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Solo-Selbstständige an der GeldstrickmaschineFoto: Kay Herschelmann

Von Heike Langenberg

Als Mira Köller 2015 nach Deutschland zurückkam, entschied sie sich für einen Job bei der Volkshochschule (VHS). Arbeitnehmerähnlich ist sie seither bei der VHS Pankow beschäftigt, unterrichtet als selbstständige Dozentin zirka 20 Stunden pro Woche Deutsch als Fremdsprache, vier bis fünf Stunden täglich. Pro Stunde bekommt sie 41 Euro, darin sind aber auch die Zeiten für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts enthalten. Zudem bezahlt die VHS noch den Arbeitnehmeranteil für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie ein Urlaubsentgelt für 23 Tage.

"Letzteres ist nur in Berlin so", sagt sie. Denn hier gibt es seit mehr als 15 Jahren eine Dozent*innenvertretung, die schon einiges für die arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten durchsetzen konnte. Von den insgesamt 4.000 Dozent*innen der VHS Berlin haben rund 800 bis 900 diesen Status. Alle anderen arbeiten auch freiberuflich, sie geben aber meistens nur ab und an mal einen Kurs und sind nicht darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt komplett durch diese Arbeit zu bestreiten.

Durchgesetzt hat die Interessenvertretung etwa die Honorarfortzahlung im Krankheitsfall, Verbesserungen im Krankheitsfall oder bei der Reha, Urlaubsanspruch und auch eine einmalige Zahlung beim Mutterschutz. Extrem wichtig ist der Dozent*innenvertretung der Hinweis, dass sie alles, was sie erreicht haben, gemeinsam mit ver.di durchsetzen konnten. Eine starke Partnerin an der Seite helfe, sei es mit der Betreuung durch einen ver.di-Mitarbeiter, mit Materialien, mit Räumen, in denen sich treffen können, oder bei der Vernetzung.

Festanstellung wäre schön

Mira Köller wäre gerne festangestellt, ebenso wie die meisten ihrer arbeitnehmerähnlichen Kolleg*innen. Das hat eine Umfrage ergeben, die sie bereits 2017 gemacht haben. Aus diesem Grund haben sie sich auch mit den Berliner Musikschullehrer*innen vernetzt, die diesen Schritt bereits durchsetzen konnten. Von deren Erfahrungen können sie jetzt profitieren.

Sich vernetzen, sich austauschen, gemeinsam von Erfahrungen anderer profitieren, dafür gibt auch das Haus der Selbstständigen Raum. "Es ist eine Wertschätzung gegenüber diesen Beschäftigten", sagt Veronika Mirschel, die das Projekt bei ver.di – einem von sieben Projektpartner*innen aus Wissenschaft, Bildung und Hochschulen – bundesweit koordiniert. Die Interessenvertretung soll gestärkt werden, aber auch die einzelnen Solo-Selbstständigen sollen ihren Auftraggeber*innen auf Augenhöhe begegnen können. "Wir wollen ein Bewusstsein schaffen für ein kollektives Vorgehen", sagt Mirschel, denn bedingt durch die Struktur ihrer Arbeit verstünden sich viele Solo-Selbstständige noch eher als Einzelkämpfer*innen.

So wie Sirkka Möller. Sie arbeitet für Filmfestivals wie die Berlinale, auf Honorarbasis. Auch sie ist nach einem Auslandsaufenthalt in die Selbstständigkeit "reingerutscht", wie sie selbst sagt. Meist hat sie im Winterhalbjahr mit der Berlinale und anderen Festivals viel zu tun, "aber das Geld muss auch für die andere Hälfte reichen", sagt sie. Die Honorare muss sie selbst verhandeln. Und dabei stellt sie immer wieder fest, dass gerade Filmfestivals viel Glamour verbreiten, für den Grundbetrieb, zu dem sie ihre Arbeit wie das Sichten von Filmen zählt, aber nur wenig Geld vorhanden ist. Werden die Mittel für die Festivals gekürzt, bleibt die Höhe der Tagessätze oft jahrelang gleich – oder die Zahl der Arbeitstage wird gekürzt.

Virtuelle Räume jederzeit

Die Festivalarbeiter*innen in ver.di haben sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Doch die Zusammenarbeit ist kompliziert. Honorarkräfte begegnen sich selten bei den Festivals. In den Zeiten ihrer Projekte haben sie kaum Zeit, sich um die Arbeit in der AG zu kümmern, oft sind sie unterwegs. "Da sind Videokonferenzen schon eine enorme Erleichterung für die Zusammenarbeit", sagt Möller.

Hinzu komme, dass in Deutschland fast nie über Geld geredet werde. Da helfen die Bildungs- und Vernetzungsmöglichkeiten, die das Haus der Selbstständigen bietet. Auch wenn sie die Ausstattung mit zwei halben Stellen in Berlin für knapp bemessen hält.

Den Namen "Haus der Selbstständigen" findet sie schwierig zu vermitteln, sei es doch kein Haus, in dessen Räumen man sich jederzeit treffen könne. Auch daran werde man arbeiten, sagt Veronika Mirschel. Das virtuelle HDS soll ausgebaut werden, mit Konferenz- und Lernräumen, in denen man sich treffen könne, um sich aktiv zu vernetzen. Mit vielen Angeboten, um gemeinsam mehr durchzusetzen. Dass das funktioniert, zeigen die Festival AG und die Dozent*innenvertretung der Berliner VHS.

Haus der Selbstständigen

Das Haus der Selbstständigen (HDS) unterstützt Solo-Selbstständige und ihre Interessenvertretungen. In den ersten beiden Jahren lag der Schwerpunkt auf Ostdeutschland, das erste Haus der Selbstständigen eröffnete im Herbst 2020 in Leipzig. Aufgebaut wurde und wird ein berufsübergreifendes Vernetzungs- und Weiterbildungsangebot für Solo-Selbstständige und Plattformbeschätigte sowie Beratungsmöglichkeiten zur Bildung von Interessengemeinschaften. Damit solleen Solo-Selbstständige und ihre Belange stärker in die öffentliche und politische Wahrnehmung gerückt werden.

Zu Beginn dieses Jahres startete eine neue, nun vierjährige Laufzeit des Projekts. Zugleich wurde es erweitert, weitere Anlauf- und Begegnungsstätten wurden mittlerweile in Berlin, Köln und Hamburg eröffnet. Damit ist das HDS bundesweit aktiv, das Beratungs- und Bildungsangebot wird ausgebaut.

Gefördert wird das Projekt vom Bundesarbeitsministerium und vom Europäischen Sozialfonds plus. Projektträgerin ist die Input Consulting gGmbH, ver.di ist seit Beginn eine zentrale Partnerin des HdS. Weitere Partner*innen sind das Institut für Arbeitsrecht der Universität Göttingen, die Agentur vor soziale Innovationen Social Impact, Arbeit und Leben NRW, ArbeitGestalten aus Berlin und die Leipziger Kommunikationsagentur zwonull media.

Mehr Infos zum Haus der Selbstständigen und seinen Angeboten sowie zu den verschiedenen Standorten unter hausderselbststaendigen.de