ver.di spricht viele Sprachen Die Zahl der ver.di-Mitglieder mit Migrationshintergrund ist deutlich gestiegen, vor allem im Transportgewerbe, Handel und Gesundheitswesen

Aktion des ver.di-Bundesmigrationsausschusses 2015

Sie sprechen kaum Deutsch. Sind in Deutschland nicht integriert. Und doch zahlen die 20 Lkw-Fahrer aus Rumänien, die alle vier bis acht Wochen mit David Merck und einem Dolmetscher im Bamberger Gewerkschaftshaus sitzen, klaglos ihre Beiträge an ver.di. Sie lassen die verdiente Samstagsnachmittagserholung sausen, um sich bei Merck über Arbeitnehmerrechte in einer Branche zu informieren, die dafür bekannt ist, weder fürsorglich noch großzügig mit ihren Beschäftigten umzugehen.

Merck ist als Gewerkschaftssekretär in Mittelfranken zuständig für die Mitglieder im Transportgewerbe. Er kann durchaus stolz darauf sein, die rumänischen Fahrer angeworben zu haben. Denn es ist alles andere als einfach, Arbeitnehmer ohne deutschen Pass für die Gewerkschaft zu gewinnen. Sprachbarrieren erschweren die Kommunikation erheblich. Nicht immer wissen Arbeitnehmer, wie sehr sie von gewerkschaftlicher Unterstützung profitieren können. Bisweilen haben Gewerkschaften in ihren Herkunftsländern einen zweifelhaften Ruf. Auch Furcht vor negativen Folgen kann verhindern, dass man sich in der Gewerkschaft engagiert.

Dennoch ist die Zahl der Mitglieder ohne deutschen Pass in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Seit 2010 beobachtet ver.di erheblich mehr Beitritte aus der Türkei, aus Italien, Griechenland, Polen und Kroatien, eine Steigerung, für die es laut Romin Khan, ver.di-Referent für Migrationspolitik, zwei Gründe geben kann: Zum einen die mit der Eurokrise verbundene verstärkte Migration nach Deutschland. Zum anderen konnten wohl auch Beschäftigte aus der zweiten Generation der ehemaligen Anwerbestaaten gewonnen werden.

Die größte Steigerung allerdings verzeichnet ver.di von Kollegen und Kolleginnen aus Osteuropa, allen voran Ungarn, Bulgarien und Rumänien - eine Folge der seit 2011 bzw. 2014 geltenden uneingeschränkten Freizügigkeit für Arbeitnehmer dieser Länder. In Mercks Fachbereich organisieren sich die meisten Beschäftigten ohne deutschen Pass, nämlich 10.703 Menschen. 8.685 arbeiten im Gesundheitswesen, 8.165 im Handel und 7.772 im Verkehr.

ver.di-Button und Flyer helfen

Auch Merck, der erst seit anderthalb Jahren als Gewerkschaftssekretär arbeitet, wusste anfangs nicht recht, wie er die Rumänen ansprechen sollte. Ein ver.di-Button und der mehrsprachige Flyer zu den Betriebsratswahlen halfen immerhin beim Erstkontakt. "Ce este Consiliul de intreprindere?" fragt der Flyer. "Was ist ein Betriebsrat?" Die Rumänen zu Veranstaltungen einzuladen, auf denen Deutsch gesprochen wurde, war allerdings zwecklos. "Wir konnten nicht kommunizieren", sagt Merck. Lange habe er vor Ort nach passenden Formaten gesucht. Schließlich kristallisierte sich eine Lösung heraus: Merck begann, gezielt Arbeiter anzusprechen, die unter ihren rumänischen Kollegen besonderes Ansehen genossen. "Das ist das Erfolgsmodel!", sagt er heute. "Ein Rumäne wird durch einen Rumänen geworben, das ist meine tiefe Überzeugung! Wenn ein Mensch aus demselben Kulturkreis zu mir sagt: Mach mit, die Gewerkschaft ist cool, überzeugt mich das."

Er lud die rumänischen Kraftfahrer gesondert ein und stellte sicher, dass jemand dolmetschte. Denn: "Aufklärung ist entscheidend." Nötig war Vertrauensarbeit. "In Rumänien werden Gewerkschaften als Lohndrücker wahrgenommen und gelten als korrupt. Das erste, was ich den rumänischen Fahrern erklärt habe, war, dass sich mit unserer Hilfe ihr Einkommen verbessern kann." Er betont: "Man muss sehr einfach reden, keine Fachbegriffe. Und sich wirklich viel Zeit nehmen." Komplexe Zusammenhänge lässt Merck von einer Agentur ins Rumänische übersetzen.

Die Arbeit lohnt sich. Denn ohne gewerkschaftliche Unterstützung stehen die Fahrer schlecht da. "In der Branche werden viele Fahrer um ihre Überstunden gebracht. Die Arbeitgeber glauben, dass sie mit den Rumänen alles machen können", sagt Merck. Der größte Beratungserfolg gelang Anfang 2017. Damals wollte der Arbeitgeber der Lkw-Fahrer einen neuen Vertrag durchsetzen. Bezahlt werden sollte nur noch die tatsächlich gefahrene Zeit. Die vielen Stunden Bereitschaft, die Lkw-Fahrer absitzen müssen, wären unter den Tisch gefallen. Mit Mercks Rückendeckung und auf Betreiben eines rumänischen ver.di-Mitglieds weigerte sich die Belegschaft, den Vertrag zu unterschreiben. Und setzte sich durch.

Danach traten viele Fahrer ver.di bei. Und seither waren es mal mehr, mal weniger Mitglieder. Abbuchungsprobleme traten auf. Man verlor zehn Mitglieder. Vor ein paar Wochen, nach einer Veranstaltung, kamen allerdings fünf hinzu.

Merck ist zuversichtlich, räumt aber ein: "Wir werden wohl niemals einen Betriebsrat einsetzen können. Man müsste permanent übersetzen, wenn einer ein Problem hat und die Sprache nicht spricht. Das in Echtzeit zu leisten, ist aus meiner Sicht schwierig." Er bezweifelt auch, dass seine Lkw-Fahrer wagen würden, gegen den Arbeitgeber zu klagen, wenn dies nötig wäre.

"Die Angst, dass sie zurück nach Rumänien müssen", sagt er, "kannst du richtig fühlen."


Faire Mobilität

Der Deutsche Gewerkschaftsbund berät im Rahmen des Projekts "Faire Mobilität" auch Lkw-Fahrer/innen. Mehr Infos: www.faire-mobilitaet.de