Trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung ist allein in Berlin jedes dritte Kind auf Grundsicherung angewiesen. Und das ist keine Ausnahme

Über 170.000 Kinder in Berlin leben in Bedarfsgemeinschaften, die von Leistungen der Grundsicherung nach Hartz IV abhängig sind. Insgesamt gilt damit jedes dritte Kind in der Hauptstadt als arm. Mehr als 70.000 von ihnen leben bei nur einem Elternteil. Bei mindestens 90.000 hat ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit. Diese Zahlen hat die Senatsverwaltung für Soziales vor wenigen Tagen bekannt gegeben.

Damit ist Berlin keine Ausnahme. Und das in einer Zeit, in der sich die Wirtschaft eher positiv entwickelt. Die offizielle Arbeitslosigkeit sinkt, Binnennachfrage und Löhne steigen. Dennoch lebten im Herbst vergangenen Jahres bundesweit 1,66 Millionen Kinder in Familien, die auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen waren. Das hat eine Auswertung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ergeben. Dafür hatte die Abteilung Arbeitsmarktpolitik des DGB-Bundesvorstands Daten aus dem Herbst 2015 ausgewertet.

Der DGB sieht den Arbeitsmarkt trotz der positiven Entwicklung weiterhin als gespalten an, "in Fachkräfte einerseits und einen ,abgehängten', verhärteten Kern von Langzeitarbeitslosen bzw. Hartz-IV-Langzeitbeziehern andererseits". Das habe zur Folge, dass "das Risiko, ans untere Ende der Einkommenspyramide zu rutschen, (...) mit der verbesserten Arbeitsmarktlage nicht gemindert worden" sei. Betroffen von dieser Entwicklung seien überwiegend Kinder.

Zahl bei den Kindern leicht angestiegen

Schaut man auf die Details der Auswertung sind Kinder deutlich öfter von Leistungen der Grundsicherung abhängig. Beträgt der Anteil bei den Erwerbsfähigen zwischen 15 und 64 Jahren 8,2 Prozent, sind es bei den unter 15-Jährigen 15,6 Prozent. Ihre Zahl ist im vergangenen Jahr sogar noch leicht angestiegen, während sie bei den Erwerbsfähigen leicht gesunken ist.

Die höchste Armutsgefährdung besteht in strukturschwachen Gebieten. Ein Teufelskreis. Denn dort fehlt auch häufig der öffentlichen Hand das Geld für Leistungen der Daseinsvorsorge, etwa im sozialen Bereich. Schaut man sich die Statistik nach Bundesländern an, sind - trotz eines leichten Absinkens im Vergleich zum Vorjahr - Ostdeutschland und Stadtstaaten wie Berlin und Bremen besonders stark betroffen. Aber auch Regionen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland hat der DGB als besonders gefährdet ausgemacht, insbesondere Großstädte. Hier liegt die Quote von auf Hartz-IV-Leistungen angewiesenen Kindern häufig höher als 40 Prozent.

Ebenso wie in Berlin sind auch bundesweit Alleinerziehende besonders stark betroffen, aber auch kinderreiche Familien. Als alarmierend bezeichnet es der DGB, dass fast 40 Prozent der unter 15-Jährigen bereits vier Jahre oder länger im Hartz-IV-Bezug sind. "Das Hineingeborenwerden in Hartz-IV-Verhältnisse und ein längerer Verbleib während der Kindheit in Armut sind keine Einzelschicksale in unserem Land, sondern ein breit zu beobachtendes Phänomen", heißt es in der Ausgabe 3/2016 des DGB-Infodienstes arbeitsmarktaktuell.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, darunter auch ver.di, schlagen schon seit längerer Zeit ein breites Maßnahmenbündel vor, um die wachsende Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Ein Ansatz ist der Abbau der Arbeitslosigkeit der Eltern, für den sie eine bessere finanzielle Ausstattung der Jobcenter fordern, damit diese ihre aktive Arbeitsmarktförderung verbessern können. Hinzu kommt die Förderung von guter Arbeit, die mit Löhnen bezahlt wird, von denen man auch leben kann. Auch müssen nach Meinung der DGB-Gewerkschaften die Regelsätze innerhalb des Grundsicherungssystems erhöht werden. Dazu zählen auch vorgelagerte soziale Sicherungssysteme wie Arbeitslosen- und Wohngeld sowie der Kinderzuschlag. Aber auch die soziale Infrastruktur mit Bildungs- und Betreuungsangeboten sollte ausgebaut werden, quantitativ wie qualitativ. Den Familienlastenausgleich will der DGB umgestalten.

Aktionsplan für die Zukunft der Kinder

Mit der Forderung nach einem Aktionsprogramm gegen Kinderarmut steht der DGB übrigens nicht alleine. Im September vergangenen Jahres stellte er gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände einen Aktionsplan "Zukunft für Kinder" vor. Kernstück dieses Plans ist ein familienorientiertes Fallmanagement, bei dem die Jobcenter eng mit anderen örtlichen Akteuren wie Jugendämtern und Schulverwaltungen zusammenarbeiten sollen.