Ausgabe 06/2022
Es braucht mehr Plätze
Putins Angriffskrieg auf die Ukraine treibt Millionen Menschen in die Flucht. Nach Deutschland kamen bis August 967.546 Flüchtlinge aus der Ukraine. Neben Alten und Kindern sehr viele Menschen im arbeitsfähigen Alter – etwa 56 Prozent haben ein Durchschnittsalter von 38 Jahren. Diese sollen möglichst schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Die Bundesregierung versprach ein unbürokratisches Handeln und aktivierte die EU-Massenzustrom-Richtlinie. Dadurch bekommen ukrainische Flücht linge ein sofortiges Aufenthaltsrecht für bis zu drei Jahre – und eine Arbeitserlaubnis, Zugang zur Grundsicherung und Krankenversicherung. Sie können Kontos ohne Schufa-Nachweis eröffnen, um Gehalt zu empfangen und Miete zu überweisen.
Wer nicht sofort Arbeit fand, erhielt zuerst Leistungen vom Sozialamt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Seit 1.Juni ist das Jobcenter die Anlaufstelle der Geflüchteten. Es ist für die Vermittlung von Sprachkursen, Fortbildungen oder freien Stellen sowie für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zuständig und bietet Unterstützung, damit Anspruchsberechtigte die ihnen zustehenden Leistungen erhalten.
Ohne Sprachkenntnisse geht nichts
„Trotz aller Hilfen – die größte Hürde ist die Sprache“, sagt Artjom Balin. Der 39-Jährige betreibt einen Friseursalon in Bamberg und kam als Kind aus der Ukraine nach Deutschland. Heute beobachtet er, wie zahlreiche gut ausgebildete Landsleute in Deutschland eintreffen – und trotz ihrer Fähigkeiten nicht arbeiten können. Ohne Sprachkenntnisse eine Arbeit zu finden, ist Glückssache und stark an die Kulanz des Arbeitgebers gebunden. Fehlende Deutschkenntnisse sind das Haupteinstellungshindernis.
Balin hat die 42-Jährige Friseurin Olesia Mizevych, die aus Kiew geflüchtet ist und jetzt Deutsch lernt, eingestellt. „Ich kann selbst bewerten, ob ich ihre Arbeit gut finde“, erklärt er. Ein in Deutschland anerkannter Abschluss sei ihm nicht wichtig. Sprachbarrieren gegenüber den Kunden überbrückt Balin für seine Angestellte. Dennoch kann er skeptische Arbeitgeber verstehen. „Wir brauchen eigentlich langfristige Mitarbeitende, aber die meisten Ukrainer*innen wissen nicht, ob sie in ihre Heimat zurückkehren“, sagt er.
Das – gepaart mit der Sprachbarriere – schreckt viele Arbeitgebende ab.Über 100.000 Einschreibungen bis August verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (bamf) bei den kostenlosen Sprachkursen, den sogenannten Integrationskursen. Die Plätze reichen nicht für alle, es gibt Wartelisten.
Fehlende Kinderbetreuung
Victoria Aleksejeva hat Germanistik und Anglistik studiert. Bevor sie im Mai ohne ihren Lebenspartner nach Regensburg geflohen ist, hat sie in Odessa als Sprachlehrerin gearbeitet. Jetzt gibt die Ukrainerin spendenbasierte Deutsch kurse für Geflüchtete. Lehrer*innen werden in Deutschland verzweifelt gesucht, auch für die Integrationskurse. Aktuell hat ihr das Jobcenter in Aussicht gestellt, dass sie einen dieser Kurse unterrichten könne. „Ich bin froh, dass ich durch meine Sprachkenntnisse hier eine gute Perspektive habe“, sagt die 43-Jährige.
Für den Großteil der Geflüchteten bleibt der Weg zu einem Arbeitsplatz jedoch beschwerlich. Da Männer wegen der Mobilmachung die Ukraine nicht verlassen dürfen, sind hauptsächlich Mütter mit ihren Kindern geflüchtet. Für diese Frauen fehlt es noch an ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten, um ihnen Lern- und Arbeitszeit zu verschaffen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit über 200.000 Ukrainer*innen als arbeitslos und weit über 300.000 als arbeitssuchend gemeldet. Im Juni hatten 95.000 Ukrainer*innen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das waren immerhin 38.000 mehr als noch im Februar 2022.