Der VSB Verlagsservice Braunschweig, ein Tochterunternehmen des Verlags Westermann, will in den Tarifvertrag des Gesamtverbands Verkehrsgewerbe Niedersachsen wechseln - mit dieser Nachricht wurden die Betriebsräte und ver.di Anfang Februar überrascht. Vielen ist Westermann als Verlag bekannt, besonders durch den großen Diercke Weltatlas, den Schulkinder noch heute in ihren Ranzen schleppen. Westermann ist aber schon lange eine in viele Teilbereiche aufgespaltene Firmengruppe, die allerdings mit Verkehr nichts zu tun hat - und absonderliche Tarifvorstellungen entwickelt.

Wandel, Ausgliederung und Wechsel

Der 1838 gegründete Verlag wandelte sich durch Zukäufe und Firmengründungen zu einer Verlagsgruppe. Die Versandabteilungen der einzelnen Verlage der Gruppe wurden 1982 in die VSB Verlagsservice Braunschweig ausgegliedert. In der Selbstdarstellung heißt es heute: "Mehr als 70 Verlage haben die Auslieferung von Büchern, Zeitschriften, Spielen und CDs ganz in unsere Hände gelegt." Und nun will Westermann mit dem Betrieb VSB in den Tarifvertrag des Gesamtverbands Verkehrsgewerbe Niedersachsen wechseln.

Bevor der VSB ausgegliedert wurde, galt für die Beschäftigten der Tarif für die Buchverlage. Nach der Ausgliederung hatte der VSB viele Jahre einen Haustarifvertrag, bis der 1997 gekündigt wurde. Der Arbeitgeber trat damals in den Großhandel- und Dienstleistungsverband Braunschweig e.V. ein, ein neuer Haustarifvertrag wurde abgeschlossen. Dieser Haustarifvertrag konnte erstmals im Dezember 2015 gekündigt werden.

Das tat der VSB auch prompt und teilte ver.di mit, dass das Unternehmen nun Mitglied mit Tarifbindung im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen e.V. geworden ist. Der Trick funktioniert so: Mit dem Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen e.V. gibt es einen Tarifvertrag für die Sparte Logistik. Die Logik der VSB-Geschäftsleitung: Nun gelte auch der dort abgeschlossene Tarifvertrag. Und mit diesem Tarifvertrag besteht Friedenspflicht, Streiks sind nicht zulässig.

Der Wechsel vom Großhandel zu Speditionen und Logistik erinnert sehr an den Konflikt beim Versandhändler Amazon: Laut Amazon wird angelehnt an den Tarifvertrag für die Speditions- und Logistikbranche gezahlt, ver.di will die Tarifbindung nach dem Einzel- und Versandhandelstarifvertrag. Amazon behauptet, dass das Unternehmen eigentlich ein Logistikunternehmen sei. So will auch der VSB nach dem günstigeren Logistiktarif zahlen.

Weniger Geld, immer mehr Arbeit

Bereits die erste Tarif-"Schleife" im Jahr 1997 hatte für die Beschäftigten Nachteile gebracht. Seitdem galt der Haustarifvertrag, der die Bedingungen des Tarifvertrags für den Groß- und Außenhandel übernahm. Dieser Wechsel hat den Beschäftigten ein geschätztes Minus von 20 Prozent beschert, hauptsächlich durch die erhöhte Wochenarbeitszeit von 35 auf 37,5 Stunden. Im Jahr 2007 wurden die Beschäftigten in Einzelverträgen genötigt, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Davon waren zweieinhalb Stunden unbezahlt - eine Gehaltseinbuße von rund sieben Prozent. Dagegen haben Beschäftigte im vergangenen Jahr geklagt und gewonnen. "Das Arbeitsgericht Braunschweig urteilte, dass eine einzelvertragliche Regelung dieser Art nicht den Haustarif unterlaufen darf. In einigen Monaten soll sich das Landesarbeitsgericht Hannover noch einmal damit beschäftigen", sagt der VSB-Betriebsratsvorsitzende Sven Schaak. Das Arbeitsgericht Braunschweig kam zu dem Urteil, weil in den Arbeitsverträgen steht, dass der Haustarif angewandt wird. Da der Arbeitgeber aber die 40-Stunden-Woche behalten will, hat er einfach den Verband gewechselt, um so über den branchenfremden Flächentarifvertrag doch zum Ziel zu kommen.

ver.di-Landesfachbereichsleiter Lutz Kokemüller kann über das "Tarif-Hopping" des Arbeitgebers in den vergangenen Jahrzehnten vom Tarifvertrag für Buch- und Zeitschriftenverlage über Großhandel zu Speditionen und Logistik im Arbeitgeberverband Verkehrsgewerbe nur den Kopf schütteln. Dennoch gibt es Gesprächsbereitschaft. Mit dem Arbeitgeber sei verabredet, dass die Tarifverhandlungen zum Haustarif noch im April aufgenommen werden, sagt Lutz Kokemüller. "Zusätzlich werden wir mit unserer Rechtsabteilung klären, welche rechtlichen Auswirkungen der Wechsel des Arbeitgeberverbands hat."