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Manchmal muss es Satire sein – Aktion der prekär arbeitenden Lehrkräfte in LeipzigFoto: Gundula Lasch

Alexandra hat die Nase voll, genauso wie Katja, Yasmin, Karl und Eva. Sie arbeiten als freiberufliche Lehrkräfte in Leipzig und unterrichten Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und leiten Integrationskurse. Aber es ist gleich, ob sie an der Volkshochschule oder privaten Sprachschulen wie Berlitz, Inlingua & Co. unterrichten – wenn sie nicht arbeiten können, bekommen sie keinen Cent. Denn der Zugang zur Arbeitslosenversicherung ist den Solo-Selbstständigen verwehrt.

"Wegen der Corona-Pandemie wurden seit März alle Kurse abgesagt. Wann der normale Betrieb wieder aufgenommen werden kann, weiß bis heute keiner", sagt Yasmin, die an einer privaten Sprachschule unterrichtet und seit dem Lockdown kein Geld mehr bekommt. Die Soforthilfe des Bundes griff bei den Honorarlehrkräften nicht, denn diese Mittel sind ausschließlich für die Finanzierung von Betriebskosten vorgesehen, nicht aber für Miete und täglichen Bedarf. Also blieb den meisten der hochqualifizierten Lehrkräfte – etwa 15.000 arbeiten in Deutschland allein im Bereich DaZ/Integrationskurse – nur die sogenannte Grundsicherung.

Doch damit nicht genug: Beschäftigt mit ihrer unfreiwilligen Erwerbslosigkeit, häuslicher Kinderbetreuung und dem krampfhaften Nachdenken über mögliche alternative Lehrmethoden, wurden sie über die Monate mit immer neuen Anforderungen konfrontiert. Die Bildungsträger – ihre Auftraggeber – bekamen regelmäßig Briefe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), in denen die Durchführung der Sprach- und Integrationskurse vorgeschrieben wurde, und zwar immer wieder anders. "So wurden wir zum Beispiel aufgefordert, Methoden für den Online-Unterricht zu entwickeln, ohne selbst dafür ausgebildet zu sein", sagt Franziska, die seit vielen Jahren an einer privaten Sprachschule unterrichtet. Außerdem sei fraglich, ob Online-Unterricht zum Beispiel für Geflüchtete überhaupt möglich wäre, denn die meisten von ihnen verfügen bestenfalls über ein Smart- phone.

In dieser vertrackten Situation wollen die Leipziger*innen nicht verharren. Deshalb haben sie sich gemeinsam mit angestellten Kolleg*innen aus der Erwachsenenbildung in der Leipziger Initiative "Lehrkräfte gegen Prekarität" organisiert. "Wir wollen genauso gegen Arbeitslosigkeit abgesichert sein wie andere Erwerbstätige. Deshalb fordern wir den verpflichtenden Zugang zur Arbeitslosenversicherung auch für Solo-Selbstständige", fasst Honorarlehrkraft Katja das Ziel der Initiative zusammen. Ein erneuter Corona-Lockdown oder andere Ereignisse könnten die Lehrkräfte sonst immer wieder zwingen, auf Hartz IV angewiesen zu sein. "Das ist entwürdigend, wenn man ebenso arbeitet wie vergleichbare Angestellte." Sie wünschen sich keine "Extrawurst", sondern ein einheitliches solidarisches System zur sozialen Sicherung, in das alle einzahlen.

Zuspruch in der Straßenbahn

Die Erfahrung der Lehrkräfte: Etwas ändern wird sich nur, wenn sie sichtbar werden, ihre Forderungen auf die Straße tragen. Am 24. Juli trafen sie sich deshalb in der Leipziger Innenstadt. "Wir zahlen gern für die Krise!", so das satirische Aktionsmotto der Gruppe. Auf große Schilder hatten sie "Nehmt meine 2,4 Prozent!" oder "Monatliche Abbuchungen jetzt!" geschrieben. Dabei hatten sie auch ausgefüllte Aufnahmeanträge für die Arbeitslosenversicherung, die sie im Anschluss direkt zur Agentur für Arbeit brachten.

Auf dem Weg dorthin kamen die Akteur*innen in der Straßenbahn mit Fahrgästen ins Gespräch und erfuhren viel Zuspruch. "Fast niemand wusste, in welcher Situation wir sind", sagt Karl, Lehrer an der Volkshochschule und Gründer der dortigen ver.di-Betriebsgruppe. Schon dafür habe es sich gelohnt, rauszugehen.

Allen ist klar, dass ein Erfolg nicht von heute auf morgen zu erwarten ist. Aber sie sind bereit, dicke Bretter zu bohren. Von ihrer Gewerkschaft haben sie volle Unterstützung: "Auf der politischen Ebene diskutieren wir die soziale Absicherung Solo-Selbstständiger intensiv", sagt Veronika Mirschel vom ver.di-Referat Selbstständige. Ein erster Schritt war der bezahlbare Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung zum Jahresbeginn 2019.

Weitere Themen auf der Agenda sind die gesetzliche Rentenversicherung, die auch Solo-Selbstständige vor Alters- armut schützen soll, sowie der bezahlbare, faire Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Die "Leipziger Lehrkräfte gegen Prekarität" werden dranbleiben, gemeinsam mit vielen anderen Solo-Selbstständigen, die sich für ihre Interessen formieren – nicht nur wegen, auch trotz Covid-19.