"Kontinuierliche Überwachung geht nicht mehr, Medikamente und Essen gibt es nur zeitverzögert, ein Kind nach Kopf-OP musste lange schreien, da keine Kapazität zum Füttern vorhanden war, auch Säuglinge mussten auf ihre Mahlzeiten warten", so steht es in einer Überlastungsanzeige, in der eine Krankenhausbeschäftigte die Not ihres Arbeitsalltags für ihre Vorgesetzten festgehalten hat. Und so geht es in ihrem Text weiter: "Ein Patient lag zwei bis drei Stunden in seiner vollen Windel, eine zeitnahe Reaktion auf Alarme ging auch nicht mehr. Die Praktikantin muss üblicherweise die Vitalzeichen der Frischoperierten überwachen."

Hoher Druck im Alltag

Und das ist kein Einzelfall. Es ist längst der Alltag in deutschen Krankenhäusern. ver.di liegen zahlreiche ähnliche Überlastungs- und Gefährdungsanzeigen vor. Kliniken aller Träger und Beschäftigte aller Arbeitsbereiche sind betroffen: Dauerstress, fehlende Pausen und zahlreiche Überstunden, die vor allem auf eine Ursache zurückzuführen sind: den Personalmangel. Während hierzulande eine Pflegefachkraft im Durchschnitt 13 Patient/innen versorgt, sind es in den Niederlanden nur sieben Patient/innen pro Pflegekraft. Nachts ist eine Pflegefachkraft in Deutschland durchschnittlich sogar für 26 Patienten allein verantwortlich. Die Folge sind gesundheitsgefährdende Bedingungen für Beschäftigte und Patienten. Seelische Belastungen und die körperliche Anstrengung veranlassen viele Pflegekräfte, schon früh aus ihrem Beruf auszusteigen und sich neu zu orientieren. "Der Druck ist einfach zu groß, das hält man auf Dauer nicht aus", sagt auch Sandra Kiefer-Schmidt, die seit 2002 als Krankenpflegerin im Klinikum Saarbrücken arbeitet.

Entlastung per Tarifvertrag

Im Juli 2017 hat ver.di daher ein Prozent der Krankenhäuser zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung aufgefordert. Wo die Arbeitgeber sich nicht gesprächsbereit zeigten, quittierten die Belegschaften diese Haltung entschlossen. Kliniken in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin wurden am 19. September bestreikt, am 10. Oktober folgten Streiks in sechs Kliniken. Am 11. Oktober schlossen sich erstmals Beschäftigte eines katholischen Krankenhauses, der Marienhausklinik in Ottweiler (Saarland), dem Streik an. "Die Beschäftigten haben deutlich gemacht, dass sie dringend Entlastung und Hilfe benötigen", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Denn die unternehmerische Freiheit ende dort, "wo der Gesundheitsschutz der Beschäftigten beginnt".

Flashmob für mehr Personal

Konkret fordern die Beschäftigten gemeinsam mit ver.di die Festlegung einer Mindestpersonalausstattung im Tarifvertrag. Falls diese tarifvertraglichen Vorgaben nicht eingehalten werden, soll es Regelungen zum Belastungsausgleich geben, zum Beispiel mehr Freizeit für die betroffenen Beschäftigten. Zudem müssen Ausbilder/innen für die praktische Anleitung von Azubis freigestellt werden, um die Ausbildungsqualität zu verbessern. Außerdem muss verhindert werden, dass Auszubildende Personalengpässe ausgleichen. "Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob eine weitere Eskalation nötig ist oder in Verhandlungen ein Ergebnis erreicht werden kann", sagt Sylvia Bühler.

Erfolge im Saarland

Die Saarländer Klinikbeschäftigten sind sogar schon ein Stück weiter. Sandra Kiefer-Schmidt und ihre Kolleg/innen haben im Januar und März 2017 für mehr Personal via Tarifvertrag gestreikt - und trotz großen Widerstands und erheblicher Einschüchterungsversuche durch die Arbeitgeber mit einigem Erfolg. Verhandlungen werden inzwischen an einigen Kliniken des Saarlands geführt. Die Landesregierung hat reagiert und angekündigt, als eines der ersten Bundesländer im Krankenhausplan 2018 verpflichtende Vorgaben zur Besetzung von Pflegestellen machen zu wollen. Inzwischen ist das saarländische Krankenhausgesetz soweit geändert, dass solche Personalvorgaben im Krankenhausplan 2018 auch festgeschrieben werden könnten und damit gerichtsfest wären. Sandra Kiefer-Schmidt ist stolz auf ihre Kolleg/innen, die trotz Überlastung Großartiges geleistet hätten. "Dass wir jetzt gemeinsam mit Kollegen aus ganz Deutschland für Entlastung kämpfen, freut mich", sagt die 34-jährige Krankenpflegerin. Die Bewegung ziehe Kreise, und die dürften ruhig noch größer werden. "Denn es muss sich endlich etwas bewegen!"

Für eine gesetzliche Regelung

Neben der Tarifbewegung für mehr Personal und Entlastung im Krankenhaus setzt sich ver.di auf der politischen Ebene für bundesweit verbindliche Personalvorgaben per Gesetz für alle Pflegebereiche ein, die sich am individuellen Pflegebedarf der Patient/innen orientieren.

Die im August 2017 gestarteten Beratungen über ein Gesetz, das bindende Personaluntergrenzen nur für Teilbereiche der Pflege vorsieht, reichen allerdings nicht aus. Denn Untergrenzen "dürfen nicht als Maßstab für eine gute Versorgung und als Rechtfertigung für weiteren Abbau von Personal in besser ausgestatteten Krankenhäusern missbraucht werden", so Sylvia Bühler. Für eine gute und sichere Versorgung der Patienten muss es laut Berechnungen von ver.di 162.000 Stellen in Krankenhäusern mehr geben, davon 70.000 allein im Pflegebereich. Und als praktische Soforthilfe sollte keine Pflegefachkraft mehr in einer Schicht allein arbeiten. Diese Forderung ist so eingängig wie überlebensnotwendig.