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27. März 2023 – „Mega-Streik“ von öpnv- und BahnbeschäftigtenFoto: Simon Zamora Martin

"Ich klebe mich nicht auf die Straße", sagt Rika Müller-Vahl auf einer ver.di-Schulung in Berlin Wannsee. Rund 30 ver.di-Mitglieder haben sich getroffen, um gemeinsam die nächste Tarifrunde Nahverkehr (TV-N) vorzubereiten. Dazu eingeladen sind: zwei Aktivistinnen von Fridays for Future (FFF). Eine von ihnen ist Rika Müller-Vahl. "Aber ich kann verstehen", fährt die langjährige FFF-Aktivistin fort, "wenn Menschen das aus Verzweiflung tun." Über Jahre hätten FFF für Klimagerechtigkeit demonstriert, ohne, dass die Massenproteste die Politik groß verändert hätten. "Aber um etwas zu verändern, brauchen wir keine Verzweiflung. Was es braucht, ist ein gemeinsamer Kampf mit euch", sagt Rika. "Ihr seid die Verkehrsexperten, mit denen wir eine Verkehrswende gestalten müssen!"

Die Klimaaktivistin schaut in viele skeptische Gesichter unter den Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs. Einige haben schlechte Erfahrungen gemacht mit Aktivist*innen der "Letzten Generation", die sich vor ihren Bussen auf die Straße kleben. Oder auch mit den Müllbergen auf den Straßen nach den Demos von FFF. Aber als die Klimaaktivistin davon spricht, dass auch E-Busse nicht ohne Fahrer fahren, nicken viele in der Runde.

Eigentlich müsste der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) massiv ausgebaut werden, um auch in den ländlichen Regionen eine schnelle und preiswerte Alternative zum Auto zu bieten. Tatsächlich läuft der ÖPNV eher Gefahr, in den nächsten Jahren auf Grund eines sich verschärfenden Personalmangels zu kollabieren. Nur um das aktuelle Angebot zu halten, müssen bis 2030 nahezu 50 Prozent der circa 150.000 Stellen altersbedingt neu besetzt werden. Für eine Verdopplung der Leistung bräuchte es 70.000 zusätzliche Stellen.

Für die öffentliche Hand war der ÖPNV lange nur eins: ein lästiger Kostenfaktor, bei dem möglichst kräftig gespart wurde. Doch wer will schon als Bus-, Bahnfahrer*in oder im Technischen Dienst Verantwortung für Menschenleben übernehmen, wenn er oder sie in der Privatwirtschaft deutlich mehr verdienen kann?

Die Verkehrswende mitgestalten

Bei einigen Beschäftigten auf dem ver.di-Treffen ist die Skepsis gegenüber den Klimaaktivist*innen groß. "Ich kann mich an Streiks der Berliner Verkehrsbetriebe erinnern", wirft der ver.di-Betriebsgruppensprecher Mirko Köpke ein, "da haben wir vier Busse auf eine Kreuzung gestellt und dicht wars." Ein Raunen geht durch den Raum und entfacht eine kontroverse Diskussion: Streiks und Klimablockaden ließen sich doch nicht vergleichen, meinen die einen. Auch bei Streiks im Verkehr hetzt die Presse, weil Menschen nicht zur Arbeit kommen, entgegnen die anderen. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Am Ende müssen sie die politischen Pläne der Verkehrswende umsetzen. Egal wie diese aussehen. Für Fahrzeugelektriker Mirko Köpke und Klimaaktivistin Rika Müller-Vahl ist klar, dass sie diese Wende mitgestalten wollen.

Wie erfolgreich eine gemeinsame Mobilisierung sein kann, zeigte sich zuletzt während des "Mega-Streikes" am 27. März, als Hunderttausende Beschäftigte von ver.di und der Eisenbahngewerkschaft EVG zusammen für einen gerechten Inflationsausgleich in den größten Streik seit 31 Jahren traten: Nah- und Fernverkehr, Flughäfen, Wasserstraßen und Autobahntunnel: Nichts ging mehr. Mit dabei: "Fridays for Future", die sich in 45 Städten für die Forderungen der Beschäftigten eingesetzt haben – ohne sich dafür festzukleben.