Carlotta Schulz lernt einen Beruf, von denen manche glauben, es gebe ihn schon gar nicht mehr, weil sich in der digitalen Welt ja alles machen lässt, auch das Lesen. Zu Besuch am Arbeitsplatz einer Buchbinderin

Von Stefan Zimmer

Neben den großen Unternehmen, Behörden und Branchen organisiert ver.di auch Auszubildende in kleinen Nischenberufen, die man leicht übersieht. Wer denkt beispielsweise bei der Druck und Papier-Branche an Buchbindereien? Überhaupt das Buch. Es wurde schon so oft totgesagt und ist doch nicht totzukriegen. Erst kam das Fernsehen, dann kam das Internet und vor ein paar Jahren kam noch der E-Book-Reader dazu. Doch trotz fortschreitender Digitalisierung unseres Alltags ist das Buch nicht wegzudenken.

"Ich glaube auch, dass es da wieder eine Rückentwicklung gibt, dass die Leute wieder etwas Haptisches, etwas zum Anfassen und Fühlen in der Hand halten wollen, gerade wo alles immer digitaler wird", sagt Carlotta Schulz an die Werkbank gelehnt. Vor ihr liegen verschiedene Papierstapel unter Holzbrettchen und schweren Eisengewichten. Carlotta ist Auszubildende bei der handwerklichen Buchbinderei Möller & Schelenz in Berlin. Und sie glaubt an die Zukunft des Buches.

Wenn Blätter herausfliegen

Der Traditionsbetrieb, vor über hundert Jahren gegründet, arbeitet heute vor allem an der Erhaltung von Büchern. Viele Universitätsbibliotheken beauftragen den Berliner Buchbinder damit, alte Bücher zu reparieren und wieder benutzbar zu machen. Das kann eine neue Klebe- oder Heftbindung sein, wenn einzelne Blätter herausfliegen, ein neuer Buchdeckel oder auch die Reparatur von eingerissenen Seiten. Aber es geht auch darum, viel benutzte Bücher zu erhalten. Wichtige Handbücher, die in der Universitätsbibliothek durch viele Hände gehen, bekommen hier zum Beispiel nachträglich noch einen festen Buchdeckel, da sie industriell nur als Taschenbuch mit Softcover gedruckt wurden.

Eine zweite wichtige Kundengruppe sind Anwaltskanzleien. Die Juristen lassen die Ausgaben ihrer Fachzeitschriften am Ende eines Jahres gerne zu einem richtigen Buch zusammenbinden. "Man kann den Buchdeckel natürlich auch noch prägen, also so eine gewisse Veredelung eines vorhandenen Buches vornehmen", sagt Carlotta. Das Aufgabenspektrum in ihrem Betrieb ist vielfältig: "Das Bauen von Kisten, Schubern oder Kassetten lerne ich auch in meiner Ausbildung zur Buchbinderin." In solchen maßgefertigten Verpackungen bewahren Bibliotheken dann besonders wertvolle Bücher oder historische Loseblattsammlungen auf, häufig aufwändig mit Papier- oder Gewebemustern verziert.

Mit Nadel und Faden

In ihrer Ausbildung lernt Carlotta natürlich zudem, ein Buch von Grund auf herzustellen. Das fängt damit an, die Blätter auf die richtige Länge zuzuschneiden. Im nächsten Schritt heftet sie diese entweder mit Nadel und Faden zusammen oder verbindet sie mit speziellen Klebern. Schließlich müssen noch der Buchdeckel und -rücken ange- fertigt und mit dem Buchblock zusammengefügt werden.

Die Wahl auf den Handwerksberuf fiel bei Carlotta sehr früh. In der Waldorfschule hatte sie bereits zwei Jahre Buchbinder-Unterricht. "Das war da natürlich noch auf einer viel niedrigeren Ebene, aber da durfte ich mich ausprobieren und habe meine ersten Blankobücher gebunden. Das hat mir damals schon echt gut gefallen", sagt Carlotta.

Bei Möller & Schelenz fühlt sie sich heute in dem kleinen Team von elf Mitarbeitern sehr wohl. Neue Arbeitsschritte zeigt ihr die Meisterin, machen muss sie diese dann selbst. "Darum geht es ja im Handwerk: Man muss machen. Ich bin einfach eine Macherin", sagt Carlotta. Einzelne Aufträge bearbeiten sie und die zwei weiteren Auszubildenden weitgehend selbstständig. Das fängt meist damit an, dass sie sich das Buch erst einmal genau ansehen müssen, um herauszufinden, was im Detail zu machen ist und wie sie dabei am besten vorgehen. Das theoretische Wissen dazu lernt Carlotta in der Berufsschule, und wenn sie alleine mal nicht weiterkommt, helfen die ausgelernten Kolleginnen und Kollegen natürlich.

Mit Liebe zum Papier

Gegliedert sind die Wochen im Betrieb nach verschiedenen Arbeitsschritten. Am Dienstag sind zum Beispiel die Klebebindungen dran. "Donnerstags machen wir die Buchdecken. Diese Aufgaben nehmen aber im Normalfall auch nicht den ganzen Tag ein und den Rest des Tages sind wir dann mit unterschiedlichen Sachen beschäftigt, je nach Auftragslage", sagt Carlotta.

Gewerkschaft spielt in dem kleinen Handwerksbetrieb vordergründig keine große Rolle. Carlotta findet es aber grundsätzlich gut, dass es Gewerkschaften gibt: "Klar, das ist ja unser Team, unser Machtmittel sozusagen." Aber bisher hat sie noch niemand darauf angesprochen, und so ist Carlotta auch noch kein Mitglied. Mit der Ausbildung ist sie bisher dennoch rundherum zufrieden. Am besten gefällt ihr der Umgang mit den alten Büchern. "Altes erhalten, Kulturgut erhalten können. Das macht mir Spaß", sagt sie.

Wie es nach der Ausbildung weitergehen wird, weiß sie noch nicht genau. Bei Möller & Schelenz zu arbeiten, kann sie sich gut vorstellen. Aber vielleicht wird sie auch noch Restauration studieren. Klar ist aber, dass die Menschheit noch lange Wissen und Unterhaltung aus Büchern gewinnen wird. Und das verdanken wir auch den handwerklichen Buchbinder/innen wie Carlotta, Fachkräften mit Liebe zu altem Papier und dem gedruckten Wort.

"Darum geht es ja im Handwerk:Man muss machen"