Der größte rot-grüne Flop: ver.di-Landesleiter Detlef Ahting hält Pflegekammer für so überflüssig wie einen Kropf, die Beschäftigten sind empört über Zwangsmitgliedschaft

Kurz vor dem Landtagsbeschluss übergab ver.di 4.000 Protest-Postkarten von Beschäftigten an Sozialministerin Cornelia Rundt, SPD (rechts)

Kritik, Bedenken und Proteste verhallen ungehört: Die rot-grüne Koalition im Landtag ist fest entschlossen, die umstrittene Pflegekammer in Niedersachsen einzuführen. Im Interview mit ver.di publik bezeichnete ver.di-Landesleiter Detlef Ahting diese Entscheidung als "größten Flop von Rot-Grün".

ver.di publik - Sind Worte wie "größter Flop" nicht zu harsch?

Detlef Ahting - Keineswegs. Denn die niedersächsische Landesregierung und die Fraktionen von SPD und Grünen waren Sachargumenten nicht zugänglich und fühlten sich einseitig den Lobbyisten einiger Pflegeverbände verpflichtet. Mit der Pflegekammer hat Rot-Grün daher aus meiner Sicht den bisher größten Flop in der laufenden Legislaturperiode in Niedersachsen gelandet.

Viele Organisationen gegen Pflegekammer

ver.di publik - Trotz vieler Einwände und Bedenken soll der Gesetzentwurf den Landtag passieren.

Ahting - Das Projekt Pflegekammer soll offenbar durchgezogen werden, obwohl es von Anfang an viele kontroverse Diskussionen und eine breite gesellschaftliche Kritik gab. Klar gegen die Pflegekammer haben sich nicht nur ver.di und die DGB-Gewerkschaften ausgesprochen, sondern zahlreiche weitere Organisationen wie die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, der Landkreis- und Städtetag, der Sozialverband und die Arbeitgeberverbände.

ver.di publik - Und wo stehen die betroffenen Pflegekräfte?

Ahting - Schon 2013, vor der aktuell geführten öffentlichen und kritischen Diskussion, lehnten betroffene Pflegekräfte laut einer Umfrage mehrheitlich eine Kammer mit finanziellem Pflichtbeitrag ab. Seitdem haben sich tausende Beschäftigte mit ihrer Unterschrift dagegen ausgesprochen, und zahlreiche betriebliche Interessenvertretungen haben ablehnende Petitionen eingereicht. Eine solch breite Allianz kann von der Politik eigentlich nicht ignoriert werden. Doch alle Kritik traf auf taube Ohren - ein Skandal.

ver.di publik - Was sind die Hauptkritikpunkte?

Ahting - Die Kammer soll laut Rot-Grün die Berufsordnung und Weiterbildung regeln, die Qualität der Pflege sichern oder auch bei der Gesetzgebung mitwirken. Aus unserer Sicht löst dieses Bürokratiemonster aber keinerlei Probleme. Denn für Tarifverhandlungen, für das Aushandeln der Pflegesätze, für Aufsicht und Kontrolle oder für Qualitätsmaßnahmen in den Einrichtungen ist die Kammer gar nicht zuständig. Mit Kammern der freien Berufe wie etwa der Ärzte, die eigenverantwortlich arbeiten, ist die Pflegeklammer auch nicht zu vergleichen. Denn die 70.000 Pflegekräfte sind abhängig beschäftigt und an Weisungen ihres Arbeitgebers gebunden. Sie werden per Gesetz Zwangsmitglieder und müssen einen Zwangsbeitrag von 100 Euro im Jahr zahlen - das ist für viele eine unzumutbare Belastung.

ver.di publik - Warum spricht ver.di von einer Spaltung der Beschäftigten?

Ahting - Weil die Kammer nur für Kranken- und Altenpfleger sowie für Pflegerinnen im ambulanten Dienst mit dreijähriger Ausbildung eingerichtet wird. Mehrere zehntausend nicht examinierte Pflegehelferinnen und Pflegeassistenten können nur ausnahmsweise Mitglied werden. Damit werden die Belegschaften in Heimen, ambulanten Diensten und Krankenhäusern gespalten. Schon jetzt gibt es erhebliche Unruhe, Unverständnis und Wut unter den Pflegekräften über die Politik. Fazit: Die Pflegkammer ist überflüssig wie ein Kropf.