Von Ulla Lessmann

Der Dresscode der Banker steht ihm gut. Sercan Gelincik, 24 Jahre jung, trägt dunklen Anzug, helles Hemd und Schlips mit eben jener lässigen Selbstverständlichkeit, die seinem Berufsstand meistens eigen ist und die auch seine rund 1.500 Kolleginnen und Kollegen in der Zentrale der Postbank-Filialvertrieb AG an der Friedrich-Ebert-Allee in Bonn zeigen. 2011 begann Gelincik seine berufliche Ausbildung in Dortmund. Während des Fachabiturs im Bereich Verwaltung und Wirtschaft habe er gemerkt, dass er im kaufmännischen Bereich arbeiten möchte. "Als ich, nach zahlreichen Bewerbungen, die Wahl zwischen Industriekaufmann und Bankkaufmann hatte, habe ich mich für die Königsdisziplin der kaufmännischen Berufe entschieden, den Bankkaufmann." Und unmittelbar nach Ausbildungsbeginn im Postbank-Filialvertrieb ist er auch gleich als Gewerkschafter aktiv geworden.

Der damalige JAV-Vorsitzende Seckin Dize wurde sein Mentor: "Seckin wurde mit 25 Jahren zu alt für das Gremium und sprach mich an, ob ich sein Nachfolger werden wolle. Er ist dann sogar vorzeitig zurückgetreten, damit ich mich einarbeiten konnte." Dass Gelincik ver.di-Mitglied ist, ist bei einem Organisationsgrad von 80 Prozent in den Postbankbetrieben nichts Besonderes. Das Besondere ist, dass er innerhalb von drei Jahren vom einfachen Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung in Dortmund zum dortigen JAV-Vorsitzenden sowie seit 2014 zum Vorsitzenden der Gesamt-JAV und der Konzern-JAV gewählt worden ist.

Eine gigantische Erfahrung

Auf der Pinn-Wand in seinem kleinen Büro hat Gelincik seine Einsatzorte aufgelistet: 15 Ausbildungsstandorte mit 12 JAVen, die er und seine Kollegen und Kolleginnen betreuen: "Die Ausbildungsqualität ist an den einzelnen Standorten sehr unterschiedlich, die Betreuung durch die Personalreferenten auch. Darum müssen wir uns kümmern." Mit der Übernahme der Auszubildenden gibt es freilich derzeit keine Probleme: "Für 2016 haben wir eine Übernahmeregelung abgeschlossen: Wer bleiben will, der kann bleiben." Dass die Postbank - noch ist die Deutsche Bank ihre Eigentümerin - sich in der jüngsten Tarifrunde weigerte, den Kündigungsschutz weiter festzuschreiben, führte Anfang März dieses Jahres zu bundesweiten Streiks in den 800 Postbank-Filialen.

Der erste Streik seines Lebens war für Sercan Gelincik "eine gigantische Erfahrung. So etwas kannte ich bislang ja nur aus dem Fernsehen. Wenn man zusammen mit 2.000 Kolleginnen und Kollegen da steht und Lärm macht und alle tragen die Streikwesten und kämpfen für eine gute Sache, entsteht eine unglaubliche, solidarische Atmosphäre. Das war Gänsehaut pur. Und es hat ja auch was genutzt: Nur so war es möglich, den Kündigungsschutz zu erhalten." Jetzt wirkt er richtig stolz darauf, dass er dabei war: "Wir sind die einzige Bank, in der die Beschäftigten Kündigungsschutz haben, das ist unser Alleinstellungsmerkmal, und es macht mich froh, dass ich für den Erhalt dieser sozialen Sicherheit etwas tun konnte. Wir sind auch die einzige Bank mit einem so hohen Organisationsgrad, das eine hat natürlich mit dem anderen zu tun."

Dass man nur gemeinsam etwas erreichen kann, damit werben Sercan und seine Mitstreiter/innen die neuen Kolleginnen und Kollegen vom ersten Tag ihrer Ausbildung an für ver.di. Sie stellen ihnen gleich im ersten Ausbildungsabschnitt auf einer Veranstaltung die JAV vor und erklären, was die für sie tun kann. Meistens ist auch die Jugendsekretärin von ver.di dabei. "Die meisten Leute kennen die Aufgaben von Gewerkschaften und betrieblichen Interessen- vertretungen überhaupt nicht, weil die im Schulunterricht gar nicht vorkommen", sagt Sercan. "Wir erklären ihnen dann: ‚Wir sind die Leute, die sich für euch einsetzen, und wenn ihr was erreichen wollt, geht das nur mit uns und mit einer starken Gewerkschaft. Für Fortschritt ist die Gewerkschaft unabdingbar'."

Das klingt auch im Gespräch mit der Reporterin überzeugend und dass im laufenden Jahr in Nordrhein-Westfalen 100 Prozent der neuen Auszubildenden für ver.di geworben wurden, ist kaum verwunderlich. Das ist "aber nicht mein Verdienst", sagt Sercan Gelincik bescheiden. "Es ist mir sehr wichtig, zu betonen, dass ich tolle Gremien habe und ein guter Teamplayer bin, ich arbeite hier nicht als Solist."

Auf den man sich verlassen kann

Sercan wirkt offen, wissbegierig und lernfreudig, natürlich hat er alle einschlägigen ver.di-Seminare für JAV-Vertreter besucht. Als sein Vorbild nennt er Bernd Rose, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Postbank-Filialvertrieb AG, auch er ein Sauerländer und wie sein junger Kollege Fan von Borussia Dortmund. Auch die Zusammenarbeit mit ver.di gestaltet sich "super". Das kann Deniz Kuyubasi, Fachbereichsekretärin Finanzdienstleistungen mit Schwerpunkt Jugend bei ver.di in NRW, nur bestätigen: "Sercan ist sehr verbindlich und verantwortungsbewusst. Ich schätze an ihm ganz besonders, dass für ihn JAV-Arbeit und Gewerkschaft zusammengehören. Das ist leider in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich." Und noch etwas ist für Kuyubasi in der Zusammenarbeit wichtig: "Ich kann mich auf Sercan verlassen, wenn ich mit ihm eine Verabredung treffe. Ihn zeichnet wirklich ein großes Engagement für Azubis und für unsere Gewerkschaft aus."

Menschen, die sich für die Interessen anderer einsetzen, sind meist schon in jungen Jahren so unterwegs. Das gilt auch für Sercan: "Ich war irgendwie immer schon engagiert, war Klassensprecher und Schülersprecher." Dass man sich als Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, ist für den gebürtigen Sauerländer sozusagen von Kindesbeinen an selbstverständlich. "Meine Eltern arbeiten beide in der Metallindustrie und sind Mitglieder der IG Metall."

Neben seiner Funktion in der betrieblichen Interessenvertretung ist Gelincik in der ver.di-Unternehmenstarifkommission und im Bundesfachgruppenausschuss Postbank des ver.di-Fachbereichs Finanzdienstleistungen aktiv. Bei so viel gewerkschaftlichem Engagement bleibt für andere Dinge im Leben nicht mehr viel Zeit. Der Borussia Dortmund-Fan kann seine Liebe zum BVB derzeit nur mit einem Mannschaftsplakat über seinem Schreibtisch und einer Wanduhr in den Vereinsfarben zeigen. "Leider bin ich schon lange nicht mehr im Stadion dabei gewesen", sagt er. Es gibt einfach zu viel zu tun. Er ist zwar freigestellt, hat aber nun zusätzlich auch noch ein Fern-Studium in Personalmanagement begonnen.

Falls er mal nicht für die JAV oder ver.di arbeitet oder fürs Studium lernt, was selten vorkommt, hört er gerne Musik, "querbeet", und reist durch Deutschland. Sercan ist parteilos, "selbstverständlich" aber ist er dabei, wenn sich das antirassistische Bündnis "Bonn stellt sich quer" zu einer Demonstration gegen Rechtsextremisten und Fremdenfeinde trifft. Seitdem der Lüdenscheider nach Bonn gezogen ist, kommt er auch nicht darum herum, sich für den Karneval zu interessieren und stellt fest: "Die rheinische Mentalität gefällt mir sehr."

"Ich war irgendwie immer schon engagiert, war Klassensprecher und Schülersprecher"