Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro die Stunde angehoben werden – laut dem SPD-Konzept

Eine große Koalition aus CDU, CSU und SPD regiert Deutschland seit 2013. Doch längst schon wenden sich immer mehr Menschen von den sogenannten großen bzw. einstmals großen Volksparteien ab. Wählten 2013 noch 41,5 Prozent eine der beiden Unionsparteien, waren es vier Jahre später noch 32,9 Prozent. Im Politbarometer für den Februar 2019 sind es nur noch 31 Prozent. Ähnlich sieht es bei der SPD aus. 25,7 Prozent der Stimmen im Jahr 2013 schrumpften vier Jahre später auf 20,5 Prozent. Aktuell liegen die Sozialdemokraten bei 15 Prozent. Damit wurden sie – so die Ergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen im Politbarometer – von den Grünen mit 20 Prozent deutlich überholt, die AfD liegt mit 13 Prozent derzeit knapp hinter der SPD.

Doch derzeit arbeiten die Union und die SPD wieder an einer eigenständigen Ausrichtung. „Sowohl die Union als auch die SPD überdenken gerade die eigenen Positionen; sind dabei, sich gegenüber Teilen der eigenen Stammwählerschaft zu reprofilieren“, sagt der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Während die CDU sich mit ihrer neuen VorsitzendenAnnegret Kramp-Karrenbauer wieder etwas konservativer ausrichtet, erinnert sich die SPD an das Wort „sozial“ in ihrem Namen.

Im Februar hat der SPD-Parteivorstand ein Sozialstaatskonzept vorgelegt. Mit darin enthalten: Eine Grundrente, die deutlich über der Grundsicherung liegt (siehe Seite G1). Die längere Zahlung von Arbeitslosengeld I, gestaffelt nach Beitragszeiten, aber auch durch die Teilnahme an Qualifizierungen oder einer Umschulung auf bis zu drei Jahre. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 12 Euro pro Stunde statt derzeit 9,19 Euro. Und die Abkehr von Hartz IV.

Die Hartz-Gesetze waren ab 2003 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden. Durch Hartz IV waren 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt worden. Das Gesetz hatte zu einem starken Anstieg der Armut in Deutschland geführt. Der Regelsatz für Alleinstehende liegt aktuell bei 424 Euro im Monat. In Folge der damaligen Arbeitsmarktreformen ist auch der Niedriglohn-Sektor in Deutschland stark angewachsen.

Ein neues Bürgergeld

Was jahrelang innerhalb der SPD als Tabu gegolten hat, will der Parteivorstand jetzt angehen. Statt Hartz IV soll ein sogenanntes Bürgergeld gezahlt werden. Wer drei Jahre Arbeitslosengeld I bezogen hat, soll dann noch zwei weitere Jahre Zeit haben, bis das eigene Vermögen angerechnet wird oder der Zwangsumzug in eine andere Wohnung droht. Für Kinder soll es eine eigene Grundsicherung geben. Auch die Sanktionen – siehe Bericht Seite 10 – will die SPD zukünftig entschärfen. „Wir können mit Fug und Recht sagen: Wir lassen Hartz IV hinter uns“, sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles bei der Vorstellung des vom Parteivorstand beschlossenen Konzepts.

„Die SPD macht auf mich schon den Eindruck, als würde sie jetzt ganz bewusst strategische Positionen markieren, die das traditionelle Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit wieder deutlich in den Vordergrund rücken“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in einem Zeitungsinterview. Von Seiten des Koalitionspartners gab es hingegen heftige Kritik. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier, hessischer Ministerpräsident, sprach von einer „Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft“. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder warnte gar vor einem „ideologischen Linksruck“ innerhalb der Koalition.

Angesichts dieser Kritik sagte Bsirske, die SPD müsse ihr Vorhaben jetzt auch durchhalten: „Wer nachhaltig Vertrauen zurückgewinnen will, muss verlässlich sein.“ Nur so lassen sich Wählerstimmen dauerhaft zurückgewinnen.