Ausgabe 03/2018
Knallharte Konkurrenz
Bei Real heißt es, man müsse in den "Angriffsmodus" zurückkehren
Ende März 2018 platzte die Bombe: Real, eine Tochter des Metro-Konzerns mit rund 250 großen SB-Warenhäusern, begeht Tarifflucht. Eine neu eingestellte Verkäuferin soll etwa in Nordrhein-Westfalen auf rund 800 Euro monatlich verzichten. Auch die "Alten", aktuell rund 34.000 Beschäftigte, werden zur Kasse gebeten, falls die Pläne greifen. Droht der Branche jetzt ein Flächenbrand?
"Handel ist Krieg"
Für den Schlachtruf "Handel ist Krieg" finden sich verschiedene Urheber. Einer saß lange an der Metro-Spitze. Die Tradition setzt sich fort. Bei Real heißt es jetzt, man müsse in den "Angriffsmodus" zurückkehren.
Mit allen Mitteln hin zu niedrigen Kosten, das ist das Mantra im Verdrängungswettbewerb. Eine knallharte Konkurrenz beherrscht das Geschehen. Zuletzt wurden die Supermärkte von Kaiser ́s und Tengelmann durch Edeka und Rewe geschluckt. Andere wie Quelle, Neckermann, Schlecker, Hertie und Praktiker sind in die Pleite gerutscht. Auch viele kleinere Händler verschwinden. Der Dynamik aus Rabattschlachten und langen, viel zu teuren Öffnungszeiten halten sie nicht stand. Hinzu kommt der oft unterschätzte digitale Wettbewerb.
Doch es gibt auch viele Profiteure. Von 2005 bis 2015 sind die Nettogewinne im Einzelhandel um 30 Prozent auf 16,9 Milliarden Euro hochgeschnellt. Diese Tendenz setzt sich laut Branchenexperten fort.
"Jeder gegen jeden" heißt es aber auch in der Top-Liga, und es gibt Umsatzverlagerungen. Real wird zu den Wackelkandidaten gezählt, die dringend nach neuen Konzepten suchen müssen. Das geschieht auf dem Rücken der Beschäftigten, wie sich zeigt. Begründet wird das mit "Kostennachteilen" beim Personal. Dabei zahlen die meisten Taktgeber und Konkurrenten im Lebensmittelhandel - Kaufland, Aldi, Lidl, die Metro-Märkte und zu Teilen Rewe und Edeka - mindestens Tarif.
Bereits 2015 hatte der Real-Mutterkonzern - Gewinnprognose aktuell 1,58 Milliarden Euro - erstmalig die Reißleine gezogen. Real blieb im Handelsverband HDE, wechselte aber in die OT-Mitgliedschaft ("ohne Tarifbindung"). Diesen Weg haben schon viele Firmen eingeschlagen. Und die damit einhergehende Erosion der Flächentarifverträge hat messbare Folgen: Öffentliche Kassen werden durch Erwerbs- und Altersarmut immer stärker belastet, weil einige Händler ihre fragwürdigen Geschäftsmodelle über diesen Weg mitfinanzieren lassen. Inzwischen ist nur noch weniger als ein Drittel der Beschäftigten im Einzelhandel per Tarif geschützt. Knapp 120.000 stocken mit Hartz IV auf.
ver.di kämpft um die Tarifbindung
Der Kampf um Tarifbindung hat daher für ver.di höchste Priorität. Zu den Erfolgen gehörte neben Esprit oder Ikea seit Sommer 2016 auch Real: Nach einer Streik- und Protestwelle kam ein "Zukunftstarifvertrag" zustande. Real kehrte zurück in den Flächentarif und fast alle Läden und Jobs konnten gesichert werden. Dagegen standen der befristete Verzicht auf Gehaltserhöhungen und gekürzte Sonderzahlungen 2017 bis 2019. Verabredet wurde auch, eine neue Entgeltstruktur zu verhandeln.
Doch dann erfolgte nach etlichen Runden der Überraschungsangriff: Das im Februar vorgelegte Modell sieht sieben Tarifgruppen ab 1.630 Euro vor - bis zu 40 Prozent weniger. In erster Linie würde es alle "Neuen" treffen, da für die "Alten" eine Zulage geplant ist. Aber auch sie hätten Abstriche hinzunehmen, so etwa bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
"Solch ein Deal war und ist mit ver.di nicht zu machen", sagt Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. "Wir stellen uns auf harte Auseinandersetzungen ein." Es sei höchste Zeit für allgemeinverbindliche Tarifverträge.
"Tarifflucht ist der völlig falsche Weg"
Weil die ver.di-Tarifkommission die Billigtarife nicht akzeptierte, ließ die Metro die Verhandlungen jetzt platzen. Werner Klockhaus, Vorsitzender des Metro-Konzernbetriebsrates und des Gesamtbetriebsrats von Real, lehnt Dumping-Verträge entschieden ab: "Die Tarifverträge, die jetzt bei Real zur Geltung kommen sollen, fangen bei 1.600 Euro Brutto für Vollzeit an. Das ist skandalös. Tarifflucht ist der völlig falsche Weg. Alle unsere Kolleginnen und Kollegen brauchen Tarifentgelte, die zum Leben reichen."
Doch dafür stehen die Chancen gerade nicht gut. Das Unternehmen soll erneut umgebaut werden und künftig im Metro-eigenen Arbeitgeberverband AHD vertreten sein. Tarifverträge will das Management mit dem DHV abschließen, einem als Pseudo-Gewerkschaft kritisierten Verein, der für Gefälligkeitstarifverträge bekannt ist.
Durch den Ausstieg aus der Tarifpartnerschaft mit ver.di könnte "eine sehr negative Kettenreaktion" im Handel ausgelöst werden, sagt Werner Klockhaus, der auch Mitglied der Aufsichtsräte bei der Metro AG und Real ist: "Wenn jetzt nicht endlich die Politik zugunsten einer Allgemeinverbindlichkeit eingreift, droht die komplette Auflösung der Flächentarifverträge." Und das geht uns alle an.