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Wer will schon noch abheben, wenn Corona möglicherweise mitfliegt?Foto: Marks/picture alliance/dpa

"Was uns hier jetzt um die Ohren fliegt, ist der Wahnsinn"

Nicole K., 47 Jahre, ist Flugbegleiterin bei der Lufthansa

"Ich war zuletzt im April unterwegs auf der Kurzstrecke, da haben wir noch Leute aus Risikogebieten abgeholt. Seither warte ich auf einen Dienstplan. Im Mai wurde ich auf Kurzarbeit gesetzt. Für mich persönlich begann die Corona-Krise aber schon im Januar in Shanghai, als wir erfuhren, dass die Stadt nicht so leer ist, weil Chinesisches Neujahr ist, sondern weil die Lage wegen Corona brenzlig wurde. Gleichzeitig fiel in Wuhan der Lockdown, und wir sollten das Hotel bis zum Rückflug nicht mehr verlassen. Schon auf dem Rückflug sind wir mit Masken an Bord geflogen, und das wurde dann ganz schnell Standard bei den Crews. Die Situation an Bord hat sich peu à peu verändert, bis auch alle Passagiere Masken tragen mussten.

"Es ist sehr zäh, wir müssen zäher sein und durchhalten."

Wir hatten SARS, wir hatten den 11. September, aber das, was uns hier jetzt um die Ohren fliegt, ist auf gut Deutsch der Wahnsinn und schockiert uns alle. Und dass es so lange dauert, damit hat niemand gerechnet. Es ist sehr zäh, wir müssen zäher sein und durchhalten.

Wir haben seit Beginn der Krise keine geplanten Dienste mehr, sondern nur noch Bereitschaftsdienste. Wir werden ganz spontan eingesetzt, es ist auf nichts mehr Verlass. Ich fühle mich manchmal sehr hilflos deswegen. Ich bin früher Krankenschwester gewesen und habe zunächst gedacht, das ist ein Grippevirus, das wird nicht so schlimm. Tatsächlich ist es zu einer Katastrophe geworden für so viele Branchen, wir sind da ja nicht allein. Trotzdem habe ich mich während des Lockdowns oft allein gefühlt. Ich bin mal für die Lufthansa hierher nach Frankfurt gezogen, dass ich dann auf einmal nicht mehr einfach zu meinem Vater nach Nordrhein-Westfalen oder zu Freunden konnte, das war schwierig für mich. Da war ich wirklich froh, dass ich den Kontakt zu den Kolleginnen in einer Whats-App-Gruppe und auf Facebook hatte. Da schrieb auch mal jemand nachts um halb zwei, "Leute ich kann nicht schlafen, ich habe einfach Angst". Und da war dann immer jemand da, der auch wach war und geantwortet hat, "hallo, schreib mir, ruf mich an, lass uns reden". Dieser Zusammenhalt ist großartig.

Wir sind alle sehr gut vernetzt, haben eine ganz große Facebook-Gruppe, in der von den 22.000 Beschäftigten mittlerweile 11.000 drin sind. Ich erhalte wie die meisten anderen Kurzarbeitsgeld, das derzeit auch immer noch etwas von der Lufthansa aufgestockt wird. Ich bin froh über das Kurzarbeitsgeld und hoffe, dass wir noch lange vom Thema Kündigung verschont bleiben.

"Ich möchte weiter fliegen"

Ich würde in meinen alten Beruf zurückkehren, wenn es die einzige Alternative bliebe. Das wäre ein bisschen ein Abenteuer, nach fast 24 Jahren zurück ins Krankenhaus zu gehen. Aber eigentlich möchte ich weiter fliegen. Ich mag diesen Beruf sehr, den täglichen Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen und gerade in der derzeitigen Situation auch mit den unterschiedlichsten Problemen: "Habe ich die richtige Maske auf?" – "Oh, ich muss eine Einreisekarte ausfüllen, können Sie die bitte mal auf Italienisch übersetzen?" Das finde ich großartig, das reizt mich. Es ist so vielschichtig, wie ich es bisher in keinem Beruf erlebt habe.

Ich stelle mir natürlich auch die Frage, wie wird das alles in Zukunft sein. Ich glaube, in den nächsten ein, zwei Jahren wird sich nicht viel verändern. Wir werden die Masken an Bord beibehalten, wir werden gewisse Regeln an Bord beibehalten. Wir haben anfangs den Service an Bord extrem runtergefahren, um den Kontakt zu den Fluggästen einzuschränken, damit sich niemand infiziert. Diese Maßnahme wird langsam zurückgefahren. Für den Tourismus ist das dennoch alles eine Katastrophe. Je mehr Ansagen von den Regierungen kommen, je mehr Risikogebiete ausgegeben werden, hält das die Leute zuhause. Als Krankenschwester verstehe ich das, ich würde auch sagen, bleibt besser zuhause. Als Lufthanseatin sage ich, bitte, bitte fliegt."

"Wir versuchen, Ruhe zu bewahren"

Marion S., 60 Jahre, arbeitet bei TUI Deutschland und ist derzeit freigestellte Betriebsrätin

"Was hat sich durch die Pandemie verändert? Für das erste halbe Jahr hat das Reisegeschäft komplett brach gelegen. Das bedeutet keine Einkünfte für einen Reiseveranstalter, nur Ausgaben. Der Antrag auf staatliche Unterstützung zeigt, wie ernst die Lage ist. Die Belegschaft der TUI ist in Kurzarbeit mit einem Beschäftigungsgrad von circa 50 Prozent. Anfangs geplant bis zum 30. September soll der Zeitraum nun bis 31. Dezember verlängert werden. Durch die Lockerungen konnte das Geschäft im Sommer neu gestartet werden, aber am Ende konnte nur etwa ein Drittel des üb- lichen Geschäfts realisiert werden. Und dadurch dass jetzt immer mehr Ziele zu Risikogebieten erklärt werden, flacht das Geschäft wieder stark ab.

"450 Arbeitsplätze sollen ohnehin wegfallen"

Noch immer sind auch etwa 85 Prozent der Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice. Bislang ist das nahezu ungeregelt. Hinzu kommt, dass die TUI Deutschland sich aktuell ohnehin in einer umfangreichen Neustrukturierung befindet. Bis Ende 2021 sollen rund 450 Arbeitsplätze wegfallen.

In der Betriebsratsarbeit versuchen wir derzeit Regelungen für Arbeiten im Homeoffice zu erreichen. Hinzu kommen viele Beratungsgespräche mit unseren Kolleginnen und Kollegen, die zu Recht sehr ver- unsichert sind.

"Hier kämpft eine ganz Branche ums Überleben und ist nicht vom Engagement der Beschäftigten abhängig, sondern von einem nicht zu kalkulierenden Virus."

Ich persönlich bin in Sorge, was mit der TUI Deutschland passiert, wenn es kein Wintergeschäft gibt. Wir versuchen, Ruhe zu bewahren, trotzdem ist die Lage sehr angespannt.

Der Tourismus hat im Prinzip jedes Jahr unter einer neuen Krise zu leiden, die die Beschäftigten mit ihrem Engagement bisher immer bewältigen konnten. Doch niemand hätte sich vorstellen können, je in diese Situation zu kommen. Hier kämpft eine ganz Branche ums Überleben und ist nicht vom Engagement der Beschäftigten abhängig, sondern von einem nicht zu kalkulierenden Virus. Das macht die Beschäftigten ohnmächtig und hilflos.

Kann der Staat helfen? Ja! Die Unternehmen müssen weiterhin finanziell gestützt werden. Das Kurzarbeitergeld muss verlängert werden inklusive Zuschläge. Und vor allem berufstätige Eltern müssen unterstützt werden."

"Die nächsten Jahre werden in dieser Branche die Hölle"

Philip W., 32, ist Reiseverkehrskaufmann bei Ivory Tours

"Ich bin quasi seit zehn Jahren ausgelernt in der Tourismusbranche tätig. Mit den zwei Jahren Tätigkeit in einem Reisebüro vor meiner Ausbildung habe ich inzwischen 15 Jahre Berufserfahrung. Meine Eltern haben schon seit über 35 Jahren ein Reisebüro. In den letzten Jahren hat sich dann ja schon gezeigt, dass Reisebüros nicht mehr so gewinnbringend sind, was schließlich dazu geführt hat, dass ich mich umgesehen habe, was ich noch in der Branche tun könnte. So bin ich zu Ivory Tours gekommen, einem Reiseveranstalter, der hauptsächlich Reisen nach Westafrika organisiert, eine Gegend, die mich sehr reizt.

Theoretisch bin ich bei Ivory Tours seit knapp zwei Jahren angestellt, nur derzeit wegen Corona praktisch in 100 Prozent Kurzarbeit. Ivory Tours ist ein sehr kleiner Veranstalter. Ich baue zum einen den Reisebürovertrieb auf, bin aber auch für Sales zuständig, berate Kunden am Telefon oder per E-Mail. Ganz selten bin ich auch mal vor Ort in den Zielgebieten, kaufe Hotels ein, spreche mit den Tour-Guides, konzipiere Reisen. Ich finde Traumberuf ist immer ein bisschen so eine Plattitüde, eine komische Umschreibung von Lohnarbeit, mit der man seine monatlichen Kosten decken muss. Aber im Regelfall macht mir meine Arbeit viel Spaß, auch weil man interessante Leute kennenlernt.

Unsere Stärke ist, dass wir Reisen in eine Region anbieten, wo kaum jemand sich traut, allein auf eigene Faust hinzureisen. Aber das Interesse an der Elfenbeinküste oder Ghana ist da. Nur jetzt unter Corona ist alles schwierig, weil die allermeisten Länder dort nur über ein schlechtes Gesundheitssystem verfügen. Es fehlt auch die komplette Logistik dafür, Corona im Land überhaupt nachzuverfolgen. Aktuell sind seitens der Bundesregierung ohnehin für alle Länder außerhalb der EU Reisewarnungen ausgesprochen.

"Ich telefoniere einmal im Monat mit meinem Chef"

Gerade haben wir mal wieder eine Ghana-Buchung reinbekommen, seit Wochen die erste. Normalerweise haben wir fünf, sechs, sieben Touren pro Woche, jetzt sind es fünf, sechs, sieben pro Jahr. Das reicht natürlich vorn und hinten nicht. Wir haben daher nur noch einen eingeschränkten Betrieb. Wir sind alle in Kurzarbeit. Ich telefoniere einmal im Monat mit meinem Chef und leite dann ein paar E-Mails weiter.

"Bis Leute wieder regelmäßig an die Elfenbeinküste, nach Ghana oder in den Senegal reisen werden, wird noch sehr viel Zeit vergehen"

Natürlich überlege ich, was ich anderes tun könnte, mache einen Plan B und auch einen Plan C. Vor knapp fünf Monaten habe ich schon auf Facebook eine Interessengruppe gegründet, die Interessengemeinschaft Kurzarbeit. Da versuche ich mich vor allem mit Menschen zu vernetzen, die stark von Kurzarbeit betroffen sind. Wir tauschen uns graswurzelmäßig untereinander aus. Mittlerweile sind auch ein paar Gewerkschaftssekretäre in der Gruppe unterwegs, was ich cool finde, weil die einem verschiedenste Tipps geben können im Umgang mit dem Arbeitgeber, aber auch mit dem Jobcenter.

Klar ist bei allem der Gedanke da, wie das alles weitergeht. Als jemand, der Reisen nach Afrika verkauft, kann ich mir vorstellen, dass erst einmal hauptsächlich in Deutschland gereist werden wird. Vielleicht auch in abgespeckter Form in Europa. Aber bis Leute wieder regelmäßig an die Elfenbeinküste, nach Ghana oder in den Senegal reisen werden, wird noch sehr viel Zeit vergehen.

Meine Eltern haben für ihr Reisebüro alle Formen der Soforthilfe beantragt. Da schlagen sie sich mit durch. Aber sie denken tatsächlich darüber nach, ihr Haus zu verkaufen und den Laden gleich mit. Sie wollten eigentlich noch fünf, sechs Jahre weitermachen, stellen aber jetzt fest, die nächsten fünf, sechs Jahre werden in dieser Branche die Hölle. Sie können es sich offenbar erlauben, früher in Rente zu gehen, was natürlich ein Privileg ist. Aber sie sagen auch, wenn sie zehn Jahre jünger wären, wüssten sie nicht, was sie machen sollten.

Was mich betrifft, setze ich auf meine Ausbildungen, ich habe studiert, teils im Ausland, habe eine Ausbildung und keine großen Lücken im Lebenslauf, deshalb bin ich zuversichtlich. Trotzdem mache ich mir Gedanken. Niemand kommt in 100 Prozent Kurzarbeit und sagt, alles wird gut."

"Es fühlt sich komisch an in diesem Jahr"

Julia S., 43, arbeitet bei der Eckernförde Touristik und Marketing GmbH und ist in der Tourist-Info unter anderem zuständig für Kurtaxe und Souvenirs

"Mitte März, als die Saison an der Ostseeküste gerade so richtig Fahrt aufnehmen wollte, verhängte die Landesregierung wegen der Corona-Pandemie ein Einreiseverbot. Damit ging der Tourismus auch hier bei uns in Eckernförde erst einmal auf Null. Doch das bedeutete nicht, dass wir nichts zu tun hatten. Für uns begann die Zeit der Absagen und der Umbuchungen. Gäste, die bereits in Eckernförde waren, mussten abreisen, andere durften gar nicht erst anreisen. Die meisten Gäste waren superverständnisvoll, schließlich konnte ja niemand etwas dafür. Für die Eckernförde Touristik und Marketing GmbH bedeutete der Reisestopp den Verlust an Provisionen für die Vermittlung von Unterkünften und der Einnahmen durch die Kurtaxe. Im Bereich Touristik waren wir drei Wochen in Kurzarbeit.

"Pfingsten wurde es wieder voll"

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An der überfüllten Ostsee haute das mit dem Abstandhalten in diesem Sommer nicht wirklich gut hinFoto: Assanimoghaddam/picture alliance/dpa

Mitte Mai ging der Tourismus wieder los. Pfingsten wurde es dann wieder voll hier bei uns. Unsere Strandkörbe und Schirme waren den Sommer über häufig ausgebucht. Das waren nicht nur Übernachtungsgäste, wir sind in einem Umkreis von 50 Kilometern durchaus ein Ziel für Tagesausflüge. Eckernförde hat einen breiten, vier Kilometer langen Sandstrand, eine touristische Infrastruktur, den Blick auf die Ostsee.

Ob es jetzt voller war als in anderen Jahren, kann ich gar nicht sagen. Dennoch fühlt es sich in diesem Jahr komisch an, wegen der ganzen Masken und der ganzen Unsicherheit, was noch kommt. In jedem Fall hatten wir mehr Müll in diesem Jahr, und das liegt auch an Corona. Denn alles, was an Nahrung verkauft wird, ist einzeln eingepackt.

Übernachtungen waren ab Mai wieder super gebucht, auch wenn gerade viele ältere Gäste abgesagt oder ihre Buchungen auf 2021 verschoben haben. Die ganze Situation führte auch dazu, dass die Vermieter viel mehr Auskünfte von uns benötigten.

"Wir hatten in diesem Jahr viel mehr Beschwerden, weil nicht immer alles so war wie sonst. In diesem Jahr ist halt alles anders, ist mittlerweile unsere Standardantwort. Damit konnten wir vieles auffangen."

Unsere Tourist-Info konnten wir aus Hygieneschutzgründen immer nur mit einer Person besetzen, es durfte auch immer nur ein Gast drinnen sein. Da kam es manchmal draußen zu langen Schlangen. Aber wir konnten in Ruhe beraten, das war sehr schön. Wir hatten in diesem Jahr viel mehr Beschwerden, weil nicht immer alles so war wie sonst. In diesem Jahr ist halt alles anders, ist mittlerweile unsere Standardantwort. Damit konnten wir vieles auffangen.

Im Sommer haben wir auch wieder erste Veranstaltungen angeboten, mit Hula-Hoop-Reifen als Abstandshalter oder mit kostenlosen Voranmeldungen, um die Zahl der Besucher zu begrenzen. Die Sprottentage und das Piratenspektakel aber auch Fischmarkttermine haben wir absagen müssen, die Aalregatta wurde auf September verschoben. Wir planen aber weiter unseren Weihnachtsmarkt, natürlich auch mit einem entsprechendem Hygienekonzept."

Protokolle: Heike Langenberg, Fanny Schmolke, Petra Welzel