Ausgabe 07/2020
Ein langer Weg
Nach einer Infektion mit dem Corona-Virus am Arbeitsplatz schwer an der Lungenkrankheit Covid 19 zu erkranken, ist schlimm. Noch schlimmer ist es allerdings, wenn Betroffene unter Langzeitfolgen leiden, nicht mehr uneingeschränkt arbeiten können, aber diese Folgen nicht als Berufskrankheit bewertet werden. ver.di setzt sich gemeinsam mit dem DGB dafür ein, dass Covid 19 für Berufsgruppen und Tätigkeiten auch außerhalb des Gesundheitsbereichs als Berufskrankheit anerkannt wird.
Harald Beyer ist gelernter Altenpfleger, arbeitet aber seit Jahren im Bereich der Fortbildung für Pflegekräfte mehrerer Senioreneinrichtungen. Er erkrankte im Frühjahr an Covid 19 und weiß bis heute nicht, ob es ihm je wieder so gut gehen wird wie vor der Infektion mit dem Corona-Virus. "Was auch Monate nach meiner Genesung nicht zurückgekommen ist, sind Geruchs- und Geschmackssinn", sagt der Enddreißiger, der immer viel Sport getrieben und keine gesundheitliche Vorbelastung hatte. "Auch andere Symptome blieben lange Zeit, etwa Verwirrungsgefühle, die mir besonders zu schaffen gemacht haben, da ich ein sehr strukturierter Mensch bin."
Bei der Arbeit infiziert
Er fände es gut, wenn die Anerkennung von Covid 19 als Berufskrankheit über den eigentlichen Pflegebereich hinaus auch bei anderen Tätigkeiten anerkannt würde. "Ich habe mich eindeutig im Zusammenhang mit meiner Arbeit bei einer Fortbildungsveranstaltung für Pflegekräfte infiziert", sagt Harald Beyer. "Inzwischen fühle ich mich wieder fit und belastbar, aber die Covid 19-Erkrankung könnte Langzeitfolgen haben. Da wäre es beruhigend, über die Berufsgenossenschaft abgesichert zu sein."
Bisher können nur Beschäftigte im Gesundheitswesen – in medizinischen Einrichtungen, im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege und in Laboren – eine Covid 19-Erkrankung als Berufskrankheit geltend machen, und das nur, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. "Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, relevante Krankheitserscheinungen und ein Nachweis des Virus durch einen PCR-Test", berichtet ver.di im Juli in einem Informationsblatt. Haus- oder Betriebsärzte sollten ebenso eingeschaltet werden wie der Betriebs- bzw. Personalrat. "Ärztinnen und Ärzte sowie der Arbeitgeber sind verpflichtet, dem zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung den begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit anzuzeigen", heißt es weiter.
Erkennt die gesetzliche Unfallversicherung bzw. die Berufsgenossenschaft schließlich die Infektion als Berufskrankheit an, bringt das Betroffenen etliche Vorteile: Der zuständige Träger zahlt den Test, die Heilbehandlung und – wenn nötig – die medizinische, berufliche sowie soziale Rehabilitation. Wer dauerhaft erwerbsgemindert bleibt, erhält eine Rente, ebenso die Hinterbliebenen für den schlimmsten, den Todesfall.
"Eines Tages hatte ich hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen."
Anneliese Kronenberg
Auch Anneliese Kronenberg (Name geändert) hätte gerne eine entsprechende Absicherung. Die 48-Jährige arbeitet in einem Supermarkt, und auch sie hat sich bereits im Frühjahr mit dem Corona-Virus infiziert. "Vor dem Lockdown muss das passiert sein, als die Leute wie verrückt eingekauft und keinerlei Rücksicht genommen haben", vermutet sie. Zu der Zeit trug so gut wie niemand eine Schutzmaske, die Kassen waren noch nicht mit Plexiglasscheiben abgeschirmt, und die Zahl der Kund*innen, die gleichzeitig ins Geschäft durften, wurde nicht begrenzt. "Eines Tages hatte ich hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen", sagt Anneliese Kronenberg. "Getestet wurde ich aber erst, als Atembeschwerden hinzukamen." Eine Woche lag die Verkäuferin im Krankenhaus. Beatmet werden musste sie nicht; "zum Glück", wie sie weiß, aber zusätzlichen Sauerstoff hat sie ein paar Tage erhalten.
Genau wie Harald Beyer geht sie längst wieder arbeiten, aber es ist nicht alles so wie zuvor. "Ich fühle mich schnell abgeschlagen, müde und kaputt. Außerdem komme ich immer noch schnell aus der Puste", berichtet Anneliese Kronenberg, die keine Vorerkrankung hatte, weder unter Asthma noch an Diabetes oder Übergewicht leidet. "Hoffentlich verschwinden diese Einschränkungen mit der Zeit. Wenn nicht, dann wäre es gut, wenn auch für uns im Einzelhandel Covid 19 als Berufskrankheit anerkannt würde."
Das ist eine Forderung, der sich Katrin Willnecker anschließt, sie ist im ver.di-Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständig. "Allerdings dürfte es länger dauern, bis Covid 19 als Berufskrankheit für weitere Tätigkeiten und Berufsgruppen anerkannt wird", sagt sie. Willnecker rechnet mit mindestens einem Jahr. Schneller könnten betroffene Beschäftigte von Versicherungsleistungen profitieren, wenn eine Infektion mit dem Corona-Virus bei der Ausübung der Berufstätigkeit als Arbeitsunfall eingestuft würde. Katrin Willnecker: "So wurde es beispielsweise nach den massenhaften Infektionen bei Beschäftigten in den Fleischfabriken von Thönnies bewertet."
Daneben konzentriert sich der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit dem Corona-Virus auf die Vorbeugung. "Seit dem 20. August gibt es eine verbindliche SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, vorgelegt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales", erläutert Willnecker. Gewerkschaftsvertreter*innen hätten daran intensiv mitgearbeitet – "mit dem Ziel, uns für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten einzusetzen". Die Arbeitsschutzregel, die für die Zeit der Corona-Pandemie befristet ist, regelt die Arbeitsplatzgestaltung ebenso wie das Lüften, die Sicherung ausreichender Abstände, das Tragen der Mund-Nase-Bedeckung und vieles mehr. "Es gilt nun, auf die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen zu achten", sagt Willnecker. So ließen sich weitere Erkrankungen mit allen möglichen Folgewirkungen am besten verhindern. Gleichzeitig werde sich ver.di weiter dafür einsetzen, dass Covid 19 als Berufskrankheit anerkannt wird.