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Wärmebild von einem Straßenzug: Armut wohnt hinter dünnen WändenFoto: picture alliance / dpa

Tote durch Überschwemmungen, schon wieder ein extrem trockener Sommer – längst ist die drohende Klimakatastrophe auch in Deutschland spürbar. Parallel hat sich die soziale Spaltung in den vergangenen Jahren deutlich verschärft: Die Reichsten haben noch mehr angehäuft, während es unten immer knapper wird. Heute verfügen die oberen zehn Prozent über mehr als zwei Drittel des gesamten Vermögens, während die ärmere Hälfte gerade einmal 1,3 Prozent ihr eigen nennt. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ausgerechnet.

Dass soziale und ökologische Probleme eng zusammenhängen, lag lange Zeit im toten Winkel der Wahrnehmung. Umweltschutz galt häufig als Frage, um die sich vor allem wohlhabendere Leute mit Zeit kümmern konnten. Fridays-for-Future hat den Ruf, eine Bewegung bürgerlicher Kids zu sein. Auch sind frische Bioprodukte teurer als hochverarbeitete, in Plastik eingeschweißte Fertigware. Wer nicht weiß, was die Kinder an den letzten Tagen des Monats essen sollen, greift notgedrungen zu Lebensmitteln, die vor allem satt machen. Immer wieder weisen Sozialverbände darauf hin, dass Hartz IV nicht ausreicht für Nahrung, die den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entspricht.

Die Gerechtigkeitsfragen

Menschen in solcher Lage haben andere Sorgen als das Insektensterben. Umgekehrt hatte die Umweltbewegung bisher wenig Aufmerksamkeit für materielle Armut, weil sie sich auf Zukunftsszenarien konzentriert: Erhitzt sich die Erde und kommt es zum sechsten Massenaussterben von Arten, entstehen extremste Gerechtigkeitsfragen. Im schlimmsten Fall sind Milliarden von Menschen bedroht.

Aktuell spitzt die Energie-Krise die Lage sowohl auf ökologischer als auch sozialer Ebene weiter zu. Weil der Ausbau von Solaranlagen und Windrädern in den vergangenen Jahren nur schleppend voranging, ist Deutschland stark abhängig von Gas, Kohle und Öl, die das Klima anheizen. Seit aus Russland kein Gas mehr kommt, explodieren die Preise. Die Regierung sieht sich gezwungen, für horrende Summen Ersatz zu organisieren, damit weder die Bevölkerung friert noch die Wirtschaft zusammenbricht. Das wird sehr, sehr teuer – und ist in der gegenwärtigen Situation trotzdem unvermeidlich.

Wären die Milliarden vorher eingesetzt worden, um Mietshäuser zu dämmen und auf den Dächern Solaranlagen zu installieren, hätten die Entlastungspakete viel kleiner ausfallen können. Nun aber sind mehrere hundert Milliarden nötig, um kurzfristig eine Versorgung aufrecht zu erhalten, die klimaschädlich ist und im Prinzip schnellstmöglich überwunden werden muss. Darüber hinaus rettet die Regierung notgedrungen Aktiengesellschaften wie den Energieversorger Uniper mit Staatsgeld, nachdem die Anteilseigner jahrelang massiv abkassiert haben.

Die Klimafragen

Die Reichen haben aber nicht nur mit derartigen Klimakillern viel verdient. Sie haben auch viel mehr als andere zur Katastrophe beigetragen. In Deutschland waren schon im Jahr 2015 die oberen zehn Prozent für mehr CO₂-Ausstoß verantwortlich als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung, wie Oxfam ermittelt hat. Seither ist auch diese Schere noch weiter aufgegangen: Die Zahl der SUVs steigt, Wohlhabende bewohnen große Häuser und jetten überdurchschnittlich oft durch die Welt.

Die größten Profiteure des gegenwärtigen Systems sind also auch überdurchschnittlich für die Öko-Schäden verantwortlich. Deshalb sollten sie nicht nur in der aktuellen Krise die Hauptlast tragen, sondern auch für den nötigen sozial-ökologischen Umbau. Die vor über einem Vierteljahrhundert abgeschaffte Vermögenssteuer müsste schleunigst wieder eingeführt werden.

Soziale Fragen sind auch ökologische – und umgekehrt. Nur zusammen können die sich überlappenden Megakrisen überwunden werden. Bisher haben die Reichen davon profitiert, dass die Zivilgesellschaft die Handlungsfelder meist getrennt beackert hat: Gewerkschaften und Sozialverbände kümmerten sich vor allem um Einkommen, Arbeitsbedingungen und Verteilungsgerechtigkeit, Umweltverbände und Besetzer*innen von Kohlebaggern um Klima- und Artenschutz. "Den Organisationen fehlten die Synapsen zu den je anderen Themen", sagt Thomas Korbun, Leiter des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), dessen Institut eine Studie zum Thema erarbeitet hat. Doch seit zwei bis drei Jahren sind zunehmend Kooperationen und neue Allianzen zu beobachten, die davor undenkbar erschienen.

Das Gemeinschaftsprojekt

ver.di hat im Oktober zusammen mit Greenpeace, Finanzwende, attac und weiteren Organisationen in sechs Städten für solidarisches Handeln in den Krisen demonstriert. Auch bei der Klimaallianz ist ver.di dabei und streitet gemeinsam mit 140 anderen Organisationen für eine ambitionierte und sozial gerechte Klimapolitik. Vor kurzem hat außerdem ein breites Bündnis "zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart" veröffentlicht, das von Armutskonferenz und Diakonie über BUND, Ernährungsrat Berlin und Fridays-for-Future bis zu Aktivist*innen gegen die Braunkohlebagger bei Lützerath reicht.

Noch liegen die neuen Allianzen weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Das muss sich dringend ändern. Denn die Rechten versuchen gerade, die Gaskrise als soziales Thema zu kapern und auf die Straße zu bringen. Das Potenzial für eine progressive Bewegung ist da. Die große Mehrheit in Deutschland will endlich eine wirksame Klimapolitik, wie Umfragen belegen. Zugleich finden zwei Drittel die Bedingungen in Deutschland ungerecht. Nun gilt es andockfähige Strukturen zu schaffen. Für den Umbau gebraucht werden Erfahrungen und Ideen von Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen und Gruppen. Nur als gesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt kann die Transformation in eine gute Zukunft gelingen.

Kluge Fellnasen

Hunde können sich auf ihr Schnüffelorgan verlassen. Sie finden Dinge, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Sogar versteckten Schimmel . Der Mensch merkt erst etwas, wenn es zu spät ist und schwarze Punkte seine Tapete zieren. Dabei hilft meist schon Vorbeugen durch regelmäßiges Lüften. Anderen Problemen oder gar Krisen könnte der Mensch ebenfalls vorbeugen: Wie etwa der Zerstörung der Umwelt, sozialer Ungerechtigkeit oder krisenanfälliger Infrastruktur. All das muss nicht einmal erschnüffelt werden, gesunder Menschenverstand genügt. Manchmal schützt auch ein neues Gesetz. Zum Beispiel gegen überlange Vertragslaufzeiten. Mehr zum Vorbeugen von Schimmel, zum Verbraucherschutz und zum bundesweiten Infrastrukturbedarf in diesem Spezial. Marion Lühring