Die anhaltende Zinsschwäche gibt der viel gepriesenen privaten Altersvorsorge den Rest. Höchste Zeit, an die Stärken der gesetzlichen Rentenversicherung zu erinnern

Statisten: Irmgard in "Passion", Freilichtbühne Hallenberg, Klaus in "Robin Hood", Stadttheater Aachen; Laurentia in "Tannhäuser", Aalto Opernhaus Essen

Von Henrik Müller

"Die Rente ist sicher." Selten ist ein Politiker noch nach Jahrzehnten so verspottet, ja verhöhnt worden wie Norbert Blüm, CDU, für dieses Versprechen aus dem Bundestagswahlkampf 1986. Blüm war von 1982 bis 1998 der Bundesminister für Arbeit und Soziales. Mit "Rente" meinte Blüm die gesetzliche Altersversorgung aller abhängig Beschäftigten, ein Sicherungssystem, das inzwischen Kaiserreich, Weimarer Republik, die Jahre des Nazi-Terrors, zwei Weltkriege und - das konnte Helmut Kohls Mann fürs Soziale damals noch nicht ahnen - 40 Jahre deutsche Teilung solide überdauert hat.

Das Grundprinzip heißt Umlagefinanzierung: Alle aktiven Arbeitnehmer/innen müssen Beiträge zur Rentenversicherung leisten - entsprechend ihrem Einkommen und mit einem Zuschuss ihres Arbeitgebers in gleicher Höhe. Von diesen Beiträgen werden im folgenden Monat die Renten der aus dem Arbeitsleben ausgeschiedenen Versicherten bezahlt. Dieses Prinzip bewährt sich grundsätzlich auch anno 2016, also 30 Jahre nach Blüms Jahrhundert-Versprechen und 125 Jahre nach Inkrafttreten des "Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung" von 1891.

Was vom Herzstück übrig blieb

Die 21 Millionen bundesdeutschen Rentner/innen können sich zum 1. Juli dieses Jahr sogar auf einen ungewöhnlich kräftigen "Schluck aus der Pulle" freuen, wie es in vielen Medien heißen wird: 5,03 Prozent mehr Geld in Ost- und 4,35 Prozent mehr in Westdeutschland. Die gesetzliche Rentenversicherung ist damit nach wie vor das Herzstück dessen, was eine Super-Koalition aus Christen-Union, Sozialdemokraten, Grünen und Freidemokraten bei ihrer Kahlschlagpolitik der zurückliegenden zwei Jahrzehnte vom Sozialstaat in Deutschland übrig gelassen hat.

Aber über eines können und dürfen auch die Rente ohne Abschläge ab 63, die Mütterrente und die kräftige Rentenerhöhung des laufenden Jahres nicht hinwegtäuschen: Die gesetzliche Rente schützt immer weniger vor Altersarmut, von einer annähernden Sicherung des während der Berufstätigkeit erreichten Lebensstandards ganz zu schweigen. Zu den Ursachen dieser Entwicklung gehört der zielgerichtete Auf- und Ausbau eines riesigen Niedriglohnsektors mit Teilzeitarbeit, Minijobs, Leiharbeit, Befristungen, wo - wenn überhaupt - nur geringe Versorgungsansprüche für das Alter erworben werden können.

Vor allem aber sind es die zahlreichen, kaum durchschaubaren Manipulationen der Politik am System der gesetzlichen Rente, die zu einer massiven Absenkung des Rentenniveaus im Verhältnis zu den Löhnen und Gehältern der aktiven Arbeitnehmer/innen geführt haben. Und es wird noch schlimmer, wenn in der Rentenpolitik keine grundlegenden Änderungen durchgesetzt werden können. Der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske rechnet mit elf bis zwölf Millionen weiteren Beschäftigten, denen in Zukunft Altersarmut droht: "Hier besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Das Rentenniveau muss angehoben, Zeiten von Arbeitslosigkeit und Niedriglohnbezug müssen aufgewertet werden", so der ver.di-Vorsitzende Bsirske gegenüber ver.di publik: "Dafür wollen wir uns einsetzen, und zwar mit der gleichen Intensität, mit der wir das Thema des gesetzlichen Mindestlohns angepackt haben."

Wer sich allerdings vor Augen führt, welchen Aufruhr im Unternehmerlager, bei den Medien und vielen Politikern im Jahre 2014 die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, die zaghafte Verbesserung der Mütterrente oder die halbherzige Rente ab 63 verursacht haben, dem könnte ein bisschen bange werden. Es wird ein Propaganda-Tsunami aus Politik, Wirtschaft und Medien auf diejenigen zurollen, die die gesetzliche Rente wieder vom Kopf auf die Füße stellen, also die kapitalgedeckte private Altersvorsorge nachhaltig zugunsten der Umlagefinanzierung zurückdrängen wollen.

Riester-Anhänger heute kleinlaut

Doch vielleicht stehen die Chancen heuer nicht ganz so schlecht. Selbst neoliberal ausgerichtete Medien wie Focus und Welt schreiben inzwischen von einem "Comeback der gesetzlichen Rente", weil die lang anhaltende Zinsschwäche inzwischen die kapitalgedeckte private Altersvorsorge - einschließlich der allermeisten Riester-Verträge - noch ungünstiger werden lässt, als sie es ohnehin immer war.

Einstweilen orientieren sich Einschätzungen wie die von Focus und Welt noch an einem oberflächlichen und grundsätzlich problematischen Vergleich von zu erzielenden Renditen. Problematisch deshalb, weil sich eine Rendite in der Altersversorgung doch hauptsächlich danach bemessen lässt, wie alt man wird: Je länger einer Rente bezieht, desto höher ist die Rendite. Eigentlich eine Binsenweisheit.

Aber schon Ende Februar 2016 hat den Deutschen Bundestag eine Debatte "über das gesetzliche Rentenniveau und über Nutzen oder Nichtnutzen der Riester-Rente" erreicht, wie es der Abgeordnete Markus Kurth zur Begründung eines Antrags formulierte, mit dem Bündnis 90/Die Grünen "eine faire und transparente private Altersvorsorge" erreichen wollen. In der 1. Lesung des Gesetzentwurfs, der vom Bundestagsplenum einmütig in die zuständigen Ausschüsse überwiesen wurde, hatten auch erklärte Anhänger der Riester-Rente so recht nichts vorzubringen gegen deren De-facto-Abschaffung und blieben eigentümlich kleinlaut.

Und unser Die-Rente-ist-sicher-Minister a.D., Norbert Blüm, selber schon lange Rentner, kann sich im Fernsehen bei Plusminus freuen: "Die [menschliche, d. Red.] Arbeit als Grundlage ist immer noch sicherer, als die Alterssicherung dem Trubel der Finanzwirtschaft auszusetzen. Und ein Blick in die letzten hundert Jahre zeigt ja, wie auf der langen Strecke die [gesetzliche, d. Red.] Rentenversicherung immer gut abschneidet."