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Foto: Public Address/ullstein bild

Christian Schmidt ist VfB Stuttgart Fan, seit er denken kann. Vor elf Jahren wird für den Sozialpädagogen ein Traum wahr: Er ergattert einen Job als Fanbeauftragter bei seinem Lieblingsverein. "Wenn man Fan von diesem Verein ist und da mitarbeiten darf, dann ist es was Besonderes", sagt er.

Trotz aller Liebe findet Schmidt im Sommer 2021, es sei an der Zeit, einen Betriebsrat zu gründen. "Durch die Leidenschaft für seinen Verein macht man viele Dinge sehr gerne, vielleicht manchmal auch zu viel. Da muss man Grenzen ziehen, damit die Leute nicht im Burn-Out landen." Der Club ist über die Jahre immer größer geworden – die Profi-Fußballabteilung ist seit 2017 in die VfB Stuttgart AG ausgegliedert – das anfängliche Gefühl von "Familie" etwas verblasst. "Die Fußballclubs haben sich gewandelt – früher waren es eingetragene Vereine, wo wenige Leute sehr viel gemacht haben. Mittlerweile sind sie so groß, richtige Wirtschaftsunternehmen mit mehreren Hundert Mitarbeitern." Und zu einem modernen Unternehmen gehört ein Betriebsrat, findet Schmidt.

Der Zeitpunkt für eine Gründung scheint gut. "Du weißt in so einem Fußballclub nie, wer in zwei, drei Monaten dein neuer Vorstand ist", sagt Schmidt, der schon viele Vorstandswechsel und damit jede Menge Umstrukturieren bei seinem Verein mitgemacht hat. Schmidt und weitere gründungswillige Kolleg*innen holen sich Unterstützung von ver.di Stuttgart und das Projekt Betriebsrat beginnt. Der Vorstand um Thomas Hitzlsperger begleitet das Vorhaben wohlwollend. Am 14. September wird mit Unterstützung von ver.di Stuttgart beim Erstligisten VfB ein Betriebsrat für die rund 330 Beschäftigten gegründet – mit Christian Schmidt als Vorsitzenden.

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Christian SchmidtFoto: Vfl Stuttgart

Vorreiter FC St. Pauli

Der Fußballverein aus Baden-Württemberg ist einer der wenigen Bundesligaclubs mit Betriebsrat. Nur sechs von 36, die in der ersten und zweiten Bundesliga spielen, haben einen. Vorreiter – und damit Vorbild für nachfolgende Vereine – war der FC St. Pauli, der schon vor 19 Jahren den ersten Betriebsrat gewählt hat. "St. Pauli war schon immer ein Hort von progressiven Ideen und widerständigem Handeln – also wo, wenn nicht bei uns?", sagt Gründungsmitglied Sven Brux und klingt stolz.

Rückblick: Im Sommer 2002 – der Verein ist gerade in die zweite Liga abgestiegen – machen sich bei den Beschäftigten des FC St. Pauli nicht nur finanzielle Sorgen breit. Nachdem der Verein jahrelang vom Patriarchen "Papa Heinz" Weisener geführt wurde, ist nun der ehemalige Spieler und Kaufmann Reenald Koch Präsident. "Es schien ein anderer Stil einzukehren mit dem Businessmann Koch", erzählt Brux, damals Organisationsleiter beim Verein. Als Koch auf einer Mitgliederversammlung verkündet, ein Fußballverein müsse wie ein mittelständisches Unternehmen geführt werden, reift bei Brux ein Gedanke: "Mensch, zu einem mittelständischen Unternehmen gehört dann aber auch ein Betriebsrat." Brux und Kollegen lassen sich von ver.di Hamburg beraten. Ende 2002 werden die Wahlen in die Wege geleitet. Und Anfang 2003 wird der erste Betriebsrat der deutschen Bundesligageschichte gewählt – Sven Brux zum Vorsitzenden.

Wie wichtig der Betriebsrat beim FC St. Pauli ist, zeigt sich schon kurz nach der Gründung, als der Verein im Sommer 2003 direkt in die dritte Liga durchgereicht wird. St. Pauli steht kurz vor der Insolvenz. "Wir konnten das Schlimmste verhindern", sagt Brux. Statt die Leute betriebsbedingt zu kündigen, werden die Stunden verringert und so erstmal Stellen gerettet.

Abstieg, Finanzschwierigkeiten, Stellenabbau – diese Dreierkette ist in vielen Bundesligavereinen das Schreckgespenst der Beschäftigten. Und doch regt sich in den kommenden Jahren bei den anderen Vereinen kaum etwas in Sachen Betriebsrat. Das Gründen von Betriebsräten hat im Showbusiness Fußball einfach keine Tradition, sagt Brux, der heute immer noch im Betriebsrat arbeitet. "Aber es ist egal, ob im Fußball, der Musikbranche oder in diesen Start-Ups, die meinen, sie seien so cool mit ihren flachen Hierarchien und bräuchten sowas nicht – die vergessen alle: Wenn es ernst wird, zählen keine flachen Hierarchien mehr, da will der Arbeitgeber Geld sparen."

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Sven BruxFoto: FC St.Pauli

Nicht immer rund

Nicht immer laufen Betriebsratsgründungen beim Fußball rund. Als sich 15 Jahre später beim FC Schalke 04 ein Betriebsrat gründen will, stößt man auf Widerstand beim Vorstand. "Fußballvereine kommen direkt hinter der Kirche", sagt Bärbel Sumagang von ver.di, die 2018 die Beschäftigten des Vereins aus Gelsenkirchen bei der Betriebsratsgründung unterstützt hat. "Da kamen genau die Sprüche: Wir sind doch eine Familie, das brauchen wir doch gar nicht, das klären wir untereinander." Der Vorstand von Schalke macht seinen Beschäftigten einen Gegenvorschlag: Ein "Mitarbeiterrat" mit sechs Vertretern aus der Belegschaft und sechs aus der Führung. "Und bei einem Unentschieden in der Abstimmung sollte dann die Geschäftsführung entscheiden", winkt Sumagang ab, "das System kenne ich, das funktioniert doch nur zu Hause." Die Beschäftigten bleiben bei ihrem Vorhaben.

Als im Dezember 2018 endlich ein Termin für eine Wahlversammlung zustande kommt, um den Wahlvorstand zu wählen, steht plötzlich die gesamte Geschäftsführung im Raum, obwohl nur Wahlberechtigte zugelassen sind. Die haben sich geweigert zu gehen, wir hätten sie raus- tragen müssen", erzählt Sumagang. Die Gewerkschafterin und ihre Kolleg*innen vor Ort entschließen sich für Deeskalation, die Geschäftsführung darf bleiben. Nach einigen hitzigen Diskussionen wird der Wahlvorstand gewählt. Danach läuft es reibungslos. Und für knapp 800 Mitarbeiter wird Anfang 2019 ein Betriebsrat bei Schalke gewählt.

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Henrik LüttmerFOTO: FC ST.PAULI

Viel Arbeit hinter den Kulissen

Betriebsräte beim Fußball – das mag seltsam klingen, wenn man an die hochbezahlten Profifußballer denkt. "Aber der Profifußball-Bereich hat eben noch ein paar mehr Menschen als die 25 bis 30 auf dem Feld", so Hendrik Lüttmer, aktuell Betriebsratsvorsitzender beim FC St. Pauli. "Unsere Themen sind nicht anders als die von anderen Betriebsräten auch." Aktuell geht es um Regelungen zu Arbeits- und Sonderarbeitszeiten, Mehrarbeit, Homeoffice und Digitalisierung. 580 Mitarbeiter*innen vertritt der Betriebsrat bei seinem Verein – eine bunte Mischung aus vielen Branchen: von Fanshop-Verkäufern über Buchhalter*innen, Sozialpädagogen, Jugend-Trainern, Marketing-Experten bis hin zu Rasenpflegern. Die meisten arbeiten im Hintergrund. "Wenn zum Beispiel Geisterspiele sind, dann hat das nicht nur Konsequenzen für Zuschauer und Fans, da hängen unter Umständen auch noch 300 Existenzen dran."

"Jeder Fußballverein sollte einen Betriebsrat haben."
Hendrik Lüttmer, Betriebsratsvorsitzender FC St. Pauli

Die Corona-Krise lässt auch Fußballclubs um ihre Existenz kämpfen. Im März 2020 werden alle Bundesligaspiele abgesagt, die meisten Vereine schicken einen großen Teil ihrer Beschäftigten in Kurzarbeit. Es folgen Spiele ohne Fans. Irgendwann werden Zuschauer*innen wieder zugelassen – erst nur ein kleiner Teil, dann mehr, dann wieder weniger. Mittlerweile sind wieder Geisterspiele angesagt. Und Kurzarbeit ist nach wie vor in den meisten Fußballclubs ein Thema. Gut, wenn es im Verein einen Betriebsrat gibt.

Für Christian Schmidt und seine Kolleg*innen vom VfB Stuttgart ist die "Betriebsvereinbarung Kurzarbeit" das erste große Projekt nach der Betriebsratswahl im letzten Herbst. Wochenlang arbeiten sie mit dem Vorstand daran. "Der Prozess ist gut gelaufen, wir konnten viele Punkte, die uns wichtig waren, in die Vereinbarung integrieren", sagt der frisch gebackene Betriebsratsvorsitzende. Viel verändert hat sich mit seiner neuen Aufgabe nicht. Als Fanbeauftragter war er schon immer "ein bisschen Sprachrohr", das ergänze sich gut mit der Betriebsratsarbeit. "Es ist mein Naturell, mich um andere zu kümmern – deshalb bin ich auch Sozialpädagoge geworden – für Leute da zu sein, auch ein Ohr zu haben für ihre Sorgen und Ängste und ihre Anliegen zu transportieren."

Auf dem Fußballplatz will kein Spieler im Abseits stehen. Damit auch von den Beschäftigten hinter den Kulissen niemand ins Abseits gerät, braucht es Interessenvertretungen, genauso wie in anderen Branchen. "Jeder Fußballverein sollte einen Betriebsrat haben", sagt Hendrik Lüttmer. Christian Schmidt denkt genauso: "Das ist ein wichtiger Schritt, den man gehen sollte."

Bundesligavereine mit Betriebsrat:

1. FC St. Pauli 2002/2003 2. BVB Dortmund 2005/2006 3. VfL Wolfsburg 2010 4. HSV Hamburg 2018 5. FC Schalke 04 2018/2019 6. VfB Stuttgart 2021