Mitte August hat die Fluggesellschaft Air Berlin ihre Insolvenz erklärt. Interview mit Christine Behle, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands

Es ist kurz nach 12 für Air Berlin. Und für die Beschäftigten?

Die Bundesregierung hatte mit einem Bundesdarlehen von 150 Millionen Euro dazu beigetragen, dass der Flugverkehr bei Air Berlin zunächst weitergehen konnte. Inzwischen ist der Verkauf eines Teiles des Unternehmens an Lufthansa vollzogen. ver.di geht es vor allem um die Zukunft der 8.000 Beschäftigten.

ver.di PUBLIK - Täglich gibt es neue Meldungen zu Air Berlin. Wie ist die Situation tatsächlich?

Christine Behle - Schlecht, und ich würde es gern noch drastischer ausdrücken. Was hier geschieht, ist Kapitalismus in Reinform, das habe ich so noch nicht erlebt. Die Zukunft der Beschäftigten ist zurzeit noch völlig ungewiss. Nur die vergleichsweise wenigen Beschäftigten der österreichischen Tochtergesellschaft Niki Air und der Dortmunder Luftverkehrsgesellschaft Walter haben durch den Verkauf dieser beiden Air-Berlin-Töchter einen sicheren Arbeitsplatz.

Für alle anderen hat zumindest schon die Lufthansa erklärt, es handele sich nicht um einen Betriebsübergang. Wer bisher bei Air Berlin gearbeitet hat, könne - und müsse - sich daher bei ihnen neu bewerben. Es ist ein Drama für die Beschäftigten. Sie sollen sich auf ihre eigenen Arbeitsplätze bewerben, ohne die geringste Sicherheit, die auch wieder zu bekommen. Mit Easyjet wird zurzeit über einen großen Teil der Flugzeuge verhandelt. Wir hören, es sollen zwischen 22 und 31 sein. Es ist noch offen, ob Easyjet das weiterverfolgt, und wenn nicht, wer dann einspringt.

ver.di PUBLIK - Wie bewertet ver.di das?

Behle - Erstmal muss ich, bezogen auf die Lufthansa, feststellen: Wir sind der Auffassung, es ist ein Betriebsübergang. Dass die Beschäftigten sich jetzt auf ihre eigenen Stellen bewerben und viele von ihnen dabei auf der Strecke bleiben sollen, ist ein Skandal. Deshalb wird ver.di die Mitglieder, die zu einer Klage dagegen bereit sind, auch juristisch unterstützen.

Christine Behle

ver.di PUBLIK - Wie haben die Beschäftigten reagiert?

Behle - Natürlich wussten sie schon lange, wie prekär die Lage bei Air Berlin ist. Trotzdem haben sie ihren Job qualifiziert und engagiert gemacht, gerade in den letzten Wochen, in denen viele gemeinsam daran gearbeitet haben, das Grounding, also das Einstellen des Flugbetriebs, zu verhindern. Zu Recht sind die Beschäftigten jetzt wütend darüber, dass man ihnen ihre Rechte nehmen will. Ich sehe aber schon, dass viele sich das nicht gefallen lassen wollen und bereit sind, vor Gericht zu ziehen. Doch das wird ein langer, mühsamer Weg, der uns bis zum Europäischen Gerichtshof führen kann.

ver.di PUBLIK - Was hat ver.di bisher getan?

Behle - Wir haben in den letzten Wochen mit jedem Politiker gesprochen, der mit der Insolvenz von Air Berlin zu tun hat. Wir haben versucht durchzusetzen, dass das Bundesdarlehen an Bedingungen wie die verbindliche Übernahme der Beschäftigten geknüpft wird. Aber die Politiker haben, bis auf Appelle, nichts wirklich getan. Ihr Interesse war vor der Bundestagswahl deutlich größer als jetzt. Wenn dann der Verkaufsprozess ganz abgeschlossen sein wird, sind sie uns und die Beschäftigten mit ihren Forderungen los. Und mein Eindruck ist: Genau das wollen sie auch. Natürlich versuchen wir auch, die Kolleginnen und Kollegen bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen zu unterstützen. Bei den Azubis gelingt das schon gut.

ver.di PUBLIK - Worüber hat ver.di mit dem Insolvenzverwalter verhandelt?

Behle - Ende September haben wir gemeinsam den Sozialplan unterschrieben, dazu gehört als Kernstück die Einrichtung einer Transfergesellschaft für mindestens sechs Monate. Das ist notwendig, aber eine Lösung des Problems ist es nicht.

ver.di PUBLIK - Was wäre die Lösung?

Behle - Wir wollen, dass die Lufthansa und die anderen Käufer von Air Berlin die Beschäftigten übernehmen - ohne neue Bewerbungen und unter Anrechnung der Zeiten, die sie schon bei Air Berlin gearbeitet haben. Bisher zeigen die Erwerber sich aber hartleibig. Wir können sie zu nichts zwingen, nur argumentieren. Air Berlin hat die Beschäftigten und die Öffentlichkeit getäuscht, als die Geschäftsführung erklärt hat, sie habe für 80 Prozent der Mitarbeiter Arbeitsplätze. Gemeint war nur: Sie dürften sich bewerben. Von der Lufthansa hieß es Ende September: Talente könnten sich ja bewerben. Das ist zynisch.

Interview: Claudia von Zglinicki