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Illustration.: Gerd Altmann/pixabay

Die Corona-Pandemie ist nicht nur ein Risiko für die körperliche, sondern auch für die psychische Gesundheit der Menschen. Experten haben frühzeitig gewarnt, dass die Pandemie und die dagegen getroffenen Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen zu mehr psychischen Erkrankungen führen werden. Erste Erhebungen bestätigen, dass Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen vor allem während der Lockdown-Phasen zugenommen haben. Auch die Krankenkassen verzeichnen bei Krankheitsständen während der Corona-Krise zunehmend Depressionen und Angstzustände.

Besonders der zweite Lockdown, der härter ist als der erste, weil er länger dauert und in die düsteren Wintermonate fällt, macht immer mehr Menschen zu schaffen. Anders als im vergangenen Frühjahr ist nicht mit einem schnellen Rückgang der Ansteckungswelle zu rechnen. Neben der Sorge um die eigene Gesundheit und die von Angehörigen – so zeigen verschiedene Umfragen – fühlen sich die Menschen emotional belastet, weil sie unter der Unsicherheit leiden, wie es in den kommenden Monaten weitergeht – auch finanziell. Zudem belasten der Verlust des Handlungsspielraums und sozialer Kontakte sowie die fehlende Trennung von Arbeit und Privatleben im Homeoffice einen großen Teil der Bevölkerung.

Dass sich die Corona-Pandemie ohne Kontaktbeschränkungen nicht eindämmen lässt, sieht die Mehrheit der Menschen ein. Doch niemand möchte für die Belastungen im Homeoffice oder in der erzwungenen Isolation dauerhaft mit der eigenen psychischen Gesundheit bezahlen. Aber wie kommt man psychisch gesund durch diese Krise?

Die Psychologin Eva Haberkern von CAIDAO, dem Institut für Betriebsratsberatung, hat sich seit vielen Jahren auf das Thema psychische Gesundheit in der Arbeitswelt spezialisiert und erklärt im Interview, wie Beschäftigte die Corona-Krise gut überstehen und welche Unterstützung Arbeitgeber leisten können.

ver.di publik: Wie leben und arbeiten Sie selbst in dieser Zeit des Lockdowns?

Eva Haberkern: Ich bin nach der Geburt meines zweiten Kindes im vergangenen März im Moment in Elternzeit, arbeite aber auch für CAIDAO im Homeoffice und betreue meine große Tochter, die in der ersten Klasse ist. Mein Mann arbeitet selbstständig und kann es gleichfalls einrichten, sich um Kinderbetreuung, Homeschooling und Hausarbeit zu kümmern. Mit der älteren Tochter haben wir Rituale entwickelt, die ihr den Alltag erleichtern. So reden wir jeden Abend über den zurückliegenden Tag: Was war schön, was eher nicht, was steht morgen an. Ich selbst habe ein "Dankbarkeitstagebuch" begonnen, in dem ich in ähnlicher Weise Bilanz ziehe. Für uns ist wichtig, den Tag mit einer gewissen Regelmäßigkeit anzugehen. Das kann ich generell empfehlen.

ver.di publik: Gibt es allgemein gültige Tipps für Arbeit und Leben im Homeoffice?

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Eva HaberkernFoto: Privat

Haberkern: Jede*r sollte gut für sich sorgen. Manche benötigen dringend Sicherheit und Struktur. Da hilft ein Tagesplan, wie ich ihn mit meiner Tochter entwickelt habe. Da sind Zeiten für die Schularbeiten, fürs Spielen, für Bewegung im Freien und für die Mahlzeiten enthalten. Bei uns bewährt sich das sehr gut. Aber es gibt Menschen, die besser ohne exakte Tagesplanung klarkommen, die gerade die neuen Möglichkeiten von mehr Flexibilität und freier Zeiteinteilung im Homeoffice schätzen. Entscheidend ist zu schauen, was einem selbst guttut.

ver.di publik: Was ist mit denen, die kein Ende bei ihrer Arbeit finden und noch spät abends vor dem Laptop sitzen?

Haberkern: Ein verlässlicher Feierabend muss sein, weil ausufernde Arbeit schädlichen Dauerstress verursacht. Wer regelmäßig bis in die Nacht hinein vor seinen Projekten sitzt, kommt irgendwann gar nicht mehr raus aus der Belastung. Es ist wichtig, Nein-Sagen zu lernen, nicht brüsk, aber deutlich. Am besten geht es mit gezielten Rückfragen. Wenn der oder die Vorgesetzte mehrere Aufgaben stellt, könnte ich fragen, welche Priorität die Aufgaben haben und bis wann sie erledigt sein müssen. Wer dem/der Vorgesetzten nicht vermitteln kann, dass ständige Erreichbarkeit und grenzenloses Arbeiten keine guten Ideen sind, sollte sich an den Betriebsrat wenden. Der kann kurzfristig Maßnahmen für die Arbeit im Homeoffice mit der Geschäftsleitung aushandeln. Denkbar ist zum Beispiel eine Vereinbarung über veränderte Arbeitszeiten. Sie könnte beinhalten, dass um 20 Uhr die Firmenserver abgeschaltet werden. Manche Beschäftigte müssen vor sich selbst und zu viel Arbeitseifer geschützt werden!

ver.di publik: Bei der Arbeit im Homeoffice vermissen viele Beschäftigte den Kontakt zu ihren Kolleg*innen. Wie lässt sich das ausgleichen?

Haberkern: Sie sollten auf jeden Fall im Gespräch bleiben; das ist sehr wichtig. Da der Schwatz an der Kaffeemaschine oder beim Mittagessen in der Kantine nicht möglich ist, helfen neue Rituale. Ich weiß von Teams, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Lunch per Video verabreden. Auch Weihnachtsfeiern haben 2020 häufig digital stattgefunden. Es muss aber nicht immer ein Austausch via Video sein. Ich empfehle, viel mit den Kolleg*innen zu telefonieren – nicht nur zur Abstimmung der Arbeitsprojekte, sondern auch zum informellen Gespräch zwischendurch.

ver.di publik: Was raten Sie denen, die mit dem Lockdown nicht klarkommen?

Haberkern: Sicher fühlt sich jede*r in der derzeitigen Situation mal etwas verstimmt. Doch wenn sich Ängste und Sorgen häufen, sich jemand nicht mehr zum Aufstehen oder zu den täglichen Erledigungen motivieren kann, dann ist es Zeit, professionelle Hilfe zu suchen. Auch im Lockdown gibt es Angebote, die bei Schlafstörungen, Depressionen oder einer Angsterkrankung helfen können. Es ist aber nicht einfacher geworden, einen Therapieplatz zu finden. Das war auch schon vor Corona ein Problem. Wenn Ängste überborden und Selbstmordgedanken immer stärker werden, ist allerdings der Notarzt nötig und die Überweisung in eine stationäre Einrichtung. Glücklicherweise ist nur eine kleine Minderheit psychisch so stark belastet.

ver.di publik: Wie können Beschäftigte ihre Freizeit angesichts geschlossener Kultur- und Sportstätten gut gestalten?

Haberkern: Man kann sich überlegen, was einem sonst noch Spaß macht. Ich bin gerade dabei, den Angelschein zu erwerben; das geht auch online! Was fast allen guttut, ist Bewegung an der frischen Luft. Das ist bei uns in Deutschland im Lockdown zum Glück immer möglich geblieben. Ob man joggt, spazieren geht oder Tai Chi auf der Wiese praktiziert, ist ganz egal. Sich draußen bewegen hilft einfach, die Laune zu verbessern und depressive Verstimmungen im Keim zu ersticken. Interview: Gudrun Giese

Am 17. Februar findet eine Online-Veranstaltung zur SARS-CoV-Arbeitsschutzregel mit Katrin Willnecker und dem Ressort Arbeitsschutz vom ver.di-Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik statt.

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