Sie ist noch kein Jahr alt: die Forderung, 1.000 Kliniken im ganzen Land zu schließen. Und doch klingt sie wie aus einer anderen Zeit. Im Sommer 2019 fand das radikale Ansinnen der Bertelsmann Stiftung prominente Unterstützer. Und noch im Februar dieses Jahres wünschte sich der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mehr Mut in der Debatte um mögliche Krankenhausschließungen. Die Zentralisierung der deutschen Krankenhauslandschaft sollte weiter vorangetrieben werden. Kostenreduktion war die oberste Triebfeder.

In der aktuellen Corona-Krise scheinen diese Maximen nun fast vergessen: Ende März 2020 beschloss der Bundestag das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz. Es sieht hohe Prämien für den Ausbau von neuen Intensivbetten vor. Um jedes zusätzliche Bett, jeden Klinik-Standort wird nun gerungen. Die flächendeckende Versorgung, in Zeiten der Pandemie nimmt auch die Politik dieses Ziel auf einmal wieder in den Blick. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte Anfang April 2020, dass die marktwirtschaftliche Organisation des Gesundheitswesens an ihre Grenzen komme. "Einige Krankenhäuser sind kaputtgespart worden", sagte Heil und forderte mehr staatliche Verantwortung.

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Wollen nicht aufgeben, Beschäftigte des Klinikums in PeineFoto: Jelca Kollatsch

Krankenhaus ausgeblutet

In der niedersächsischen Stadt Peine steht eine dieser kaputtgesparten Kliniken. Seit dem Verkauf des ehemaligen Kreiskrankenhauses Peine an die AKH-Gruppe im Jahr 2003 wurde die Anzahl der Betten kontinuierlich abgebaut und nötige Investitionen blieben aus. Pläne zur Sanierung des Herzstücks eines jeden Akut-Krankenhauses, dem OP-Bereich, gibt es beispielsweise seit 2012. Umgesetzt wurden diese Maßnahmen allerdings nie. Nun hat die AKH-Gruppe Ende März 2020 das Insolvenzverfahren für den Standort Peine eingeleitet. Doch das Klinikum ist wichtiger Bestandteil der örtlichen Daseinsvorsorge. "Wir sollten alles dafür tun, diese Klinik zu sichern. Wir können doch nicht zusehen, wie ein funktionierendes Krankenhaus ausblutet, während wir auf der anderen Seite mühsam versuchen, etwa in Hotels Behelfskrankenhäuser auf die Beine zu stellen", sagt der zuständige Gewerkschaftssekretär Jens Havemann.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wirkt die drohende Schließung der Klinik noch absurder. Die 750 Beschäftigten, die im Klinikum Peine auch Patienten mit Covid-19-Infektionen versorgen, sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. "Viele unserer Kolleg*innen haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, und überlegen daher, an ein anderes Krankenhaus zu wechseln", sagt die Betriebsratsvorsitzende Christine Leckelt. Ziel des Betriebsrates sei es jetzt, eine starke Abwanderung von Beschäftigten zu verhindern, damit das Klinikum funktionsfähig bleibe. Denn nur dann sei eine Neuorientierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens überhaupt möglich. "Wir geben hier noch lange nicht auf", sagt die 57-jährige Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege. Die Belegschaft halte zusammen.

Die Beschäftigten erwarten jetzt ein starkes Signal aus der Politik, dass sie in ihrem Kampf um den Erhalt des Standortes nicht alleine stehen. Absichtsbekundungen vom Landkreis und der Stadt Peine, das Klinikum zurück in die öffentliche Hand zu führen, reichen nicht aus. Eindeutige Zusagen werden jetzt gebraucht. Für die Zukunft der Beschäftigten, aber auch für eine wohnortnahe, bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung.

"Die Entscheidung über Klinikstandorte darf nicht dem Markt überlassen werden. Die Politik muss im Rahmen einer regionalen Krankenhausplanung im Dialog mit den Akteur*innen vor Ort festlegen, welche Kapazitäten gebraucht werden – und deren Finanzierung sicherstellen", sagt Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. Jens Havemann betont, dass Beschäftigte aus der gesamten Region derzeit auf Peine blickten. Denn "die Zukunftssicherung für das Klinikum ist eine absolute Frage der Glaubwürdigkeit", so der Gewerkschafter.

Anfang April 2020 forderte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, das Gesundheitssystem nach der Corona-Krise grundsätzlich neu zu überdenken. In Peine gibt es schon jetzt die Chance, die Weichen für die Zukunft der Gesundheitsversorgung neu zu stellen und staatliche Verantwortung zu zeigen. Eine Abkehr von der Profitorientierung im Gesundheitswesen ist längst überfällig.