Wer sein kärgliches Arbeitseinkommen mit Leistungen des Arbeitslosengeldes II aufstockt, dem drohen Kürzungen. Darauf hat Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) bei einer ver.di-Erwerbslosentagung Anfang April in Berlin hingewiesen. Hintergrund ist der Entwurf des 9. Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs II, der Mitte April, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe der ver.di publik, erstmals im Bundestag beraten werden sollte. Insgesamt werden damit zum 60. Mal die sogenannten Hartz-IV-Leistungen reformiert, allerdings erneut ohne den großen Wurf mit grundlegenden Änderungen an diesem System.

Unter anderem beinhaltet der Gesetzentwurf, dass ein Absetzbetrag für allgemeine Werbungskosten gestrichen werden soll. 40 Millionen Euro jährlich wolle die Regierung damit einsparen, rechnet Künkler vor. Betroffen seien rund 220.000 Erwerbstätige. Hinzu komme ein Freibetrag, der einen Anreiz zur Erwerbsarbeit geben soll. Er beträgt maximal 230 Euro im Monat. Ihn sollen die Jobcenter künftig nicht mehr berücksichtigen, wenn sie vorläufig über einen Leistungsanspruch entscheiden. Das ist immer dann der Fall, wenn das Einkommen des Erwerbstätigen schwankt. Davon werden in erster Linie Selbstständige mit geringen Einkommen betroffen sein, aber auch Arbeitnehmer/innen, deren monatliches Einkommen schwankt. Damit seien die Aufstocker/innen die großen Verlierer/innen der jetzt geplanten Änderungen, so Künkler.

Eine Reform ohne klares Ziel

Bei der Tagung erläuterte Frank Jäger vom Wuppertaler Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. alle geplanten Änderungen. Insgesamt, so sein Eindruck, habe die jetzige Reform "kein klares Ziel". Mit zu den Maßnahmen, die bis zum Sommer beschlossen und am 1. August in Kraft treten sollen, zählt auch die Pauschalierung von Heiz- und anderen Betriebskosten (ver.di publik 1_2016).

Hier gehen die Erwerbslosen in ver.di davon aus, dass Betroffene bei der Nichteinhaltung der vorgegebenen Wohnkosten höhere Zuzahlungen aus dem Regelbedarf leisten müssen. "Das heute schon zu niedrige Existenzminimum wird durch die Nichtübernahme der Wohnkosten indirekt weiter abgesenkt", heißt es dazu in einer Erklärung, die die Teilnehmenden der ver.di-Konferenz verabschiedet haben.

Am Widerstand der CSU gescheitert ist die auch von ver.di geforderte Aufhebung des Sanktionssonderrechts für unter 25-Jährige. Allerdings wurde sie mittlerweile vom Bundesrat wieder in die Debatte eingebracht. In dem Entwurf fehlt auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Berücksichtigung von realistischen Heizkosten sowie für die Ersatzbeschaffung von sogenannter weißer Ware wie Kühlschränken und anderen Haushaltsgeräten.

"Wir stellen fest, dass es sich bei dem Änderungsgesetz weder um eine Reform noch um ein Reförmchen handelt", heißt es in der ver.di-Erklärung. Die Erwerbslosen in ver.di wollen jetzt den politischen Druck in der parlamentarischen Debatte erhöhen. Die Sprecher des Bundeserwerbslosenausschusses von ver.di, Ulla Pingel und Heinz Georg von Wensiersky, kündigten an, dass das Thema Existenzsicherung mit und ohne Arbeit weiterhin der zentrale Schwerpunkt bleibe. Das bedeute auch einen höheren Mindestlohn und eine Neuberechnung der Regelbedarfe. Nur existenzsichernde und dauerhafte Arbeit biete Langzeitarbeitslosen, Geringverdienenden, Aufstocker/innen und Familien mit geringen Einkommen einen Ausweg aus den "Mühlen des Hartz-IV-Systems".

hla

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