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QUELLEN: DRV BUND (2019), VDEK (2020)

"Die Pflege zukunftsfest zu machen, muss ganz oben auf die politische Agenda. Wie dringlich das ist, führt nicht zuletzt die Corona-Pandemie allen vor Augen", sagt Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für die Beschäftigten im Gesundheitswesen und für Gesundheitspolitik zuständig ist. Mit Blick auf die im September anstehende Bundestagswahl sagt Bühler: "Alle Parteien müssen sich daran messen lassen, ob ihre Vorstellungen dauerhaft eine gute pflegerische Versorgung sichern und für deren auskömmliche und gerechte Finanzierung sorgen." ver.di habe ein schlüssiges und finanzierbares Konzept dafür vorgelegt. Mit der Kampagne #GemeinsameSache wird die Gewerkschaft in den kommenden Monaten dafür werben.

Mehr Personal – und nach Tarif bezahlen

"Die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen ist schon bei Normalbesetzung kaum zu schaffen. Sobald jemand ausfällt, bricht alles zusammen", sagt die Altenpflegerin Ilka Steck von der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg. Ständig müssten Kolleginnen und Kollegen in solchen Situationen spontan einspringen. "Die Kollegialität und die soziale Einstellung der Pflegekräfte werden von vielen Arbeitgebern gnadenlos ausgenutzt", kritisiert die Mitarbeitervertreterin. Die hohen körperlichen und psychischen Belastungen führten dazu, dass etliche Pflegekräfte aus dem Beruf oder in Teilzeit flüchten. "Die Folge ist ein Arbeitskräftemangel, der die Situation weiter verschärft. Ein Teufelskreis."

Um diesen zu durchbrechen und eine gute Versorgung bei gesunden Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, setzt sich ver.di für bedarfsgerechte und bundesweit einheitliche Personalvorgaben ein. Derzeit ist die Personalausstattung in den Pflegeheimen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und nicht verbindlich genug geregelt. "Ein pflegebedürftiger Mensch mit einem bestimmten Schweregrad braucht in Mecklenburg-Vorpommern nicht weniger Zuwendung als in Baden-Württemberg – für die gravierenden regionalen Unterschiede in der Versorgungsqualität gibt es keine Rechtfertigung", sagt Bühler.

Auf Drängen von ver.di und anderen hat die Bundesregierung ein Verfahren zur Personalbemessung in der stationären Altenpflege in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Bremen, kürzlich vorgelegt hat. Demnach sind für eine adäquate Versorgung in den Pflegeheimen rund 115.000 zusätzliche Vollzeitstellen nötig.

In einem ersten Schritt hat die Bundesregierung beschlossen, die Einstellung von 20.000 zusätzlichen Hilfskräften zu finanzieren. Zudem soll das von Rothgang entwickelte Personalbemessungsinstrument erprobt und wissenschaftlich evaluiert werden. "Diese Beschlüsse sind ein Erfolg der vielen Aktionen und Proteste, die Beschäftigte aus der Altenpflege gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft auf die Beine gestellt haben", so Bühler. Das System zur Personalbemessung müsse nun schnellstmöglich verbindlich eingeführt werden.

„Die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen ist schon bei Normalbesetzung kaum zu schaffen“
Ilka STeck, Altenpflegerin

Um die auch aufgrund der demografischen Entwicklung benötigten Pflegekräfte zu gewinnen, sei eine flächendeckend gute Bezahlung nötig, erklärt der gelernte Altenpfleger und Betriebsrat Johannes Hermann von der AWO Sachsen Soziale Dienste gGmbH Dresden. In vielen Pflegeeinrichtungen habe ver.di in den vergangenen Jahren Tarifverträge durchgesetzt – nicht selten mit Streiks. "Aber das hat Grenzen. Wir werden nicht in allen der bundesweit rund 15.400 Pflegeheime und 14.700 ambulanten Pflegedienste einzeln Tarifregelungen durchsetzen können", oft sei der Widerstand der Arbeitgeber immens, so Hermann, der selbst in einer tarifgebundenen Einrichtung arbeitet und sich in der ver.di-Bundesfachkommission Altenpflege engagiert. "Wir brauchen Mindeststan- dards, die für die gesamte Altenpflege gelten."

Um das zu erreichen, hat ver.di in einem vorläufigen Tarifergebnis mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) Mindestbedingungen bei Stundenlöhnen, Jahressonderzahlung und Jahresurlaub verhandelt. Nun werden nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz die Kirchen in den Prozess einbezogen. Mitte dieses Jahres soll der ausverhandelte Tarifvertrag auf alle Pflegeeinrichtungen erstreckt werden – auch auf die kommerziellen Träger, von denen fast alle ihren Beschäftigten jeden tarifvertraglichen Schutz verweigern. Bestehende gute Tarifverträge bleiben davon unberührt.

Finanzierungslösung: Eine solidarische Pflegegarantie

Dass mehr Personal und eine bessere Entlohnung in der Altenpflege nötig sind, bestreitet kaum noch jemand. Doch wer soll das bezahlen? Derzeit gehen alle Kostensteigerungen zu Lasten der Heimbewohner*innen, deren Eigenanteile immer weiter steigen. Allein für die Pflegekosten müssen sie durchschnittlich 786 Euro im Monat aufbringen, inklusive Unterbringung, Verpflegung und Investitionskosten sind es sogar 2.015 Euro. Angesichts einer Durchschnittsrente von 954 Euro ist klar: Das können sich viele nicht leisten. Aktuell ist jede*r dritte Bewohner*in auf Sozialhilfe angewiesen.

Eine im Auftrag der DAK-Gesundheit erstellte Studie rechnet vor, dass dieser Anteil kurzfristig auf fast 37 Prozent steigen wird, falls die Bundesregierung nicht gegensteuert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, will nun den pflegebedingten Eigenanteil auf monatlich 700 Euro und längstens 36 Monate begrenzen. Zudem will er die Länder dazu verpflichten, 100 Euro an Investitionskosten pro Person zu übernehmen.

"Das ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Barbara Susec, die bei ver.di für Pflegepolitik zuständig ist. "Konsequent wäre es aber, alle Pflegekosten durch die Pflegeversicherung zu finanzieren. So war es bei deren Einführung 1995 ursprünglich auch gedacht." Selbst mit der geplanten Deckelung der Eigenanteile müsste noch ein Viertel der Bewohner*innen "Hilfe zur Pflege" beantragen.

ver.di macht sich für eine "Solidarische Pflegegarantie" stark, mit der alle Pflegerisiken abgedeckt werden – so wie die Krankenversicherung sämtliche Behandlungskosten übernimmt. Die Leistungen sollten so dynamisiert sein, dass sie entsprechend der Lohnentwicklung steigen. Um das leisten zu können, muss die Einnahmebasis der Pflegeversicherung erweitert werden – durch die Einbeziehung aller Einkommensarten. "Würde die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung aufgehoben und die gesamte Bevölkerung solidarisch einbezogen, wäre die Vollversicherung gut finanzierbar", sagt Susec.

Für die große Mehrheit der bislang gesetzlich Versicherten würden die Beiträge laut wissenschaftlichen Berechnungen nur um durchschnittlich gut fünf Euro im Monat steigen. "Ein guter Preis dafür, dass man sich keine Sorgen mehr darüber machen muss, wie die Pflege im Alter bezahlt wird", findet die Gewerkschafterin. Zudem müssten die Bundesländer endlich ihrer Pflicht zur Finanzierung von Investitionen nachkommen. Deren Kosten betragen im Bundesdurchschnitt 455 Euro im Monat und werden bislang größtenteils den Bewohnerinnen und Bewohnern aufgebürdet.

"Eine Solidarische Pflegegarantie, bedarfsgerechte Personalvorgaben und eine bessere Bezahlung – das ist unser Plan für gute Pflege", sagt Sylvia Bühler. "Dafür machen wir gemeinsame Sache mit pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien, mit Arbeitgeber*innen und Politiker*innen, die das Gemeinwohl im Sinn haben. Und natürlich mit allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die täglich für Solidarität und Gerechtigkeit streiten."

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