelegt, auf der "jetzt jeder alles können muss", wie Brigitte Poth sagt. Doch noch viel tiefgreifender war die Einführung der digitalen Patientenakte, mit der sie und ihre Kolleg/innen seit nunmehr fast zehn Jahren täglich arbeiten.

Vor jedem der 15 Krankenzimmer auf der Intensivstation gibt es seitdem einen dezentralen Arbeitsplatz mit medizinischem Material und einem Computer. An diesen Computern dokumentiert Brigitte jeden Vorgang, den sie abschließt. Meist geschieht das im Stehen, denn viel Zeit bleibt zwischen den einzelnen Arbeitsschritten nicht. Im Gegensatz zu früher sei die Arbeit heute anders strukturiert, lange Dokumentationszeiten an einem Stück gebe es kaum noch. Und doch spart die elektronische Eingabe der Krankendaten im täglichen Arbeitsablauf Zeit, vor allem weil viele Dinge schon standardisiert und somit nur noch einen Klick entfernt sind. "Früher haben wir zum Beispiel die Intensivkurven über die Vitaldaten noch auf Papier gezeichnet, von Hand und mit Lineal. Das hat schon gedauert", sagt Brigitte Poth. Mit Hilfe der digitalen Patientenakte sind heute auch viele Informationen leichter für das gesamte Pflegeteam zugänglich. "Das ermöglicht einfach einen guten Ablauf am Patienten," sagt sie.

Erschwerte Feinabstimmung

Doch die Digitalisierung hat nicht nur Vorteile. Die persönliche Kommunikation zwischen Schwester und Arzt gehe zurück, seit Aufträge vom Arzt an das Pflegepersonal nur noch am PC in die digitale Patientenakte eingegeben werden. Das erschwere die Feinabstimmung untereinander. Der Zugriff auf die jeweilige Patientenakte ist auf der Intensivstation mit einem Passwort geschützt, sodass nicht jeder Gast am dezentralen Arbeitsplatz Einblick in die sensiblen Daten hat. Doch gespeichert würden die Patientendaten nicht im Krupp-Krankenhaus Essen, sondern extern, wie Brigitte Poth anmerkt. Fragt man sie nach der Zukunft, geht die Intensivschwester davon aus, dass in einigen Jahren alle Stationen ihres Krankenhauses mit der digitalen Patientenakte arbeiten werden und die Verlegung von Patienten innerhalb des Hauses dann ohne Papierkrieg erfolgen kann. Von Pflegerobotern wie in Japan hält Brigitte Poth gar nichts: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Roboter meine Tätigkeit macht. Wo bleiben wir denn dann als Menschen?"


"Dann wird es ans Eingemachte gehen"

Ralph Wimmer, 53, Versicherungskaufmann bei den Basler Versicherungen, Hamburg

Ralph Wimmer lebt für die Lebensversicherung. Seit 29 Jahren ist er schon dabei. Und vieles hat sich seitdem verändert. Nicht nur der Name des Betriebes, bei dem der 53-Jährige tätig ist, sondern auch die eigentliche Arbeit. Die Basler Versicherungen hießen früher Deutscher Ring, und der Sachbearbeiter Ralph Wimmer hatte damals noch nicht während der Hälfte seiner Arbeitszeit ein Headset auf dem Kopf. Ein reiner Callcenter-Agent ist Ralph dennoch nicht, denn neben der telefonischen Kundenbetreuung kümmert er sich auch um die ganz normalen Vorgänge und Berechnungen des Versicherungsalltags.

Der Computer, vor dem Wimmer den ganzen Arbeitstag lang sitzt, beschleunigt alle anfallenden Arbeitsschritte enorm. "Wenn heute ein Kunde anruft und nach dem Rückkaufswert seiner Lebensversicherung fragt, kann ich ihm diese Frage in zwei Sekunden beantworten. Früher haben wir diesen Wert mit Hilfe von Tabellen noch selbst ausgerechnet. Das hat dann mindestens zwei Stunden gedauert, bis wir den Rückkaufswert ,zu Fuß' ermittelt hatten", sagt der Versicherungskaufmann. Auch der seit 2001 eingescannte Schriftverkehr, der die gesamte Kommunikation mit dem Kunden erfasst, erleichtert Ralph und seinen 15 Kollegen im Großraumbüro die Arbeit sehr. Heute sind nur noch ein paar Klicks nötig, um auf alte Versicherungsverträge, Kontoauszüge oder Briefe zuzugreifen. Vor 2001 wurden alle diese Daten auf Microfiche gespeichert, und Ralph Wimmer musste die Schriftstücke aus dem Archiv bestellen. Bis die Akte dann auf seinem Schreibtisch lag und er den Kunden zurückrufen konnte, verging in der Regel ein Tag. "Da finde ich das heute doch viel kundenfreundlicher, weil wir direkt reagieren können", sagt er.

Die Dunkelverarbeitung

Seine Arbeit sei im Zuge der Digitalisierung insgesamt leichter geworden, aber durch die langen Stunden vorm Bildschirm seien seine Augen sehr angestrengt. "Vor vier Jahren war's dann soweit, seitdem habe ich eine Bildschirmarbeitsbrille," sagt Ralph Wimmer. Für den Blick in die Zukunft benötigt er allerdings keine Sehhilfe. Er erzählt von der Dunkelverarbeitung, die die Arbeitgeber weiter ausbauen wollen. Bei der Dunkelverarbeitung wird die Post von Computern nicht nur gescannt, sondern eben auch gelesen. Und mit Hilfe dieser Inhaltserkennung können Computer dann auch vollautomatisch Antworten an Kunden verschicken. Sachbearbeiter wie Ralph Wimmer und seine Kolleg/innen werden dann zunehmend überflüssig. Ralph Wimmer sieht diese Zukunft schon in den nächsten Jahren auf sich zu kommen. "Das werden wir mit Sicherheit merken, und dann wird es ans Eingemachte gehen. Puh... !"


"Wenn heute etwas aus dem Ruder läuft, kann man direkt eingreifen"

Klaus Rogge, 53, Ausbildungsmeister Packmitteltechnologe bei Bischof + Klein, Lengerich

Klaus Rogge kennt sich aus mit flexiblen Verpackungen jeder Art und Größe - ob Standbodenbeutel für Fertiggerichte, Nachfüllpackungen für Seife oder wiederverschließbare kleine Säcke für Tiernahrung. Seit 23 Jahren bringt er das als Ausbilder auch dem Nachwuchs bei. Im Beruf ist er allerdings schon viel länger. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, machte später den Industriemeister und erlernte obendrauf den Beruf des Verpackungsmittelmechanikers. Heute heißt das Packmitteltechnologe. Diese Terminologie entspricht dem Wandel des Berufsbildes."Das Handwerkliche unseres Jobs rückt ja immer mehr in den Hintergrund", sagt Klaus Rogge.

Seit Computer zunehmend in den Produktionsprozess eingebunden sind, sei die Stückzahl der Verpackungen, die eine Maschine produzieren kann, stark angestiegen. Die Maschinen arbeiten präziser und auch das Umrüsten, also das Umstellen der Maschinen von einem Produkt auf das nächste, geht bedeutend schneller. "Früher haben wir die Produktionseinheiten per Hand umgestellt, heute machen das computergesteuerte Stellmotoren." Die körperlich anstrengende Arbeit von einst sei durch Überwachungsfunktionen ersetzt worden.

Nahtlose Kommunikation

Die damals nachgelagerte Qualitätskontrolle wird heute während des Produktionsprozesses von den Packmitteltechnologen selbst erledigt. Mit dem Vorteil: "Wenn heute etwas aus dem Ruder läuft, kann man direkt eingreifen", sagt Rogge. Positiv sieht er auch die digitale Dokumentation der Auftragsdaten, die zu seiner Lehrzeit noch auf Papier festgehalten wurden. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Produktionsschritten wie dem Bedrucken der Folien, ihrer Veredelung und der endgültigen Konfektion sei durch die Digitalisierung nahtloser geworden. Abstimmung und Zeitplanung sind effektiver.

Natürlich sei in seinem Betrieb auch rationalisiert worden, und durch modernere Maschinen sind viele Helfertätigkeiten wie das Einlegen von Material inzwischen automatisiert. "Aber viele Leute aus dem Helferbereich wurden weiter qualifiziert, die kennen die Firma ja auch und werden deshalb gefördert", sagt Klaus Rogge.


"Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen"

Silvia Kaiser, 51, freiberufliche Filmemacherin und Journalistin, Berlin

"Ich kann mir das gar nicht mehr richtig vorstellen", sagt Silvia Kaiser, wenn man sie fragt, wie ihr Beruf früher aussah. Von 1982 bis 1988 studierte sie Film an der Fachhochschule in Dortmund. Damals noch ein Studium "total ohne Computer". Sie lernte 16mm-Filme selbst zu schneiden, von Hand und mit Hilfe der Klebepresse. Und auch, dass man eine Kameralinse niemals direkt in die Studiolampe richten darf, denn sonst war die Kamera "sofort kaputt". Doch die Technik der Branche entwickelte sich rasant. Nicht nur die Kameras sind unempfindlicher und leistungsstärker geworden, auch die Computer haben den Arbeitsalltag von Journalisten enorm verändert.

Manchmal nervt's kolossal

Schon 1993 machte Silvia Kaiser ihre erste Computerweiterbildung, acht lange Monate. Sie erinnert sich: "Damals war der Arbeitsspeicher eines Computers ein Megabite groß und alles wurde auf Disketten gespeichert." Ein paar Jahre später konnten dann auch Filme auf dem Computer geschnitten werden. Inzwischen sind die Zeiten der Disketten lange vorbei und der moderne Filmschnitt an leistungsstarken Rechnern spart viel Zeit. Ein weiterer Vorteil sei, dass man Änderungen heutzutage ohne Qualitätsverluste wieder rückgängig machen könne. Die neuen digitalen Schnittprogramme beherrsche sie allerdings nicht mehr so gut wie noch die analogen Methoden, sagt die Filmemacherin. "Das nervt mich manchmal schon kolossal, dass man sich ständig auf technische Neuerungen einstellen muss."

Auf der anderen Seite erleichtere das Internet die Recherche. "Früher war es schon furchtbar mühselig, an bestimmte Informationen zu kommen oder auch Protagonisten für meine Dokumentationen zu finden", sagt Silvia Kaiser. Oft habe sie ganze Tage in Berliner Cafés zugebracht, nur um dort alle verfügbaren Zeitschriften und Zeitungen durchforsten zu können. "Manchmal habe ich dann heimlich einen Artikel rausgerissen und mitgenommen. Was sollte ich machen?", sagt sie. Heute können Zeitungsartikel, ob gegen ein kleines Entgelt oder auch kostenfrei, wie selbstverständlich jederzeit im Netz aufgerufen werden.

Die Entwicklung im Printjournalismus, bei der Computer schon selbstständig nüchterne Zeitungsmeldungen verfassen, sieht Silvia Kaiser allerdings kritisch. Auch im Filmgeschäft sei zum Beispiel die Größe eines Filmteams im Laufe der Jahre immer weiter geschrumpft. Während früher noch fünf Teammitglieder bei einem Dokumentardreh dabei waren, übernehmen heute oft nur noch zwei Leute die gleichen Aufgaben. Die Konkurrenz untereinander sei dadurch natürlich größer geworden. "Aber das Gute an den kreativen Berufen ist ja, dass man sie zumindest nicht durch Maschinen ersetzen kann." Da ist sich Silvia Kaiser sicher.