Der Protest rollt durch Berlin

Wenn jetzt noch der Bundespräsident zügig unterschreibt, kann das Gesetz zur Erzwingung der Tarifeinheit im Betrieb im Juli bis auf weiteres in Kraft treten - bis auf weiteres deshalb, weil mehrere kleine Berufsverbände, aber auch ver.di Verfassungsbeschwerde angekündigt haben. Dennoch hat auch der Bundesrat als letzte parlamentarische Instanz das Gesetz am 12. Juni durchgewinkt. Unterdessen äußerte sich erstmals auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, zum Thema. Sie ist laut Nachrichtenagentur Reuters gespannt, wie sich das Gesetz in der Praxis bewährt: "Jetzt werden wir mal verfolgen, was daraus so wird", verkündete die Regierungschefin bei einem Empfang zum 60. Geburtstag des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann.

Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD hatte im Deutschen Bundestag am 22. Mai ihren Gesetzentwurf in 2. und 3. Lesung ohne Änderungen durchgesetzt - mit einer Mehrheit von 444 Ja- gegen 126 Nein-Stimmen. Gegen die einmütig ablehnende Haltung der Parlamentsopposition aus Linken und Grünen und trotz massiver verfassungsrechtlicher Bedenken zahlreicher Rechtsgelehrter hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, damit das Gesetzesvorhaben ihres Hauses über alle parlamentarischen Hürden gebracht. Sein Kern besteht darin, dass künftig bei der Kollision mehrerer Tarifverträge in ein und demselben betrieblichen Geltungsbereich nur noch die Vereinbarung derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die dort die meisten Mitglieder hat.

Ein ausdrückliches Streikverbot für die Minderheitsgewerkschaft enthält der Gesetzestext zwar nicht. Das wäre auch offensichtlich verfassungswidrig. Faktisch jedoch werden die jeweils kleineren Gewerkschaften keine eigenen Tarifverträge mehr durchsetzen können, schon gar nicht mit einem Arbeitskampf. Heftige Proteste gab es von Berufsverbänden außerhalb des DGB, aber auch von den DGB-Gewerkschaften ver.di, Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sowie Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Die Arbeitgeberverbände freuen sich über mehr Ruhe

Arbeitgeberverbände jedweder Couleur hingegen freuen sich über das neue Gesetz, weil sie sich davon mehr Ruhe in den Betrieben und eine Schwächung der Gewerkschaftsbewegung insgesamt versprechen. Aber auch die Spitzen einiger DGB-Gewerkschaften begrüßten die Entscheidung des Bundestages. So bewertete etwa die Industriegewerkschaft Metall das Gesetz als "Stärkung solidarischer Tarifpolitik". Die Belegschaft könne nun per Mitgliedschaft in Gewerkschaften mehrheitlich entscheiden, welcher Tarifvertrag im Betrieb zur Anwendung komme, sagte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann.

Nicht zum Zuge gekommen sind allerdings auch die kurz zuvor vom Wirtschaftsflügel der CDU und arbeitgebernahen Juristen erhobenen Forderungen nach Einschränkungen des Streikrechts zunächst im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Rede war von einem Zwang zu einer Schlichtungsrunde, bevor überhaupt über Streik nachgedacht werden dürfe, und von einer vorgeschriebenen Ankündigungsfrist von vier Tagen für Arbeitskämpfe. Solcherlei Vorstellungen spielten in der abschließenden Parlamentsdebatte dann keine Rolle mehr.

Allerdings vermuten politische Beobachter wie der frühere SPD-Sozialexperte Rudolf Dressler, dass diese Ideen bald erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden: "Diejenigen, die das Streikrecht immer schon einengen wollten, fühlen sich durch das Tarifeinheitsgesetz bestätigt, weiterzugehen", sagte er im Deutschlandfunk. So sieht Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer angesichts des aktuellen Streiks bei der Deutschen Post bereits den Ruf der deutschen Wirtschaft in Gefahr. "Es ist fatal, wenn die Zuverlässigkeit der deutschen Wirtschaft von unseren Kunden zukünftig schlechter bewertet wird. Deutschland wird plötzlich als Streikland wahrgenommen", so Kramer.

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