Ministerin Andrea Nahles, SPD

Allmählich hat es sich offenbar bis in die höchsten Kreise von Politik und Wirtschaft herumgesprochen, dass die bereits grassierende und künftig rasant sich ausbreitende Altersarmut in der Bundesrepublik nicht mehr nur ein Problem unter vielen anderen ist. Selbst eingefleischte Protagonisten einer privaten Altersvorsorge á la Riester und Rürup wie auch ihre Vorbeter aus Finanzwissenschaft und Medien beginnen zu ahnen, dass sich an der Rentenfront sozialer Sprengstoff ansammelt.

Die DGB-Gewerkschaften hatten im September angekündigt, die Stabilisierung und Verbesserung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente zu einem ihrer zentralen politischen Anliegen im Wahljahr 2017 zu machen. Die Parteien der aktuellen Regierungskoalition möchten das Thema Altersvorsorge allerdings tunlichst aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten. So warf Kanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen des CDU-Präsidiums mit dem DGB-Bundesvorstand den Gewerkschaften noch Anfang Oktober vor, sie schürten ohne Not die Angst vor Altersarmut. Ob sie damit "der AfD in die Hände spielen" wollten, so - laut Spiegel - ihre polemische Frage, die allerdings sogar aus den eigenen Reihen prompt zurückgewiesen wurde.

Christian Bäumler, Bundesvize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), des Arbeitnehmerflügels der Union, korrigierte seine Parteichefin. "Wenn wir die Arbeitnehmer zurückgewinnen wollen, die scharenweise Rechtspopulisten gewählt haben, müssen wir die Angst vor Altersarmut ernstnehmen", zitiert ihn das Handelsblatt. "Die Verluste der CDU bei Wahlen haben mehr mit der sozialen Ungleichheit in Deutschland als mit der Flüchtlingspolitik zu tun", betonte der CDU-Politiker. Bäumler forderte als Konsequenz, das Rentenniveau schrittweise wieder auf 50 Prozent anzuheben und die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente abzuschaffen.

Auch im zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat man offenbar den Schuss gehört: Das "fortlaufende Abrutschen" des Sicherungsniveaus untergrabe das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung, heißt es laut Berliner Tagesspiegel im Ressort von Ministerin Andrea Nahles. Die ehemalige SPD-Linke persönlich hatte bei einer DGB-Veranstaltung für Mitte November das Konzept einer mehr oder weniger umfassenden Rentenreform angekündigt, bei der sie auch eine "Haltelinie" für das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente einziehen wolle. Allzu große Hoffnungen wollte die Ministerin allerdings nicht wecken, denn angesichts der zu erwartenden Kosten könnten dabei "die Bäume nicht in den Himmel wachsen", schränkte die Ministerin zur prompten Ernüchterung der Anwesenden ein.

Kurswechsel gefordert

Zum Abschluss ihres sogenannten Rentendialogs mit Vertretern von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Sozialverbänden am 31. Oktober 2016 stellte sich heraus, dass Nahles bei ihrer "Haltelinie" gar nicht unbedingt an kurzfristige Verbesserungen denkt, sondern in erster Linie an die Zeit nach dem Jahre 2030, für die sie überdies von einer zweiten Haltelinie sprach, nämlich einer nach oben, für die Höhe der Rentenbeiträge. Themen des Rentendialogs waren aber vor allem einige andere "Stellschrauben" rund um die Altersvorsorge: die Einbeziehung von drei Millionen Selbstständigen, Verbesserungen für erwerbsgeminderte Rentner/innen, Riester-Rente und betriebliche Altersversorgung, Mütter-Rente und die Angleichung des Ost-Rentenniveaus.

Was die DGB-Gewerkschaften und damit auch ver.di bei alledem fordern, ist klar: einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik. Dazu gehören - Wahlkampf hin, Wahlkampf her - sehr wohl die unverzügliche Stabilisierung und baldige Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus auf einen Stand, der wieder im Großen und Ganzen den im Arbeitsleben erworbenen Lebensstandard sichert. Und unzureichende Renten, also solche, die zum Leben hinten und vorne nicht reichen, müssen aufgewertet werden. Was sich von diesen Kernforderungen in dem angekündigten großen Wurf der Sozialministerin wiederfindet, wird sich dann Mitte November zeigen.

Aus den Reihen der Christen-Union als aktuellem Koalitionspartner wurde zunächst scharf geschossen, wenn auch mit ollen Kamellen: Nicht die Altersarmut, sondern die Armut von Kindern sei das eigentliche Problem, erklärte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, in der Frankfurter Rundschau und kramte dabei das vergilbte Bild von der aktuellen Rentnergeneration aus der Mottenkiste hervor, der es "so gut geht wie keiner zuvor". Und der Chef der Jungen Union, Nachwuchsorganisation von CDU und CSU, stimmte wieder das Klagelied an, es sei "nicht fair, alles auf Kosten der jungen Generation zu regeln", forderte aber gleichzeitig für eben diese Generation, also seine eigene Kundschaft, "eine längere Lebensarbeitszeit". Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte, das Problem der Rentenbeiträge dürfe "auf keinen Fall einseitig zu Lasten der jüngeren Generation gelöst werden".

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