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Abraumhalde der Kohlemine El Cerrejón, die sich in Gänze über ein Gebiet so groß wie Hamburg erstrecktFoto: Sebastian Sele

Ein Kreisverkehr, keine 20 Kilometer von der kolumbianischen Grenze zu Venezuela entfernt, in der Mitte eine riesige, weiße Schaufel, drei Ausfahrten: Ohne die zweite Ausfahrt, die an einer Bahnstrecke entlangführt, würde es die dritte Ausfahrt, hinter der die Kleinstadt Albania liegt, nicht geben. Am Ende der Bahnstrecke liegt El Cerrejón, die größte Kohlemine Lateinamerikas und eine der größten weltweit. Ihr Abbaugebiet erstreckt sich über 69.000 Hektar, was fast der Fläche von Hamburg entspricht. Der Kreisverkehr – er erzählt eine Geschichte: Ohne El Cerrejón würde Albania nicht existieren.

Die Kohle

Die Kohlemine ist heute nicht mehr nur für Albania von elementarer Bedeutung, sondern auch für Deutschland. Importierte die Bundesrepublik im Jahr 2020 noch fast die Hälfte seiner Steinkohle aus Russland, mussten durch das Einfuhrverbot als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine neue Lieferanten gefunden werden. Nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn erkundigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz telefonisch beim damaligen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque, ob das südamerikanische Land einspringen könne. Kolumbien ist der sechstgrößte Kohleexporteur der Welt.

Wie die Statistik zeigt, folgten den Worten Taten: Machte kolumbianische Kohle 2021 sechs Prozent der deutschen Kohleimporte aus, stieg der Anteil 2022 laut dem Verein der Kohleimporteure auf 16,3 Prozent. Der tatsächliche Anteil dürfte dabei noch höher liegen. Deutschland bezieht seine Kohle auch aus den Niederlanden, die wiederum der zweitgrößte Kunde Kolumbiens sind. Allerdings: Solche Kohleimporte sind wegen ihrer Auswirkungen auf das Klima umstritten – rund 40 Prozent der CO₂-Emissionen im Energiebereich lassen sich auf die Kohle zurückführen. Und Menschenrechtsgruppen sagen zudem: An kolumbianischer Kohle klebt Blut.

Das Wasser

Leobaldo Sierra ist einer von jenen, die ihr Leben dem Kampf gegen die Mine El Cerrejón verschrieben haben. Sierra ist Angehöriger der Wayuu, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens. Er steht der Gemeinschaft El Rocío vor, die wenige Kilometer abseits von Albania liegt. "Wir haben den Kampf gewählt, weil Wasser unser Leben ist", sagt Sierra, während er auf den glasklaren Bach neben ihm zeigt. Sein Wasser sei für Wayuu wie ihn nicht nur zum Trinken, Waschen und für die Viehzucht wichtig, "es ist wie ein Individuum". Die Wayuu glauben, dass das Wasser der Bäche ihres Territoriums beseelt ist, dass es ihnen Kraft gibt und sie beschützt.

Der Arroyo Bruno, der an Leobaldo Sierra vorbeirauscht, steht beispielhaft dafür. Er ist einer der letzten Bäche der Region, die noch in ihrem natürlichen Bachbett verlaufen. Schon etliche solcher Bäche wurden von El Cerrejón umgeleitet oder kanalisiert, auch bereits 3,6 Kilometer des Arroyo Bruno. Als El Cerrejón mit seiner Kanalisierung begonnen hatte, was von der Regierung erst im Nachhinein bewilligt wurde, klagten einige Wayuu. Das Verfassungsgericht entschied: Den Indigenen stehen bei zukünftigen Arbeiten am Arroyo Bruno mehr Mitspracherechte zu. Der Bach wurde zu einem Symbol des Kampfes um sauberes Wasser.

Die Kindersterblichkeit

Für die Wayuu verliert das Trinkwasser durch seine Verwendung in der Mine nicht nur seinen spirituellen Wert. Die Gemeinschaft El Rocío pumpt ihr Wasser zum Trinken, Waschen und für die Landwirtschaft direkt aus dem Arroyo Bruno. Solche Frischwasserquellen sind in der trockenen Region von großer Bedeutung. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fragte im Jahr 2020 mehr als 60 Wayuu-Gemeinschaften in der Gegend nach ihrem Zugang zu Wasser – alle betonten, dass dieser ungenügend sei. Insgesamt 96 Prozent der Befragten gaben an, nur ungenügenden Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben.

Der mangelnde Zugang zu sauberem Trinkwasser führt wiederum zu Krankheiten – und in Kombination mit Unterernährung, die in der Region mit einer Armutsquote von 84 Prozent verbreitet ist, immer wieder auch zum Tod. Human Rights Watch schätzt, dass eines von zehn Wayuu-Kindern an Unterernährung stirbt. Ein Wert, der weit über dem Landesdurchschnitt liegt. Währenddessen verarbeitet El Cerrejón je nach Quelle täglich mehr als 10, 15, 20 oder 30 Millionen Liter Wasser. Das Unternehmen betont, dass 89 Prozent davon sowieso nicht als Trinkwasser genutzt werden könnten.

„Es ist unzumutbar, dass eine Person sieben Tage lang in Zwölf-Stunden-Schichten arbeitet. Das bringt sie an ihre Grenzen – und macht sie deshalb einen Fehler, hat es trotzdem disziplinarische Konsequenzen für sie.“ Juan Carlos Solano Guillen, Gewerkschafter, Anwalt und Psychologe

Trotz des Urteils zum Arroyo Bruno ist noch unklar, wie es mit ihm weitergeht. Die Mine bleibt bei ihrem Standpunkt, dass das Wasser aus dem Arroyo Bruno auch nach dessen Kanalisierung trinkbar sei und dass die Flora und Fauna am Bachbett floriere. Sierra, der fast jeden Tag den Kanal bis zur Mine entlang spaziert, entgegnet: El Cerrejón pflanze zwar Tausende von Bäumen, doch vergesse das Unternehmen rasch wieder, wie und wo sie gepflanzt waren. Viele von ihnen seien längst wieder eingegangen.

Die Gewerkschafter

In Cuestecitas, dem Nachbardorf von Albania, sitzen an einem Donnerstagmorgen zwei Männer an einem Plastiktisch unter einem Wellblechdach. Sie sind auf der Durchreise zu einem Treffen der nationalen Gewerkschaft der Beschäftigten im Steinkohlebergbau, der Sintracarbón. Juan Carlos Solano Guillen und Jorgé Peralta sind sich einig: Nicht nur um die Mine herum läuft einiges schief, sondern auch in ihr. "Es ist unzumutbar, dass eine Person sieben Tage lang in Zwölf-Stunden-Schichten arbeitet", sagt Solano Guillen, Anwalt und Psychologe. "Das bringt sie an ihre Grenzen – und macht sie deshalb einen Fehler, hat es trotzdem disziplinarische Konsequenzen für sie."

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Gewerkschafter Jorge PeraltaFoto: Sebastian Sele

Die Mine beschäftigt rund 10.000 Menschen, knapp die Hälfte davon ist direkt angestellt. Die andere wird über Subunternehmen beschäftigt. Pro Monat mit 21 Arbeitstagen erhalten die Minenangestellten laut Sintracarbón einen Lohn von rund 100 US-Dollar. Die Angst, auch diesen Lohn zu verlieren, so Solano Guillen, sei allgegenwärtig. Ununterbrochen seien Kameras in den Kabinen der Minenfahrzeuge auf die Arbeiter gerichtet. Der Gewerkschafter findet drastische Worte: Die Arbeiter seien überwachte Gefangene eines Unternehmens, das sie eigentlich bloß bezahlen sollte.

Sein Kollege Jorgé Peralta, Anwalt und Verhandlungsführer bei Sintracarbón, sagt: "Es ist wichtig zu verstehen, dass das, was El Cerrejón macht, den kolumbianischen Gesetzen enspricht." Kolumbien sei jahrzehntelang von unternehmensfreundlichen Regierungen regiert worden. "Die Manager von El Cerrejón sind immer wieder in der Regierung gelandet, und umgekehrt", so Peralta. Erst seit August 2022 ist mit Gustavo Petro ein linker Präsident an der Macht, der angekündigt hat, eine soziale und grüne Wende zugunsten der Bevölkerung und des Planeten einzuleiten.

Dennoch regiert aktuell der Pragmatismus: Hatte der Kohleabbau in El Cerrejón vor dem Ukrainekrieg stetig abgenommen, hat die Mine ihre Fördermenge 2022 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Verantwortlich dafür ist auch die gestiegene Nachfrage aus Europa.

Aber wie stehen die Menschen hier eigentlich zu den importierenden europäischen Staaten? Peralta findet klare Worte: "Heuchler." Der Krieg in der Ukraine habe Europa vergessen lassen, wie die Unternehmen hier ihre Kohle herstellen. Hört man sich bei den Anwohnern der Mine um, bekommt man tatsächlich immer wieder zu hören, dass an der Kohle Blut klebe. Auch vom Wayuu-Indigenen Leobaldo Sierra: "Die Kohle bringt uns Leid", sagt er. "Auch wegen der europäischen Länder, die hier Kohle kaufen, auch wegen Deutschland." Als ein Vertreter der deutschen Regierung Sierra vor einigen Monaten gefragt habe, wie er zu Kohleimporten aus Kolumbien stehe, habe er geantwortet: Vielleicht sei es einfacher, sie sofort zu töten, als langsam über die Unterstützung der Mine.

Und als wäre das nicht schlimm genug: Neben der Wasserknappheit und der Armut ist rund um Albania auch die Gewalt omnipräsent. Für Umweltschützer wie Leobaldo Sierra gehört Kolumbien zu den tödlichsten Ländern weltweit.