Tausende Beschäftigte der Sozial- und Erziehungsdienste beteiligten sich im Mai am Streik

Wie wichtig frühkindliche Bildung ist, betonen Politiker aller Parteien ständig. Doch wenn es um eine gerechte und angemessene Bezahlung geht, dann sind diese Beteuerungen nichts mehr wert. Dann ist dafür angeblich kein Geld da, so das bekannte Klagelied der Arbeitgeber. "Soziale Berufe: Richtig wichtig. Richtig gut. Richtig was wert!" Nach diesem Motto der ver.di-Aufwertungskampagne in den sozialen Berufen sind im Mai auch in Niedersachsen und Bremen täglich einige tausend Beschäftigte aus den Sozial- und Erziehungsdiensten auf die Straße gegangen, um bessere Gehälter und mehr Anerkennung zu fordern. Ihr Streik ist momentan ausgesetzt, aber sie zeigen sich weiter kämpferisch.

Ob in Hannover oder Bremen, ob in Braunschweig oder Osnabrück, Göttingen oder Wolfsburg: Tausende machten bei Kundgebungen auf ihre Situation aufmerksam. "Ich bin keine Basteltante, ich bin Bildungsbeauftragte" oder "Wir sind es wert!" oder "Warum zahlen wir Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, viel weniger Geld als jenen, denen wir unser Geld anvertrauen?" Auf vielen Transparenten machten die Kolleginnen und Kollegen ihrem Unmut Luft.

"Die Arbeit in Kitas und in sozialen Berufen ist bundesweit zu 90 Prozent Frauenarbeit. Eine Erzieherin kann als Berufsanfängerin in Vollzeit mit 2368 Euro brutto rechnen. In ihrer vierjährigen Ausbildung muss sie auch noch Schulgeld zahlen und erhält keine Ausbildungsvergütung", so ver.di-Landesleiter Detlef Ahting. Und: 75 Prozent der Erzieherinnen in Niedersachsen arbeiten unfreiwillig in Teilzeit - an den Unterhalt einer Familie sei da nicht zu denken. Ahting: "Wo unsere Kolleginnen ihr Bruttogehalt meinen, da liegt in der Automobilindustrie der Nettolohn."

Gute Arbeit brauche gute Leute, und die brauchen gutes Geld. Doch trotz der herausfordernden, anstrengenden und wichtigen Aufgabe seien die Arbeitgeber nicht bereit, Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen, Kinderpflegerinnen und Heilpädagogen besser einzugruppieren - obwohl in einigen Städten schon heute nicht genug Fachkräfte zu finden seien, so Ahting.

Nicht im Regen stehen lassen

"Lasst die Erzieherinnen und die Leute aus den Sozialdiensten nicht im Regen stehen! Denn es geht um eine Aufwertung der sozialen Berufe und die Grundlage für eine gute Bildung", sagte Ahting den betroffenen Eltern. Die zeigten überwiegend Verständnis, und bei Redaktionsschluss hatten 50.000 eine Petition der Landeselternvertretung unterschrieben. In Niedersachsen waren im Mai 1574 Kitas in öffentlicher Trägerschaft mit etwa 13.500 Beschäftigten sowie öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit rund 8000 Beschäftigten direkt vom Streik betroffen, in Bremen 81 Kitas und Spielhäuser mit 1240 Beschäftigten.

Breite Solidarität mit streikenden Sozialarbeitern und Erzieherinnen

Der Streik der Erzieher/innen erfährt eine breite Unterstützung, auch in Form einer Petition der Landeselternvertretung. Hier einige Stimmen:

  • Angela Heinssen, Vorsitzende der Kita-Landeselternvertretung Niedersachsen, Rechtsanwältin und Mutter von zwei Kindern in Kita und Hort: "Wir Eltern solidarisieren uns mit den Erzieherinnen und Erziehern, denn wir sind Partnerinnen und Partner in der Erziehung unserer Kinder. Trösten, ermutigen, unterstützen, geduldig und liebevoll zu sein - und das alles unter Einhaltung der frühkindlichen Bildungspläne mit Dokumentationspflicht und Elterngesprächen. Dafür sollte der Lohn Respekt ausdrücken und leistungsgerecht sein."
  • Bernd Osterloh, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzender bei VW: "Wir bei Volkswagen wissen, dass am Ende Euer Streik auch unseren Kolleginnen und Kollegen dient. Es geht um eine gerechte Entlohnung und die Qualität der Kinderbetreuung. Wer gute Arbeit leistet, muss auch gut bezahlt werden. Wir wünschen Euch für die nächsten Tage viel Kraft. Wir fordern die Arbeitgeber auf, diesen Tarifkonflikt möglichst schnell in Eurem und auch unserem Sinne zu lösen."
  • Stefan Schostok, Hannovers Oberbürgermeister: "Ich hoffe auf einen schnellen Kompromiss und angemessene Löhne auch bei leeren Stadtkassen. Dabei würde es helfen, dass der Bund endlich Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht."
  • Frank Bsirske, ver.di-Vorsitzender: "Die Aussage der Arbeitgeber, dass die Forderungen nicht bezahlbar sind, ist falsch. Die aktuelle Steuerschätzung rechnet bis 2019 mit Mehreinnahmen von etwa 38 Milliarden Euro für Bund, Länder und Kommunen, das sind etwa acht Milliarden Euro pro Jahr. Für die Kommunen belaufen sich die unvorhergesehenen Mehreinnahmen auf 4,1 Milliarden Euro oder knapp eine Milliarde Euro pro Jahr. Geld ist also da."