Jule hat ihren Traumberuf erlernt. Dass ihr Handwerk hundsmiserabel bezahlt wird und die Bedingungen oft eine Zumutung sind, nimmt sie nicht hin

Den zerplatzten Mädchentraum sieht man ihr nicht an: Mit ihrem offenen Blick und dem kleinen kecken Kinn wirkt Jule alles andere als frustriert. Ihre Haare, Aushängeschild einer Friseurin, hat sie gleich zweifach gefärbt: den Ansatz Aubergine und die Spitzen Rosa. Lediglich der streng nach hinten gebundene Zopf, der nur wenig von dieser bunten Mischung erkennen lässt, deutet vielleicht an, dass die 23-Jährige ganz und gar nicht naiv auf ihren Beruf blickt.

Jule wollte schon als Kind Friseurin werden. Ihre Barbiepuppe war ihr erstes Modell. Manchmal musste auch der Großvater herhalten. Der sagte schon damals, dass sie mit dem Beruf zu wenig Geld verdienen werde. Friseure wurden bereits vor 20 Jahren schlecht bezahlt. Doch der Traum war hartnäckig und mit 17 unterschrieb Jule ihren Ausbildungsvertrag.

Heute ist Jule ausgelernte Friseurin. Doch traumhaft findet sie ihren Beruf inzwischen nicht mehr. Die Vergütung in der Ausbildung war ein erster Schock. Sie bekam nicht einmal 300 Euro monatlich. Eine solch schlechte Bezahlung ist keine Ausnahme in der Friseurbranche. Laut des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) bekamen Friseurauszubildende 2015 im Osten gerade einmal 269 Euro, im Westen 494 Euro brutto monatlich. Das liegt deutlich unter dem bundesweiten Gesamtdurchschnitt der tariflichen Ausbildungsvergütungen von 826 Euro.

Die Haarschneidemaschine im Nacken

Jules Leidenschaft für ihren Beruf tat der geringe Verdienst keinen Abbruch. Für sie, die auch heute noch Geringverdienerin ist, waren andere Dinge während der Ausbildung schlimmer. In ihrem Ausbildungsvertrag stand zum Beispiel, dass sie verpflichtet sei, sich zweimal im Jahr eine modische Trendfrisur zu machen. Das hörte sich zunächst harmlos an, bis sie erfuhr, dass sie sich die Frisur nicht aussuchen konnte. Auf einer zweimal im Jahr stattfindenden Trendshow hatten die Auszubildenden dem Chef und seinem Team als Modelle zu dienen.

Einmal suchte sich ihr Meister eine Auszubildende mit langen Haaren aus, um ihr vor Publikum eine Kurzhaarfrisur zu schneiden. Das Mädchen protestierte, willigte dann aber in den Kompromiss eines halblangen Bobs ein. Jule saß während der Show in der ersten Reihe. "Dann stand die Auszubildende auf der Bühne. Er machte ihr einen Zopf, setze die Haarschneidemaschine im Nacken an und zog dann eiskalt hoch." In wenigen Sekunden war das lange Haar abgeschnitten. Der Vater des Mädchens verklagte den Friseurmeister erfolgreich wegen Körperverletzung. Kein alltäglicher Fall, aber er steht symbolisch für das, was viele Auszubildende im Friseurhandwerk erleben: das Gefühl, missbraucht und ausgebeutet zu werden. Auch Jule wurde schnell klar, dass es darum ging, Profit aus ihr zu schlagen. Noch ungelernt, wurde sie als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt und auf die Kundschaft losgelassen. "Im ersten Lehrjahr stand ich ganz oft hinter dem Kunden und durfte nicht sagen, dass ich gerade erst angefangen habe."

Andere Auszubildende schildern andere Zustände. Laut einer Studie der DGB-Jugend verrichten über 10.000 Auszubildende im Friseurhandwerk regelmäßig ausbildungsfremde Tätigkeiten wie das Putzen des Salons. Drei Jahre lang. Manche werden aufgefordert, das Auto des Chefs zu waschen, das Baby zu hüten, einzukaufen oder die Privatwohnung aufzuräumen und zu putzen. Das alles für 265 Euro brutto im Monat.

43 Stunden die Woche im Schichtdienst

Mitten im 3. Ausbildungsjahr erhielt Jule die Kündigung. Sie war für mehrere Wochen krankgeschrieben - für den Geschmack ihres Vorgesetzten zu lange. Jule prozessierte, die Kündigung musste aufgehoben werden. Doch Jule wollte nicht in den Betrieb zurück.

Sie fand einen neuen Salon, um ihre Ausbildung zu beenden. Die Vergütung war nicht besser und der Zeitdruck noch schlimmer. Sie und ihre Kolleginnen wurden angehalten, die Frisuren in nur wenigen Minuten zu schneiden. Und obwohl sie einen Vertrag über eine 30-Stunden-Woche hatte, arbeitete sie bis zu 43 Stunden die Woche im Schichtdienst.

13,5 Stunden Mehrarbeit in der Woche konnte die inzwischen frischgebackene Mutter nicht leisten. Jule begann sich zu wehren. Die Antwort: "Du bist Azubi, du hast die Klappe zu halten. Sei froh, dass du überhaupt was hast." Jule arbeitete an manchen Tagen von 9 Uhr bis 20 Uhr ohne Pause. Die meisten dieser Überstunden wurden jedoch nicht bezahlt, weil sie nicht im Kundenbuch eingetragen waren. Was dort nicht stand, galt als "Untätigkeit" und wurde von den Überstunden abgezogen. Laufkundschaft, die keinen Termin hatte, wurde nicht verzeichnet. Wieder eine Überstunde weg.

Auch in anderen Branchen ist eine solche Behandlung von Auszubildenden kein Einzelfall. Laut einer Befragung der DGB-Jugend unter 13.500 Auszubildenden bekommen 8.700 Auszubildende ihre Überstunden nicht ausgeglichen. Über 8.900 Auszubildende arbeiten mehr als 40 Stunden in der Woche.

Jule schloss ihre Ausbildung ab, doch der Druck ließ nicht nach. Schlechte Bezahlung, überlange Arbeitszeiten und die Aufforderung zu Schwarzarbeit, die am Ende wieder nicht vergütet wurde. "Du wirst von Arbeitgebern so doll unter Druck gesetzt. Erpresst. Viele trauen sich nicht, den Mund aufzumachen." Doch hinter Jules mädchenhaftem Äußeren verbirgt sich eine energische Frau. Sie machte den Mund auf und kündigte erneut.

Nicht wie die Mutter

Immerhin gibt es nun den Mindestlohn. Doch auch damit reicht es oft nicht zum Leben. Viele Friseurinnen und Friseure stocken mit Hartz IV auf. Diesen Verhältnissen hat Jule den Kampf angesagt, angetrieben vom Schicksal ihrer Mutter. Die arbeitete 25 Jahre im Einzelhandel und erlebte ähnliche Schikanen. "Seit 25 Jahren sitzt sie regelmäßig weinend vor mir und erzählt mir, dass das alles immer schlimmer wird. Ich möchte nicht meinem Sohn in 20 Jahren vorheulen, wie scheiße mein Beruf ist. Ich möchte sagen, ich bin gerne arbeiten gegangen und hab eine anständige Bezahlung bekommen."

Derzeit sucht Jule einen neuen Arbeitgeber - einen, der sie fair behandelt.

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