Linda hat mit 17 Jahren die Begabtenprüfung an der Hochschule Düsseldorf bestanden, wo sie jetzt Kommunikationsdesign studiert. Abends betreut sie mehrmals die Woche Flüchtlingskinder

Luis* kann es kaum erwarten. "Machst Du jetzt auf?", fragt der Junge mit den langen dunklen Haaren immer wieder. "Nein, um sechs", antwortet Linda geduldig - auch als er mit ein paar Freunden drei Minuten später noch einmal an der Tür klopft. Es ist 17 Uhr. Die Jungs geben auf - und stehen kurz danach erneut vor der Tür des Spielzimmers in einer Bochumer Flüchtlings-unterkunft.

Draußen ist es längst dunkel geworden. Straßenlaternen werfen grelles Licht auf Reihen einstöckiger, flacher Wohncontainer. Viele Bewohner haben statt Vorhängen bunte Tücher vor ihre Fenster gehängt, die im Neonlicht der Behausungen leuchten. Auf den Kieswegen zwischen den Hütten haben sich Regenpfützen gesammelt. Was nicht in die engen Unterkünfte passt, bleibt vor der Tür im Regen stehen: Fahrräder, ein Dreirad, ein alter Stuhl.

Wo nachts der Sicherheitsdienst Quartier bezieht

"Ich habe keine Ahnung, wie die Leute dort wohnen." Zwei, drei Mal pro Woche kommt Linda abends an den Bochumer Stadtrand, um mit Flüchtlingskindern zu spielen. Aber nicht in den Flüchtlingsunterkünften. Sondern dort, wo nachts die Wachleute eines Sicherheitsdienstes Quartier beziehen, stapeln sich in Regalen Brettspiele, Karten, Bilderbücher. Am Boden stehen zwei große Plastikkisten Lego. "Das haben Leute gespendet", sagt Linda, während sie Memory-Karten auf einem der Tische verteilt. Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr, und fünf Kinder zwischen vier und zehn Jahren schauen sie erwartungsvoll an. Rutschen auf ihren Stühlen aufgeregt herum.

Luis, mit etwa zwölf Jahren eines der älteren Kinder, hat sich mit ein paar Jungs in einer Ecke des etwa 30 Quadratmeter kleinen Raums niedergelassen. Gelangweilt spielen sie mit Bauklötzen und ärgern sich gegenseitig mit Sprüchen, die Linda und ihre Kollegin nicht verstehen. Die meisten Kinder kommen vom Balkan, Albanien, Mazedonien, Kosovo sowie einige Neuankömmlinge aus Syrien. Deutsch sprechen nur die, die wie Luis schon länger hier leben.

"Normal" findet Linda die Flüchtlingskinder, auch nicht anders als die, die sie früher ehrenamtlich beim Kinderschutzbund betreut hat, "fröhlich, aufgeschlossen und wissbegierig". Sie merke allerdings, dass einige besonders viel Zu- wendung suchen. Über ihre Lebensgeschichten erfährt Linda wenig. "Manche erzählen schon mal, dass noch eine Oma oder ein Cousin im Kosovo wohnt. Für mehr fehlt die gemeinsame Sprache." Auch die Eltern sprechen nur wenig Deutsch. Sie lassen sich kaum im Spielzimmer sehen.

Die eigene Kindheit

Linda hatte es selbst nicht leicht. Eine Zeit lang lebte sie mit ihren Eltern auf Mallorca, wo der Vater eine Strandbar betrieb. In der Grundschule kommt sie auf der Insel nicht mit. Unterrichtet wird auf Mallorquí, dem katalanischen Dialekt Mallorcas. Die Familie kehrt nach Deutschland zurück. Aber auch in Deutschland fühlt sich Linda in der Schule "nicht ernst genommen". "Wenn mich etwas interessiert, stecke ich viel Energie rein." Doch ernsthaftes Interesse war an ihrer Schule nicht wirklich gefragt. "Unfair" nennt Linda das Schulsystem. Die Lehrer setzen den Kindern das Programm vor: "Friss oder stirb." Wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Bei Linda sind es die Mathematik und Naturwissenschaften. Aber sie ist sprachbegabt und hat künstlerisches Talent.

"Wenn mich etwas interessiert, stecke ich viel Energie rein"

Als Linda mit 13 Jahren für ein paar Wochen krank ist, kommt sie vor allem in Mathematik nicht mehr richtig mit. "Du hast in Mathe zu viel versäumt. Konzentriere dich lieber auf andere Fächer", rät ihr ein Lehrer. Aber Linda hat noch eine andere Idee. Sie schreibt wegen der Ungerechtigkeiten eine Beschwerde an den Schuldirektor und die Bezirksregierung. Mehr als 30 Mitschüler/innen unterstützen sie. Die Behörde schweigt.

Mit 16 Jahren macht Linda die Fachhochschulreife, sie will studieren, recherchiert online, bewirbt sich mit einem selbstgestalteten Kinderbuch, Zeichnungen und anderen Werken an mehreren Hochschulen. Aus Krefeld und Düsseldorf kommen Zusagen, an der Hochschule Düsseldorf besteht sie die Begabtenprüfung sogar mit 1,0.

Das ehrenamtliche Engagement

Linda macht sich auf die Suche nach einem Stipendium, findet im Internet unter anderem das Programm Böckler-Bildung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, bewirbt sich und erhält die Förderung. Weil sie die Anforderungen erfüllt: "Migrationshintergrund", die Erste in der Familie, die ein Studium beginnt, eine Frau mit Anspruch auf den Bafög-Höchstsatz und Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement.

"Ich wollte etwas Sinnvolles tun", sagt Linda, als sei dies das Selbstverständlichste der Welt. Kinder mag sie, also fragte sie beim Kinderschutzbund. Für nur kurze Zeit betreut sie dort Kinder, während ihre Mütter Deutsch lernen. Mit Beginn des Studiums muss sie wieder aufhören. Der Kinderschutzbund braucht die Unterstützung tagsüber, wenn sie an der Hochschule studiert.

Auf der Suche nach einem neuen Ehrenamt wird Linda Mitglied bei Asylhilfe e.V., einem gemeinnützigen Verein aus Dortmund. Der Verein verfolgt nach eigenen Angaben "die Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene, Kriegsbeschädigte und Kriegsgefangene". Seine Arbeit ist vielfältig. Es gibt einen mehrsprachigen virtuellen Marktplatz für Geflüchtete und Spender, es wird über die Lebenslage von Geflüchteten aufgeklärt, um Vorurteile abzubauen, es werden Kultur- und Sport-Veranstaltungen organisiert, es gibt Ärztelisten, eine Vermittlung von Sprachkursen und einiges mehr. Unterstützt wird der Verein vom ver.di-Bundesfachbereich und ver.di-Landesfachbereichsvorstand "Bildung, Wissenschaft und Forschung" in Nordrhein-Westfalen. Initiator des Projekts ist Dominik De Marco, der ebenfalls als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft "Studierende" bei ver.di tätig ist.

Über Dominiks Projekt kommt Linda schließlich zu ihrem Ehrenamt im Flüchtlingsheim. Je zwei Ehrenamtliche spielen dort am Wochenende von 18 bis 19 Uhr und an Werktagen eine Stunde später mit den Kindern. Zusammen mit den Sozialarbeitern der Stadt und den anderen Ehrenamtlichen hat Linda den Familien Ausflüge angeboten. Die Resonanz, sagt sie, sei gering. Auch ins Spielzimmer kommen die Kleinen meist allein.

Regeln respektieren

Dort ist es voll geworden. An die 15 Kinder spielen an den Tischen mit den beiden Betreuerinnen, andere malen auf der großen Tafel oder schauen sich Bilderbücher an. Luis und seine Kumpels bewerfen sich gegenseitig mit Bauklötzen, bis eine der beiden Erwachsenen dazwischen geht. Weil sie die überall verteilten Klötze nicht aufsammeln, müssen die Streithähne gehen. Luis will bleiben, klammert sich am Regal fest. Linda schiebt den Widerspenstigen sanft vor die Tür.

"Er ist von allen am längsten hier", sagt Linda. Wahrscheinlich meint er, dass er deshalb mehr Rechte habe". Das nächste Mal darf er wieder kommen, aber er muss lernen, die Regeln zu respektieren. Das ist hier nicht anders als in jedem anderen Hort oder Kindergarten.

Linda möchte nach dem Studium gern als Designerin arbeiten - am liebsten für Kampagnen wie die der Umweltschutzorganisation WWF oder der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Kinderbücher würde sie auch gern weiter gestalten. Etwas Sinnvolles soll es sein.

www.asylhilfe.org


*Name geändert

Einfach mal eine HappyBox packen

Die HappyBox gibt es seit einem Jahr und ist als ein Willkommenszeichen für Flüchtlinge gedacht. Bisher gibt es sie in Hannover, Mannheim und Bamberg. Jede/r kann eine Box in der Größe eines Schuhkartons mit kleinen Geschenken füllen und die Box anschließend schön einpacken. Bevor man eine Box packt, sollte man sich überlegen, für wen diese später bestimmt sein soll. Denn eine Box kann entweder für eine einzelne Person sein - einen Mann, eine Frau, ein Kind. Sie kann aber auch für eine ganze Familie gepackt werden. Die gepackte Box kann dann entweder an eine der Sammelstellen geschickt oder persönlich abgeben werden. Da jede Box noch einmal kontrolliert wird, ist sichergestellt, dass die Boxen auch richtig verteilt werden. Maurice, ein ver.di-Jugendlicher, ist einer von sieben Ehrenamtlichen von HELDEN e.V, die die HappyBoxen in Hannover und Umgebung verteilen. Rund 1.000 Boxen haben sie bereits gesammelt, 800 davon bisher in Hannover und Heidenau überreicht.

HELDEN e.V., Projekt Happy Box, Kollenrodtstraße 48, 30163 Hannover, Tel. 01578 / 7978215, E-Mail info@deinehappybox.de

"Wenn mich etwas interessiert, stecke ich viel Energie rein"

Einfach mal eine HappyBox packen

Die HappyBox gibt es seit einem Jahr und ist als ein Willkommenszeichen für Flüchtlinge gedacht. Bisher gibt es sie in Hannover, Mannheim und Bamberg. Jede/r kann eine Box in der Größe eines Schuhkartons mit kleinen Geschenken füllen und die Box anschließend schön einpacken. Bevor man eine Box packt, sollte man sich überlegen, für wen diese später bestimmt sein soll. Denn eine Box kann entweder für eine einzelne Person sein - einen Mann, eine Frau, ein Kind. Sie kann aber auch für eine ganze Familie gepackt werden. Die gepackte Box kann dann entweder an eine der Sammelstellen geschickt oder persönlich abgeben werden. Da jede Box noch einmal kontrolliert wird, ist sichergestellt, dass die Boxen auch richtig verteilt werden. Maurice, ein ver.di-Jugendlicher, ist einer von sieben Ehrenamtlichen von HELDEN e.V, die die HappyBoxen in Hannover und Umgebung verteilen. Rund 1.000 Boxen haben sie bereits gesammelt, 800 davon bisher in Hannover und Heidenau überreicht.

HELDEN e.V., Projekt Happy Box, Kollenrodtstraße 48, 30163 Hannover, Tel. 01578 / 7978215, E-Mail info@deinehappybox.de