Ausgabe 05/2017
Die Rückkehr zum Zwölfstundentag
Während sich die Staatskrise im Land weiter zuspitzt, drückt Brasiliens Regierung bei ihren sogenannten Reformen aufs Tempo. Neben der bereits erfolgten Deckelung der Staatsausgaben und einem Umbau der Sozialversicherung, verbunden mit Rentenkürzungen, stellt die Anpassung von Arbeitsgesetzen an Unternehmerwünsche eines der Kernstücke ihrer Agenda dar. Die "Reforma trabalhista" würde die Wirtschaft stimulieren, Investoren anziehen und Arbeitsplätze schaffen, heißt es in den Reklamebotschaften ihrer Unterstützer.
Dass diese Reform bei der Bevölkerung gut ankommt, ist nicht erkennbar. Am 28. April erlebte Brasilien den größten Generalstreik seit Jahrzehnten, zwei Monate später folgte ein landesweiter Aktionstag gegen den sozialen Rückschritt mit Arbeitsniederlegungen und großen Demonstrationen. Eine breite Front aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen setzt den Kongress in Brasília unter Druck.
Und unter Druck steht Präsident Temer ohnehin. Mit schwerwiegenden Beweisen wird er von Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot der Annahme von Bestechungsgeldern des JBS-Konzerns beschuldigt.
Erwerbslosigkeit auf Rekordniveau
Das Land steckt in einer tiefen Rezession. Die Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent gesunken, die Erwerbslosigkeit auf Rekordniveau geklettert. 15 Millionen stehen auf der Straße. Die politischen Eliten versinken in Korruptionsskandalen. In der Bevölkerung besitzt Präsident Michel Temer faktisch keinen Rückhalt. Selbst die Globo-Leitmedien wollen ihren früheren Schützling nun abserviert sehen. Auch auf der Weltbühne reißt sich niemand um ihn. Das Gipfeltreffen der zwanzig führenden Industrie- und Schwellenländer am 7. und 8. Juli in Hamburg wollte der Präsident sogar schwänzen. Die Hausaufgaben gehen vor. Temer möchte an der Macht bleiben - und so dem Gefängnis entgehen.
Anfang Juli fehlte nur noch die Zustimmung des Plenums des Senats zur Novelle des Arbeitsrechts. Deren zügig vorangetriebene Verabschiedung soll demonstrieren, dass der Staatschef und seine rechte Koalition die Lage beherrschen. Das große Kapital muss wissen, auf wen es sich verlassen kann.
Gesetz gegen die Gewerkschaften
Nach den neuen Bestimmungen wird der gesetzliche Achtstundentag abgeschafft. Die Arbeitszeit soll bis auf zwölf Stunden am Tag ausgedehnt werden können. Der Schutz von Schwangeren vor gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen wird gelockert. Pausenregelungen bei Überstunden sind gestrichen. Die Höhe von Entschädigungen bei Mobbing oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz soll vom Gehalt des Opfers abhängen; die Würde von Geringverdienerinnen zählt dann weniger. Über die Löhne sollen Kommissionen der Angestellten verhandeln. Gewerkschaften bei Tarifausein-andersetzungen aus den Betrieben herauszuhalten, das steht auch in Brasilien auf der Wunschliste der Patrone weit oben. Um das Projekt schnell durchzubringen, versprach Temer den Senatoren, einige strittige Punkte nach Verabschiedung durch sein Veto zu blockieren.
Paulo Skaf, Chef des Industriellenverbandes Fiesp, hält seine Hand über Temer. Es stehe der Fiesp nicht zu, erklärte er, den Präsidenten in Frage zu stellen. Sein Verband diskutiere nicht Politik, sondern Ökonomie und verteidige "strukturelle Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit". Die politisch motivierte Amtsenthebung von Dilma Rousseff im vergangenen Jahr hatte die Fiesp gefördert, Proteste gegen die von der Arbeiterpartei geführte Regierung gesponsert. Die Situationen seien "nicht vergleichbar", so der Fiesp-Boss. Stimmt genau. Peter Steiniger