Die Bilanz von Alnatura ist beeindruckend: 1984 gegründet, 2.530 Beschäftigte, 99 Filialen in 45 Städten, Nettoumsatz 760 Millionen Euro. Weniger beeindruckend ist die gewerkschaftliche Bilanz: Kein Tarifvertrag, nur in Freiburg gibt es einen Betriebsrat.

Daran wollten Beschäftigte der Filiale an der Faulenstraße in Bremen etwas ändern. Ein Betriebsrat sollte gegründet werden. Danach wäre dann auch ein Gesamtbetriebsrat möglich. Doch das Vorhaben wurde schon im Vorfeld von der Bremer Gebietsleitung torpediert. Da lediglich der Gebietsleiter als leitender Angestellter bei Alnatura gilt, nicht aber die Filialleitung, konnte die Filialleitung mitwählen. Drei Kandidaten bewarben sich für den Wahlvorstand. Die Wählerlisten waren fertig und die Stimmzettel verteilt, als aus dem Umfeld der Filialleitung noch drei weitere Kandidaten nominiert wurden. Die Folge: Kein Kandidat erhielt die gesetzlich erforderliche Mehrheit der Stimmen.

"Eine einzige Stimme hat gefehlt", sagt Kai Wargalla. Die Studentin arbeitet für 8,50 Euro Stundenlohn in der Filiale und hat die Wahl organisiert. Nun muss das Arbeitsgericht einen Wahlvorstand einsetzen. Einen entsprechenden Antrag haben drei Beschäftigte - gemeinsam mit einem Anwalt und unterstützt von ver.di - bereits gestellt.

"Die Betriebsratswahl wurde durch taktische Spielchen verhindert", stellt Kai Wargalla fest. Schon vor dem Wahltermin war die Führungsebene aktiv geworden. Beschäftigte wurden zu Einzelgesprächen geladen. Dort wurden ihnen die "Nachteile" eines Betriebsrats erläutert. Betriebsratsarbeit fände schließlich in der Arbeitszeit statt, hieß es, die Kollegen würden dann im Laden fehlen, alle anderen müssten mehr arbeiten.

Wenn die Chefs nervös werden

Dass bei Alnatura die Führungsebene nervös wird, wenn Beschäftigte sich gewerkschaftlich organisieren und sogar einen Betriebsrat gründen wollen, ist für die Kolleginnen und Kollegen nicht neu, wohl aber für viele Kunden, die die Bio-Supermarkkette als menschen- und umweltfreundlich ansehen. Diese Käufer/innen reagieren oftmals empfindlich auf schlechte Nachrichten aus "ihrem" Markt, schließlich zahlen sie für biologisch und sozial produzierte Waren auch einen höheren Preis. Ihr Anspruch reduziert sich nicht auf die Kaffeebauern oder die Produktion des angebotenen Gemüses. Auch im Umgang mit den Beschäftigten erwarten Kund/innen von der Geschäftsleitung einer Bio-Supermarktkette ein soziales Verhalten. Entsprechend war die Reaktion vieler Kund/innen, nachdem die ersten Presseberichte über die gescheiterte Wahl eines Wahlvorstands öffentlich wurden. "Ich wurde oft angesprochen. Kundinnen und Kunden möchten uns bei der Wahl eines Betriebsrats unterstützen", sagt Wargalla.

Dabei hatte die Filialleitung alles unternommen, um zu verhindern, dass die Betriebsratswahl in der Öffentlichkeit zum Thema wurde. Auf einem Aushang wurde der tatsächliche Grund für die frühere Schließung des Marktes - die Wahl eines Wahlvorstands - verschwiegen: "Aufgrund einer technischen Störung sind wir leider verpflichtet, die Filiale heute bereits um 18 Uhr zu schließen."

Alnatura-Pressesprecherin Stefanie Neumann interpretierte die fehlende Stimmenmehrheit für die Mitglieder eines Wahlvorstands ganz im Sinne der Geschäftsleitung. Sie erklärte gegenüber Pressevertretern, die Mehrheit der Beschäftigten habe sich gegen die Wahl eines Betriebsrats ausgesprochen.

Was die Mehrheit will

Dem widerspricht Wargalla deutlich: "Die Mehrheit der Beschäftigten will einen Betriebsrat." Der Grund dafür sei nicht nur der im Unternehmen fehlende Tarifvertrag, sondern auch der Umgang mit den Beschäftigten. Der Flächentarifvertrag sieht einen Zuschlag bei den Spätschichten vor. Alnatura zahlt diesen Zuschlag nicht, dafür können die Beschäftigten eine halbe Stunde eher gehen. Aussuchen können sie sich das nicht; bei den geringen Stundenlöhnen würden viele sicherlich lieber den Zuschlag nehmen. Alnatura hat nach eigenen Aussagen die Einkommen der Beschäftigten an den jeweiligen Flächentarifvertrag angelehnt. Überprüfbar ist das nicht, solange es keinen mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag gibt.