Wohl noch nie haben sich Arbeitsabläufe innerhalb kurzer Zeiträume so massiv verändert wie in den letzten Jahren. Vor allem die technischen Entwicklungen beeinflussen den Arbeitsalltag. Ob Chatbots, personalfreie Kassensysteme oder Pflegeroboter – Beschäftigte müssen sich weiterbilden oder umschulen lassen, wenn sie nicht arbeitslos werden wollen. Das bringt Stress mit sich; manche*r wird angesichts einer ungewissen beruflichen Zukunft krank. Umso wichtiger ist es, innerhalb der Betriebe die Kolleg*innen vor physischer und psychischer Überlastung zu schützen. Zu diesem Ergebnis gelangen die Autor*innen des Reports 2023 zum DGB-Index Gute Arbeit mit dem zentralen Thema "Gesunde Arbeit? Betriebliche Prävention aus Sicht der Beschäftigten".

Klimawandel, Digitalisierung und demographischer Wandel seien die wesentlichen Treiber der großen Veränderungen in der Arbeitswelt, erläutert Yasmin Fahimi, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in dem Gute-Arbeit-Report. Die Beschäftigten müssten dabei die Hauptlast tragen. "Sie spüren die veränderten Anforderungen am eigenen Leib", betont Fahimi. Deshalb sei es wichtig, "die gesundheitsgerechte Gestaltung von Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen".

In der Praxis passiert das viel zu selten, belegt der Bericht. Er basiert auf der Befragung von 6.266 abhängig Beschäftigten, die repräsentativ ausgewählt wurden und zwischen Januar und April 2023 Fragen zu Arbeitsbelastung, psychischem Stress und zu Prävention am Arbeitsplatz beantworteten. Dabei zeigte sich, dass viele Beschäftigte unter mehreren Belastungen leiden: 31 Prozent der Befragten nannten alle vier Kategorien, dass also körperlich schwere Arbeit, Lärm, Zeitdruck und Konflikte bei ihrer Tätigkeit üblich seien. 33 Prozent gaben drei Belastungsarten an. Nur 3 Prozent litten unter keiner der abgefragten Belastungen.

Abhilfe können betriebliche Gegenmaßnahmen wie Präventionskurse gegen Stress, technische Hilfsmittel oder eine bessere Arbeitsorganisation leisten. Das passiert aber nur in einer kleinen Zahl der Betriebe, ergab die Umfrage. Die Praxis belegt dem gegenüber, wie positiv Beschäftigte reagieren, wenn sie ihre Arbeit mitgestalten können.

Das positive Beispiel

Ein Beispiel für eine gute Mitgestaltung ist der vor über einem Jahr in Kraft getretene Tarifvertrag Digitalisierung beim Textilfilialisten H&M. Er ist ein Novum im Handel und wurde durch den Einsatz vieler aktiver ver.di-Mitglieder in den Geschäften, Betriebsräten, dem Gesamtbetriebsrat und der Bundestarifkommission von H&M durchgesetzt. Inzwischen wird der Vertrag umgesetzt. So fanden 2023 die ersten der vereinbarten Workshops statt, in denen die Beschäftigten die neuen digitalen Arbeitsmethoden mitgestalten. Sie sagen, was gut, was weniger gut funktioniert und entsprechend weiterentwickelt werden sollte. Olga Tissen, Beschäftigte im H&M-Teststore in Dortmund, Betriebsratsmitglied und Mitglied der Bundestarifkommission, bezeichnet den Tarifvertrag als "Meilenstein für den Handel". "Für uns ist eine neue Zeit angebrochen, die wir zum Mitgestalten nutzen sollten."

In den Workshops habe sich gezeigt, dass die neuen Möglichkeiten der Mitwirkung am Arbeitsplatz das Selbstbewusstsein der Beschäftigten ungemein steigere, sagt Damiano Quinto, ver.di-Sekretär aus dem ver.di-Bundesfach- bereich Handel, der den Tarifvertrag Digitalisierung bei H&M maßgeblich verhandelt und mit durchgesetzt hat. "Klar ist, dass die gemeinsame menschengerechte Gestaltung der Digitalisierung eine Voraussetzung für gute, gesunde und sichere Arbeitsplätze ist", betont er. "Technik soll den Beschäftigten dienen, sie nicht ersetzen." Nun zeige sich, dass die Kolleg*innen durch die Nutzung digitaler Technik als kompetenter und professioneller wahrgenommen würden. Es gebe viele positive Rückmeldungen seitens der Kundschaft, was ebenfalls das Wohlbefinden der Beschäftigten erhöhe.

Bei der Auswertung der Gute-Arbeit-Befragung zum Gesundheitsschutz konnte hingegen nur jeweils eine kleine Minderheit der Beschäftigten angeben, dass geeignete Maßnahmen etwa zum Schutz vor Lärm oder übermäßiger psychischer Belastung in ihrem Betrieb umgesetzt würden. Generell fördert eine vollständig erhobene Befragung zur Gefährdungsbeurteilung den Gesundheitsschutz, heißt es im Report. Vollständig – das bedeutet die Erhebung nicht nur der physischen, sondern auch der psychischen Belastungen.

Im ver.di-Bereich war der Anteil vollständiger Gefährdungsbeurteilungen in der Ver- und Entsorgung mit 30 Prozent am höchsten, im Gesundheitswesen mit 16, Handel mit 15 sowie Erziehung und Unterricht mit 9 Prozent sehr niedrig. Über alle Branchen hinweg zeigte sich zudem, dass die Größe des Betriebes sowie das Vorhandensein eines Betriebs- bzw. Personalrates wichtig für die Umsetzung der vollständigen Gefährdungsbeurteilung ist. Mit betrieblicher Interessenvertretung liegt ihr Anteil bei 23, ohne bei 10 Prozent. Womit einmal mehr nachgewiesen wäre, dass es sich lohnt, für die Wahl eines entsprechenden Gremiums, besetzt mit engagierten Gewerkschafter*innen, zu kämpfen.

dgb-index-gute-arbeit.de