Ausgabe 06/2017
Der Fluch des Niedriglohns
Minijobs und Leiharbeit sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt weit verbreitet, mit schwerwiegenden Folgen für die Beschäftigten
Mit Leiharbeit kommen selbst Superhelden nicht auf eine Rente, die zum Leben reicht
Von Heike Langenberg
Die Leiharbeit hat in Deutschland im vergangenen Jahr weiter zugenommen. Knapp eine Million Leiharbeitnehmer/innen waren Ende 2016 registriert. Das ist im Vergleich zu 2013 ein Anstieg um 16,4 Prozent. Blickt man auf das Jahr 2003, also den Beginn der so genannten Hartz-Reformen, zurück, hat sie sich sogar verdreifacht. Das geht aus Zahlen hervor, mit denen die Bundesregierung eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag beantwortet hat. Das sind knapp 3 Prozent aller Beschäftigten. Über die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse wurden 2015 - neuere Zahlen liegen hierfür nicht vor - nach weniger als drei Monaten beendet.
Der Durchschnittslohn weicht jedoch deutlich nach unten ab. Das mittlere Monatseinkommen lag 2016 in Vollzeit bei den Leiharbeiter/innen bei 1.816 Euro brutto, bei vergleichbaren Beschäftigten, die direkt bei ihren Arbeitgebern angestellt waren hingegen bei 3.133 Euro im Monat. Und nur ein Teil der Differenz ist damit zu erklären, dass Leiharbeit häufiger in Bereichen angeboten wird, in denen nur eine geringe Qualifikation erforderlich ist. Die von den Arbeitgebern geforderte Flexibilität, mit der sie ihre Auftragsspitzen abdecken wollen, wollen sie zumindest nicht extra entlohnen. Gerade auf spätere Rentenansprüche wirken sich die niedrigen Zahlungen negativ aus.
Davon betroffen sind noch weitere Beschäftigtengruppen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat 2016 jede/r fünfte Erwerbstätige in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis gearbeitet. 7,7 Millionen Menschen waren das zu diesem Zeitpunkt, die meisten von ihnen waren befristet oder geringfügig beschäftigt. Da das Statistische Bundesamt Schüler/innen, Student/innen und Rentner/innen bei dieser Erhebung nicht mitgerechnet hat, muss man davon ausgehen, dass es für viele dieser Beschäftigten schon heute schwierig ist, über die Runden zu kommen. Und Altersarmut ist für sie programmiert, wenn sie keinen Ausweg in andere Beschäftigungsformen finden.
Dazu rechnet der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske vor, dass ein Durchschnittseinkommen von 2.500 Euro brutto über 40 Beitragsjahre hinweg ab dem Jahr 2030 nur noch zu einem Rentenanspruch kurz über der Höhe der heutigen Grundsicherung reichen wird. Dabei weist er aber darauf hin, dass schon heute 50 Prozent aller Arbeitnehmer/innen nicht einmal 2.500 Euro brutto bekommen. "Bei der jetzigen Rentenpolitik laufen wir auf eine Situation zu, bei der viele Rentenempfänger nur noch um Haaresbreite von der Grundsicherung entfernt sind", so Bsirske. Das wäre eine Situation massenhafter Altersarmut.
Statt schon heute für bessere Löhne und bessere Arbeit zu sorgen, fällt arbeitgebernahen Wirtschaftsinstituten wie dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hingegen nur eins ein: Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre. Wie das bei den Belastungen, die der Arbeitsalltag heute schon mit sich bringt und die sich durch die Unsicherheit des Jobs noch verstärken, gehen soll, lassen die IW-Expert/innen allerdings offen.
Schon heute müssen viele Rentner/innen weiter arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen. Die Zahl der Minijobber/innen, die älter als 64 Jahre alt sind, ist innerhalb von zehn Jahren von 740.000 auf 1,02 Millionen gestiegen - das ist ein Anstieg um knapp 40 Prozent. Auch das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Für die meisten von ihnen reicht die Rente schon heute nicht zum Leben - und das Rentenniveau soll, politisch gewollt, bis 2030 von heute knapp 48 Prozent auf bis zu 43 Prozent absinken.