Ausgabe 02/2020
Zukunftsfähiger Wandel
Was hat Gewerkschaft mit Klimaschutz zu tun? Eine Menge. Denn Klimawandel und Klimaschutz stellen die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Mehr Klimaschutz, ökologisches Handeln und Nachhaltigkeit, dafür setzen sich junge Menschen zum Beispiel mit der sozialen Bewegung "Fridays for Future" auf der ganzen Welt ein. Auf dem Bundeskongress im Herbst 2019 hat ver.di sich mit ihnen solidarisch erklärt.
Im Rahmen der Energiewende in Deutschland soll der Ausstieg aus der Kernkraft bis zum Jahr 2022 und der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2038 vollzogen sein. Ziel ist ein umweltfreundlicherer, emissionsärmerer Energiemix durch eine verstärkte Nutzung von Wind-, Solar- und Wasserkraft. ver.di macht sich für diesen ökologischen Umbau ebenso stark wie für die Beschäftigten in den betroffenen Branchen. Sozialverträglichkeit ist die Maßgabe, damit dieser Umbau nicht zu Lasten von guter Arbeit und sozialer Sicherheit geht, eben nicht zu Lasten der Beschäftigten. ver.di nimmt hier sowohl den Staat als auch die Arbeitgeber in die Pflicht.
Doch wie fühlt es sich für junge Beschäftige an, in einer dieser Branchen zu arbeiten? Wo sehen sie ihre beruflichen Perspektiven? Und was denken sie zum Thema Nachhaltigkeit am eigenen Arbeitsplatz? Das haben wir vier Beschäftigte in der Ver- und Entsorgung gefragt.
„Den Anschluss nicht verpassen“
Simon Quack, 24, ist Elektroniker für Betriebstechnik im Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Er ist der Vorsitzende der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung bei der RWE Power AG, die das Kraftwerk in Nordrhein-Westfalen betreibt.
Im Kraftwerk arbeite ich in der E- und Leittechnik. Ich übernehme Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten. Dazu kommen viele Arten von Messungen, wie die Überwachung der Temperatur im Kessel. Das ist ein Beitrag dazu, dass das Kraftwerk produktiv arbeiten kann und es beispielsweise nicht zum Ausfall eines Blocks kommt.
Das Kraftwerk hat mich schon als Kind fasziniert, und viele meiner Familienmitglieder arbeiten bei der RWE Power AG. Deswegen habe auch ich meine Ausbildung in Niederaußem gemacht. Früher hat man in der Region immer gesagt: Wer bei RWE anfängt, geht auch bei RWE in die Rente. Mir war aber bewusst, dass es bei mir anders sein wird. Denn die Braunkohle ist eben ein Auslaufmodell. Und tatsächlich wurde ich erstmal nur befristet für ein Jahr übernommen. Danach habe ich ein knappes Jahr bei einem Unternehmen gearbeitet, das auf erneuerbare Energien spezialisiert ist. Die Firma hat mich aufgrund meiner hochwertigen Ausbildung mit Kusshand genommen. Aber als ich die Chance hatte, zurück ins Kraftwerk Niederaußem zu wechseln, habe ich sie wahrgenommen. Trotz des Kohleausstiegs. Denn bei RWE habe ich einen guten Arbeitsplatz.
Die Energiewende muss kommen, diese Diskussion brauchen wir gar nicht zu führen. Aber dass der Kohleausstieg sozialverträglich gestaltet wird, das ist entscheidend. Das Kraftwerk Niederaußem, zumindest der jüngste und modernste Block, läuft bis 2038. Deswegen finde ich das Thema Weiterbildung sehr wichtig, damit wir als Beschäftigte den Anschluss an den Strukturwandel nicht verpassen. In Zukunft wird es beispielsweise neue Speichertechnologien für Energie geben, die betrieben und betreut werden müssen. Deshalb setze ich mich nicht nur für entsprechende Weiterbildungen ein, sondern vor allem dafür, dass die berufliche Erstausbildung in Zukunft breiter aufgestellt wird. Ziel sollte sein, dass die Azubis nicht nur die Kraftwerkstechniken kennenlernen, sondern auch Wind- und Wasserkraftanlagen oder Wärmespeichermöglichkeiten."
„Mit meinem Gewissen gut vereinbar“
Sophia Nerrether, 24, ist Fachkraft für Abwassertechnik. Außerdem ist sie die Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei den Berliner Wasserbetrieben.
Biologie hat mich schon immer interessiert. Über die Berufsberatung bin ich nach dem Abitur auf die Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik gekommen, das ist ein umwelttechnischer Beruf in der Ver- und Entsorgung. Und ein Job, den ich gut mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Das ist für mich genauso zentral, wie einen krisensicheren Beruf mit guten Rahmenbedingungen zu haben. Der Aspekt Umwelt ist für meine und die nachfolgenden Generationen einfach sehr wichtig.
Während meiner Ausbildung habe ich Wasserwerke, Klärwerke, den Kanal- betrieb und das Rohrnetz kennengelernt. Ökologisches Handeln ist dabei immer selbstverständlicher Teil der Ausbildung gewesen, wie zum Beispiel der richtige Umgang mit Ressourcen und Abfällen. Ein Abfallprodukt bei der Abwasserreinigung in den Kläranlagen ist der Klärschlamm. Mit Hilfe chemischer Prozesse gewinnen wir daraus Phosphat zurück. Das ist ein seltener Rohstoff. Bei einer guten Wasseraufbereitung und einer ebensolchen Abwasserbeseitigung steigt zudem der Hygienestandard in der Stadt signifikant. In Berlin haben wir einen geschlossenen Wasserkreislauf, bei dem keine Ressourcen verloren gehen. Mit der Reinigung des Abwassers sind die Berliner Wasserbetriebe also eine wichtige Komponente beim Umweltschutz. Und als großes Unternehmen können wir auch neue Reinigungsverfahren testen und so Erfahrungswerte schaffen, die für eine nachhaltige Entwicklung notwendig sind.
Außerdem finde ich Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit auch direkt am Arbeitsplatz wichtig. Inzwischen drehe ich die Heizung immer ein bisschen runter, um Energie zu sparen. Seit es im Unternehmen Trinkwasserspender gibt, kaufe ich kein Sixpack mehr, sondern fülle meine Wasserflasche einfach dort auf. Und wenn ich auf einen Außentermin zu einem Klärwerk fahre, kann ich ein Elektro-Auto aus dem Fahrzeug-Pool nehmen. Mit einer ganz einfachen Sache aber kann jede*r Einzelne von uns viel zur Nachhaltigkeit und zum Wasserschutz beitragen. Ich sage nur: Die Toilette ist kein Mülleimer!"
„Die Regierung lässt sich zu viel Zeit“
Sophie Neises, 25, ist Kauffrau für Büromanagement bei der energis-Netzgesellschaft mbH in Saarbrücken. Der regionale Netzbetreiber ist für die Planung, den Betrieb und die Vermarktung des Strom- und Gasverteilnetzes zuständig.
Beruflich bin ich momentan in der Welt der erneuerbaren Energien unterwegs. Ich beschäftige mich mit allen Vorgängen, die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWK) zu tun haben. Dabei betreue ich gewerbliche und private Kunden, die zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage bauen wollen. Wenn es genügend Kapazitäten im Stromnetz gibt, genehmige ich diesen Antrag. In der Folge kümmere ich mich um das gesamte Vertragsmanagement. Bisher gibt es für diese Anlagen eine staatliche Förderung, die über die Netzbetreiber abgewickelt wird.
Allerdings gibt es derzeit noch den sogenannten 52-Gigawatt-Deckel, der die Förderung von Solaranlagen nur bis zu einer installierten Leistung von insgesamt 52 Gigawatt vorsieht. Dieser Wert ist bald erreicht und deshalb läuft die Förderung eventuell bald aus. Aktuell lässt sich die Bundesregierung zu viel Zeit, diese Deckelung endlich aus der Gesetzgebung zu nehmen. Denn man kann nicht auf der einen Seite sagen, die Energieversorgung in Deutschland soll grüner werden und auf der anderen Seite die Förderung streichen. Nichtsdestotrotz ist die Energiebranche natürlich schon eine Branche mit Zukunft, in der ich gerne alt werden will.
Dass ich im Bereich der erneuerbaren Energien arbeite, kann ich nur als Glücksgriff bezeichnen. Denn die grünen Energien sind ein wichtiger Baustein für die nachhaltige Energieversorgung. Allerdings müssen die Netze dementsprechend ausgebaut werden, damit die erneuerbaren Energien in Zukunft verstärkt genutzt werden können. Das ist natürlich mit hohen Investitionen verbunden und muss langfristig geplant werden.
Um die Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz voranzutreiben, hat mein Arbeitgeber Elektro-Autos angeschafft, mit denen die Techniker*innen unterwegs sind. Außerdem betreibt die Firma Photovoltaik-Anlagen. Ich persönlich versuche, so wenig Papier wie möglich zu verbrauchen und habe gemeinsam mit einem Kollegen eine Fahrgemeinschaft gegründet. Das sind kleine, aber trotzdem sinnvolle Schritte in die richtige Richtung."
„Zukunftsängste habe ich nicht“
Christoph Braun, 24, ist Mechatroniker bei der RWE Nuclear GmbH. Er arbeitet im Kernkraftwerk Emsland in Lingen und engagiert sich als Jugend- und Auszubildendenvertreter. Darüber hinaus ist er der Vorsitzende der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung (KJAV) bei der RWE AG.
Meine Ausbildung im Kernkraftwerk Emsland habe ich 2017 beendet. Seitdem bin ich in der Leittechnischen Werkstatt im Kernkraftwerk eingesetzt. Ich überwache und prüfe Sensoren, die Werte wie Temperatur und Druck in den einzelnen Systemen des Kraftwerkes messen. So trage ich dazu bei, die Sicherheit im Kraftwerk zu gewährleisten.
Dass der Schwerpunkt der Aufgaben im Bereich Kernenergie sich vollständig ändern würde, vom sicheren Betrieb zum sicheren Rückbau, war mir schon zu Beginn meiner Ausbildung bewusst. Doch die Berufsausbildung zum Mechatroniker ist multifunktional und vielfältig. Deshalb sehe ich für mich gute Chancen, später auch in anderen Industriezweigen einen Job zu finden. Zukunftsängste habe ich also erst einmal nicht. Zudem: Wenn der Standort Lingen im Jahr 2022 als eines der letzten Kernkraftwerke vom Netz geht, werde ich meinen Job behalten können. Denn dann folgt in den nächsten 15 bis 20 Jahren der Rückbau, zu dem RWE Nuclear als Betreiber politisch verpflichtet ist. Für mich ergibt sich dadurch eine langfristige Perspektive auf einen sicheren Job. Das kann vermutlich kaum ein anderer Arbeitgeber in der Industrie so bieten.
Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie finde ich dennoch traurig. Denn die nukleare Stromerzeugung ist direkt am Standort CO₂-neutral. Wenn man diese Technik beherrscht, und das tun wir in Deutschland, dann könnte die Kernenergie für die Zukunft der Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen. Und zwar als Stütze zu den erneuerbaren Energien: Wenn die Kernenergie die Grundlast liefern und die grüne Stromerzeugung den Rest der Stromlast erzeugen würde, würden wir Emissionen vermeiden. Andere Länder machen das. Deutschland hat sich gegen diesen Weg entschieden. Natürlich muss die Frage der Entsorgung des Atommülls geklärt werden.
Für das Klima sind Energiewende und Kohleausstieg grundsätzlich richtig. Wichtig ist aber, dass dies für die betroffenen Beschäftigten sozialverträglich gestaltet wird. Dafür machen wir uns mit unseren Mitbestimmungsrechten in der KJAV und im Konzernbetriebsrat stark. Natürlich ist neben dem Arbeitgeber RWE hier auch die Politik gefragt."