Ausgabe 07/2020
Da fehlt die Anerkennung
In Dienstleistungsberufen steht die Zusammenarbeit mit Menschen oft im Mittelpunkt, ihre Betreuung und Beratung, sogenannte Interaktionsarbeit. Honoriert und wertgeschätzt werden die dafür benötigten besonderen Fähigkeiten zum Gespräch und Einfühlen jedoch kaum. Das wurde bei der Veranstaltung "Arbeit mit Menschen – Interaktionsarbeit humanisieren" deutlich, zu der ver.di im September eingeladen hatte und deren Dokumentation im Internet für Interessierte steht, die nicht dabei sein konnten.
"Die Kolleginnen und Kollegen bei uns müssen neben allen Anforderungen sehr vielseitige Kommunikationsaufgaben bewältigen", stellte der Betriebsratsvorsitzende Stefan Härtel die Interaktionsarbeit am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder) vor. "Pflegekräfte erläutern Patient*innen Behandlungsabläufe, nehmen Anweisungen ihrer Vorgesetzten entgegen, tauschen sich untereinander über Dienstpläne und Aufgabenverteilung aus, sie gehen auf die Fragen von Besucher*innen ein – und das alles unter den harten Bedingungen hohen Arbeitsdrucks und zu weniger Kolleg*innen auf Station."
Stress ist ist schlecht für gute Arbeit
Obwohl Interaktion untrennbar mit den meisten Arbeitsplätzen verbunden ist, hinkt die Erforschung des Themas hinterher. Derzeit werden Projekte dazu vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Mitarbeiter*innen aus den Projekten stellten bei der ver.di-Veranstaltung ihre Ansätze und Ziele zur Diskussion. So widmet sich ein Projekt speziell der Interaktion bei digitaler Arbeit. Nadine Müller, Leiterin des ver.di-Bereichs Innovation und Gute Arbeit, wies auf den Zusammenhang von Digitalisierung und der Zunahme interaktiver Arbeit hin. "Arbeitsintensität ist dabei ein zentrales Problem. Um interaktive Arbeit gut und human zu gestalten, muss man bei den Stresstreibern ansetzen."
Und zuallererst sollten die Beschäftigten bei der Digitalisierung und Technikentwicklung beteiligt werden, um von Anfang an übermäßigen Stress zu vermeiden. "Das wäre ein Ausgangspunkt für die Schaffung Guter Arbeit", so Nadine Müller.
Auch außerhalb der digitalen Welt ist die Diskrepanz zwischen Anforderungen und Anerkennung sehr groß. Heike Lattekamp, Leiterin des Fachbereichs Handel im ver.di-Landesbezirk Hamburg, stellte die gewerkschaftlichen Ideen einer Entgeltreform im Einzelhandel vor, bei der sich Beratungs- und Kommunikationsleistungen beim Gehalt abbilden. "Die Arbeitgeberseite wehrt sich allerdings noch, diese elementaren Leistungen zu bezahlen", bedauerte Heike Lattekamp.
Gerhard Nickel, Betriebsratsmitglied bei Netto in Hamburg, macht immer wieder die Erfahrung, dass Freundlichkeit, Geduld und Beratungskompetenz der Filialbeschäftigten selbstverständlich vorausgesetzt werden. "Gleichzeitig setzt ein Discounter wie Netto Rahmenbedingungen, die das fast unmöglich machen, denn es gibt zu wenig Personal und entsprechend starken Zeitdruck." Dass sich die Beschäftigten dennoch die allergrößte Mühe gäben, den Kund*innen bei Fragen weiterzuhelfen, werde von vielen Vorgesetzten offenbar als nicht weiter erwähnenswerte Selbstverständlichkeit betrachtet. "Und leider gibt es dann noch eine kleine Minderheit an Kund*innen, wie wir gerade auch während des Corona-Lockdowns feststellen mussten, die Einkaufen als Freizeitbeschäftigung betrachtet und von den Beschäftigten eine Art Rundum-Service erwartet." Frust werde an Filialmitarbeiter*innen ausgelassen, wenn es nicht schnell genug gehe.
Für Anke Thorein vom ver.di-Bereich Gute Arbeit steht fest, dass Interaktionsarbeit in Dienstleistungsberufen endlich in der Bezahlung abgebildet werden müsse – gleichgültig ob es sich um eine Beschäftigung in der Pflege, im Einzelhandel, in einer Bank oder in einer öffentlichen Verwaltung handele. Es gebe gute Ansätze, wie etwa das Entgeltgleichheits-Check-Modell, bei dem Interaktionsarbeit bei der Bewertung von Arbeit berücksichtigt werde. "Hier könnten wir ansetzen."
Die Veranstaltung wurde Corona-gerecht mit 40 Teilnehmer*innen in Berlin und 80 weiteren per Internet durchgeführt. Zur Dokumentation geht es hier: