Ausgabe 02/2019
Karlsruhe überprüft Hartz-IV-Strafen
Kommt Hartz IV jetzt zu Fall? In der großen Politik haben neben der Linkspartei zuletzt jedenfalls auch die Spitzen von Grünen und Sozialdemokraten (siehe Seite 11) das System grundsätzlich in Frage gestellt. Das umstrittene, zum Teil verhasste Prinzip des angeblichen Förderns und teilweise schikanösen Forderns könnte nach 15 Jahren seiner unseligen Existenz vor dem Aus stehen, wenn sich politische Mehrheiten dafür zusammenfinden.
Läppische Verstöße
Zumal auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach mehrjähriger Vorbereitung im Januar 2019 die öffentliche Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorgesehenen Strafen für unbotmäßige Kund*innen der Jobcenter aufgenommen hat. Unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7.16 geht es in Karlsruhe um die Frage: Darf der deutsche Staat einem Bezieher von Hartz-IV-Leistungen das vom Gesetzgeber selbst festgelegte Existenzminimum für drei Monate kürzen oder komplett vorenthalten, um ihn auf diese Weise für zum Teil läppische Pflichtverletzungen zu bestrafen, die ansonsten nicht einmal als Ordnungswidrigkeiten gelten und schon gar keine Straftaten sind?
Das Sozialgericht Gotha hatte diese Frage mittels einer sogenannten Richtervorlage wiederholt aufgeworfen und erwartet vom Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung. Dabei machen die Richter*innen aus Thüringen deutlich, welche Folgen es haben kann, wenn Jobcenter Hartz-IV-Berechtigten das Existenzminimum vorenthalten: körperliche Mangelerscheinungen bis hin zum Tod, Depressionen bis hin zur Selbsttötung.
Kürzen „nicht statthaft“
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, betonte einer Zeitung zufolge zu Verhandlungsbeginn in Karlsruhe, der Sozialstaat müsse „ein Mittel haben, die zumutbare Mitwirkung“ von Leistungsbeziehenden „auch verbindlich einzufordern“. Leistungskürzungen für Verweigerer seien „mit Blick auf die Gemein- schaft und insbesondere die Steuerzahler geboten“, so der Sozialdemokrat.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske wies allerdings gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auf die Definition des Verfassungsgerichts hin, nach der die Grundsicherung gemäß Hartz IV bereits das Existenzminimum darstellt: „Also ist das Kürzen von Hartz IV nicht statthaft, denn das Existenzminimum darf nun einmal nicht unterschritten werden. Das wäre mit der Würde des Menschen nicht vereinbar.“ Bsirske gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass „das Bundesverfassungsgericht seiner bisherigen Linie folgt und entsprechend entscheidet. – Das Urteil aus Karlsruhe wird erst in einigen Monaten erwartet. Henrik Müller