"Gewinnorientierung wird inzwischen überall groß geschrieben", sagt Bernd Becker, der bei ver.di in Sachsen-Anhalt für das Gesundheitswesen zuständig ist. Das spüren auch die Beschäftigten der Salzlandkliniken in Sachsen-Anhalt. Die ehemals kommunalen Krankenhäuser wurden im Jahr 2012 von der Schweizer Unternehmensgruppe Ameos Holding AG übernommen. Seitdem hat sich in den Kliniken in Aschersleben-Staßfurt, Schönebeck, Haldensleben und Bernburg viel verändert. Im Konflikt mit Ameos sehe man derzeit wie unter einem Brennglas "die negativen Auswirkungen der Kommerzialisierung auf Arbeitsbedingungen und Einkommen", sagt Becker. Seit der Übernahme durch Ameos seien schon über 300 Stellen in der Pflege abgebaut worden.

Katrin B. ist Krankenschwester und arbeitet seit 1991 an einer Salzlandklinik. "Ich habe das Gefühl, der Patient wird inzwischen als ein Werkstück angesehen, das vorne kaputt in die Klinik gefahren wird und am nächsten Tag hinten heil wieder herauskommen muss", so beschreibt die 53-Jährige die Auswirkungen der Privatisierung – die Klinik als Fabrik. "Das widerspricht komplett meiner Auffassung von Pflege."

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Kaputt rein, repariert wieder raus – so stellen sich die privaten Klinikbetreiber die Patientenpflege vorLightpoet/Panthermedia

Weniger Gehalt, Drohungen und Kündigungen

Die Salzlandkliniken sind die einzigen tariflosen Akutkrankenhäuser in Sachsen-Anhalt. Die Gehälter hat der kommerzielle Klinikbetreiber Ameos im Jahr 2012 eingefroren. Krankenpfleger*innen verdienen nun bis zu 500 Euro weniger als Beschäftigte an vergleichbaren Kliniken in der Region. Die Folge: Das Personal ist immer schwieriger zu halten, die Arbeitsbelastung steigt. Doch statt in die Beschäftigten und damit in die Versorgungsqualität der Patienten zu investieren, verweigert Ameos Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft. Verhandeln will die Geschäftsführung nur mit den Betriebsräten, und zwar über einzelne formlose Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, sogenannte Regelungsabreden. Die aber bieten keinen vergleichbaren Schutz. Genau deshalb haben die Betriebsräte diese sogenannten "Zukunftspakete" von Ameos abgelehnt.

Die Beschäftigten fordern die Anwendung des Flächentarifvertrags für den öffentlichen Dienst,TVöD, für alle Mitarbeiter*innen an allen Standorten. Auf die Forderung reagiert die Geschäftsführung mit massivem Druck auf Beschäftigte und Betriebsräte: mindestens 15 fristlose Kündigungen, ausgesprochen kurz nach einem Warnstreik im Dezember 2019, und die Drohung 800 Arbeitsplätze abzubauen. Diesen Einschüchterungsversuchen treten die Belegschaften der Salzlandkliniken nun mit einem starken Zeichen entgegen: In einer Urabstimmung haben sie Ende Januar 2020 mit großer Mehrheit für den unbefristeten Streik gestimmt.

Und damit stemmen sie sich mutig gegen einen mächtigen Gegner. Denn die Ameos Holding AG wird von der Carlyle Group beherrscht. Der US-amerikanische multinational tätige Private-Equity-Investor verfolgt vor allem ein Ziel: schnelle und hohe Gewinne. Um dies zu erreichen, kaufen Private Equity Fonds und vergleichbare Profithaie Unternehmen, treiben ihren Marktwert durch Zukäufe, Restrukturierungen und Rationalisierungen in die Höhe und verkaufen sie in der Regel nach drei bis sechs Jahren mit erheblichen Gewinnen weiter. "Buy and Build" (Kaufe und baue) wird diese Strategie genannt. Dabei ist es nicht unüblich, dass die Unternehmen von einer Private-Equity-Gesellschaft an die nächste verkauft werden.

Profitgier: Menschen bleiben auf der Strecke

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Auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten haben internationale Finanzinvestoren wie die sogenannten Private Equity Fonds das deutsche Gesundheits- und Sozialwesen für sich entdeckt: Durchschnittlich 18,6 Prozent Rendite haben die in Deutschland aktiven Fonds im Jahr 2017 nach Berechnungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT) erzielt. Tendenz steigend. Die Anzahl der Käufe hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent erhöht. Diese Entwicklung betrifft sämtliche Versorgungsbereiche: Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste, Krankenhäuser, Rehakliniken sowie Arzt- und Zahnarzt- praxen, medizinische Versorgungszentren und Homecare-Unternehmen. Im Jahr 2017 wurden allein in der Altenpflege Einrichtungen mit 40.000 Pflegeplätzen von derartigen Fonds übernommen. Auch Immobilieninvestoren sind zunehmend auf dem deutschen Pflegemarkt zu finden. So sind Altenpflegeheime in Innenstadtlagen häufig Ziel solcher Spekulanten.

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Quelle: pwc, Mai 2017

Auf der Strecke bleiben die Menschen. Sie werden den Profiten nachgeordnet. Alte Menschen müssen in Außenbezirke ausweichen, Beschäftigte büßen Mitbestimmungsmöglichkeiten und schützende Tarifverträge ein. Mitarbeiter*innen werden zu reinen Kostenfaktoren, Outsourcing ist an der Tagesordnung. Die Qualität der Patientenversorgung leidet unter den schlechteren Arbeitsbedin-gungen. "In der Gesundheitsversorgung aber muss es um Menschen und um Würde gehen, nicht um Profitmaximierung," betont Sylvia Bühler, die Mitglied im ver.di-Bundesvorstand ist. Eine qualitativ hochwertige Versorgung müsse das oberste Ziel in der gesundheitlichen Daseinsvorsorge sein. Pflegebedürftige Menschen sind eben keine kaputten Werkstücke. Deshalb unterstützt ver.di die Belegschaft der Salzlandkliniken in ihrem aktuellen Konflikt mit dem privaten Klinikbetreiber Ameos und nimmt vor allem auch die Politik in die Pflicht.

Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits gemacht. Ein Durchbruch für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in der Krankenhauspflege ist erzielt. ver.di war maßgeblich an der Entwicklung des "Personalbemessungsintruments PPR 2.0" beteiligt und erwartet nun, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das vorgeschlagene Instrument übernimmt und bundesweit einheitlich einführt. Auf diese Weise würden alle Betreiber von Krankenhäusern – ob privat, freigemeinnützig oder öffentlich – zur Einhaltung der gleichen Personalstandards verpflichtet werden. Und zeitgleich mit einer Entlastung der Beschäftigten würden die Lohnkosten als Wettbewerbsfaktor unwichtiger werden. Denn nicht die internationalen Groß-Aktionäre, sondern vor allem Pflegebedürftige und Beschäftigte sollen vom deutschen Gesundheits-und Sozialwesen profitieren. Und genau dafür wird ver.di sich auch weiter stark machen.