"Ich finde das Thema megawichtig. Viele Studierende haben einen Job, aber dass sie Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben, wissen die meisten nicht", sagt Anja Stankowsky. Die 24-Jährige ist ver.di-Mitglied und besucht derzeit den Kurs "Arbeit und Arbeitsbeziehungen in Deutschland", der in diesem Semester erstmals an der Bremer Universität angeboten wird. An den ersten Kurstagen ging es um allgemeine Entwicklungstrends der Erwerbsarbeit - also um Themen wie Prekarisierung und die Vermarktlichung aller Lebensbereiche. Danach standen Grundlagen des Arbeitsrechts und ein Besuch beim Arbeitsgericht auf dem Lehrplan. Im dritten Teil lernen die Studierenden wie Anja Stankowsky nun, was Tarifverträge sind und wie die Mitbestimmung funktioniert. Etwa 20 Kommilitonen haben den Kurs als Schlüsselkompetenz-Modul gewählt. Egal in welchem Fachbereich sie eingeschrieben sind, bringt ihnen der erfolgreiche Abschluss jeweils drei sogenannte Creditpoints.

Obwohl in den Hochschulgesetzen seit den 1970er Jahren steht, dass die Hochschulen auf eine berufliche Tätigkeit vorbereiten sollen, waren die arbeitsweltlichen Rahmenbedingungen bislang kein Thema. Ein Großteil der frischgebackenen Akademiker/innen hat deshalb keinerlei Ahnung, was ein Arbeitsvertrag regelt. Auch die Rolle von Betriebs- und Personalräten ist den meisten bestenfalls vage bekannt. Das verwundert nicht, denn solches Wissen wurde bisher nur in soziologischen Fachkursen vermittelt. Dabei müssten diese Kenntnisse zwingend zur Grundausstattung aller angehenden Erwerbstätigen gehören; schließlich geht es um zentrale Fragen für jede und jeden ganz persönlich.

Genau das waren die Überlegungen des Arbeitskreises "Kompetenzen für die Arbeitswelt". Er wurde von Renate Singvogel, bei ver.di für Hochschulpolitik zuständig, für dieses Projekt zusammengerufen. Gemeinsam entwickelte die Gruppe ein Modulangebot, das Hochschulen oder auch einzelne Fachbereiche nutzen können, um auch Studierende auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Wie sie das konkret umsetzen und ausgestalten, unterliegt ihrer akademischen Freiheit.

In Bremen hat der Soziologe André Holtrup den Hut auf. Er arbeitet eng mit dem Career-Center der Bundesagentur für Arbeit zusammen und engagiert für die arbeitsrechtlichen Inhalte einen Juristen. "Ich kann mir vorstellen, dass wir das Modul künftig einmal jährlich anbieten", sagt Holtrup. Auch seinem Assistenten Fabio Guarascio erscheint das sinnvoll: "Der Kurs richtet sich an Anfänger: In den Lehrplänen der meisten Studiengänge tauchen Arbeitsbeziehungen ja sonst überhaupt nicht auf."

Auch die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde hat das Angebot aufgegriffen. In diesem Wintersemester wurde es dort erstmals in den Tourismus-Management-Studiengang integriert. Der Fachbereich hat die Lehrveranstaltungen auf zwei Semester verteilt, das Seminar leitet die Politologin Kerstin Budde. Zu ihrem didaktischen Konzept gehört, dass alle 35 Teilnehmenden am Schluss einen Menschen aus der Praxis interviewen sollen - sei es einen Arbeitgebervertreter, eine Gewerkschafterin oder einen Betriebsrat.

Auch in Braunschweig werden die Studierenden ab dem Sommersemester ein entsprechendes Kursangebot im Vorlesungsverzeichnis finden. "Unser Modulangebot wird wahrgenommen als konstruktiver Beitrag der Gewerkschaften zur Vorbereitung der Studierenden auf die künftige Arbeitswelt", sagt Renate Singvogel. Aus mehreren anderen Städten hat sie ebenfalls schon Anfragen bekommen.

Annette Jensen