Von Heike Langenberg

Wenn Franz aus Graz und Hans aus Hamburg nach 35 Versicherungsjahren mit Durchschnittsbeiträgen in Rente gehen, kann Franz sich jeden Monat über 545 Euro mehr als Hans auf dem Konto freuen, und gezahlt wird sogar 14 Mal im Jahr. Denn die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) Österreichs bietet im Alter deutlich bessere Leistungen als die deutsche. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) unlängst vorgelegt hat.

Finanziert wird dies über einen höheren Rentenbeitrag. Er lag dort 2014 bei 22,8 Prozent im Vergleich zu 18,9 Prozent hierzulande. Allerdings werden in Österreich die Arbeitgeber stärker belastet, sie zahlen monatlich 12,55 Prozent, und nicht, wie in Deutschland, die Hälfte des Beitrags. Zu Diskussionen führe diese Ungleichheit in der Alpenrepublik nicht, sagt Werner Thum, Vorsitzender der Pensionist/innen im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Das sei schon immer so gewesen.

Dass Deutschland bei den Zahlungen deutlich unter dem österreichischen Niveau bleibt, zeigt auch eine Ende 2015 veröffentlichte Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie hat festgestellt, dass Deutschland im internationalen Vergleich nur auf ein sehr niedriges Rentenniveau kommt, Österreich zählt hingegen zu den Top 10.

Deutschland unter Niveau

Bezogen aufs zuletzt erzielte Gehalt, werden deutsche Durchschnittsverdiener/innen, die im Alter von 65 Jahren nach 45 Versicherungsjahren in Rente gehen, nach den OECD-Berechnungen in Zukunft gerade einmal 37,5 Prozent vom ehemaligen Brutto erhalten. Wegen geringerer Abzüge bleiben ihnen dann 50 Prozent vom vorherigen Netto. Die Rentenzahlungen an ihre österreichischen Pendants liegen danach zukünftig deutlich höher: Sie machen brutto 78 Prozent bzw. netto 90 Prozent des zuletzt gezahlten Gehalts aus. Hinzu kommt in Österreich ein Mindestsicherungsniveau von 12.000 Euro pro Jahr, steuerfinanziert durch Ausgleichszulagen.

Dabei sind sich Deutschland und Österreich sozial, wirtschaftlich und politisch sehr ähnlich. Allerdings sind sie, so stellen die Autor/innen der HBS-Studie fest, bei den Reformen ihrer Rentenversicherungssysteme ganz unterschiedliche Wege gegangen. In Österreich konzentriert sich die Altersversorgung nach wie vor weitgehend auf die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung, in die mittlerweile auch die Selbstständigen einbezogen wurden und deren Bestimmungen schrittweise bis 2040 auch auf Beamt/innen ausgedehnt werden.

In Deutschland wurde und wird das garantierte Niveau für die Zahlungen aus der sogenannten "ersten Säule", also der gesetzlichen Rentenversicherung, dagegen deutlich reduziert, um den Beitragssatz zu stabilisieren. Die geringeren Leistungen soll vor allem die private, aber staatlich subventionierte Vorsorge ausgleichen. Die private Vorsorge spielt in Österreich bislang keine große Rolle, sagt Thum. Zwar werde sie steuerlich gefördert, aber setze man Aufwand, Verbreitung und Ergebnis ins Verhältnis, zeige sich, dass diese Form der Vorsorge die Erwartungen nicht erfülle. Wichtiger sei die betriebliche Altersvorsorge, wobei es durch die Entwicklung an den Kapitalmärkten schon zu Kürzungen gekommen sei. Zu dieser Altervorsorge steuern die Arbeitgeber mindestens die Hälfte bei. Eine solche Vorgabe fehlt in Deutschland.

Ohne Not geschwächt

Stattdessen sollen hierzulande zukünftige Rentner/innen seit den Rentenreformen zu Beginn dieses Jahrtausends vier Prozent ihres Einkommens für die private Vorsorge nutzen. Rechnet man diese von der Politik fest eingeplanten vier Prozent übrigens mit zum in Deutschland fälligen Beitragssatz, liegt er gleichauf mit dem österreichischen. Daher kommen die fünf Autor/innen der HBS-Studie auch zu dem Schluss, "dass es auch in Deutschland keine Notwenigkeit gab, die gesetzliche Rente zu schwächen und die kapitalgedeckte Riester-Rente einzuführen". Sie kritisieren, dass bei dieser privaten Rente "die Interessen der (Versicherungs-)Unternehmen über denen der betroffenen Arbeitnehmer" stehen.

Doch auch in Österreich ist das Rentensystem nicht frei von Kritik. "Seit mehr als 55 Jahren kenne ich den Vorwurf, unser Pensionssystem sei nicht zu finanzieren", sagt Thum, der lange Jahre Direktor bei der Pensionsversicherungsanstalt, des größten Sozialversicherungsträgers des Landes, gewesen ist. Erst kürzlich habe er in alten Artikeln geblättert und festgestellt, dass die Argumente gleich geblieben seien. Doch Rentenreformen konnten immer wieder verhindert oder entschärft werden, woran unter anderem auch der ÖGB und seine Mitgliedsgewerkschaften durch Intervention in die politische Debatte einen erheblichen Anteil hatten.

Aktuell dreht sich die Diskussion insbesondere um das Renteneintrittsalter. Die Arbeitgeber wollen den Zugang zur Altersrente erschweren. Die Gewerkschaften argumentieren wie bei uns, es müssten auch die Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Menschen länger arbeiten können. 2014 lag das durchschnittliche Eintrittsalter für alle Alterspensionen nach Angaben des Sozialministeriums bei 61,2 Jahren. In Deutschland lag es bei 64,9 Jahren.