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Diese Geschichte schreit nach ihrer ­Verfilmung: Der Jude Kurt Kleinmann, 28 Jahre alt, hängt 1938 nach dem so­genannten Anschluss Österreichs an Deutschland in Wien fest. Die Verfolgung von Jüdinnen und Juden, ihre Enteignung und Verschleppung, all das wird nun auch in der österreichischen Hauptstadt Alltag. Kurt Kleinmann hat nur ein Ziel: Er will in die USA, wohin schon viele Menschen ausgewandert und in den letzten Jahren immer mehr Juden geflohen sind. Doch so einfach ist das nicht, selbst wenn das Geld für eine Schifffahrt nach New York vorhanden ist. Kurt Kleinmann braucht ein Visum, und dafür muss ihm jemand in Amerika Pate stehen.

Der Bittsteller

In seiner Verzweiflung schreibt Kurt alle Kleinmanns in New York an. Er hat die Hoffnung, dass der gleiche Name und sein Bittbrief irgendeinem Kleinmann in Übersee das Herz erweichen und ihm zu einem Visum verhelfen möge. Ausdrücklich beteuert er, dass er als aufstrebender Jurist keinerlei Geld oder andere Zu­wendung verlange. Er möchte nur ein glückliches Leben in Freiheit leben können. Und tatsächlich: Wochen später erhält Kurt Kleinmann einen Brief aus New York. Absenderin ist Helen Kleinman. Erst wundert sich Kurt über das fehlende „n“ in ihrem Nachnamen. Doch das ist schließlich völlig egal, denn Helen scheint gewillt, ihm zu helfen.

Die Geschichte von Kurt und Helen Kleinman(n) ist eine von 12 Episoden, die in dem neuen Podcast „Exil“ erzählt wird, der aus einer Kooperation des Leo-Baeck-Institute und der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden ist. Die Kleinman(n)-Episode hat alles, was einen guten Plot ausmacht, vor allem viel Spannung, begleitet von einem Wechselbad der Gefühle. Aber niemand hat sich diese Geschichte ausgedacht, es ist eine, die das Leben geschrieben hat, und die einem beim Zuhören komplett rührt, mitfiebern und auch mitzittern lässt, je bedrohlicher die Lage für Kurt unter den Nationalsozialisten wird.

Wie auch in allen anderen bisher erschienenen Folgen des Podcasts ist es die warme und einfühlsame Stimme der Schauspielerin Iris Berben, die den unterschiedlichen Geschichten jüdischen ­Lebens in Deutschland und Österreich, das im Exil endete, wieder Leben einhaucht. Und von den allermeisten dieser wahren Geschichten dürften die meisten Menschen bisher kaum etwas erfahren haben. Selbst die Episode über das Genie Albert Einstein erzählt von einem Aspekt seines Lebens, der öffentlich nur selten beleuchtet wird.

Die Anti-Nazi-Spionin

Mit Furor geht es gleich in der ersten ­Episode los. Sie erzählt von der amerikanischen Jüdin Florence Mendheim, die sich unter die Nazis in Amerika mischte und ihre Netzwerke ausspionierte. Von Minute zu Minute hofft man, dass sie nicht auffliegt und von den Nazis ausgeschaltet wird, denn auch im Ausland zeigten die sich skrupellos und gingen über Leichen. Und so lernt man gleichzeitig auch etwas über die internationalen Umtriebe Hitlerdeutschlands, und dass das Netz, das der russische Präsident Putin aktuell über die Welt gespannt zu haben scheint, nicht erst des Internets und der Sozialen Medien bedurfte. Weltweite ­Propaganda haben ganz offenbar bereits die deutschen Nationalsozialisten beherrscht.

Den Podcast über diese überwiegend unbekannten Geschichten zeichnet zudem aus, wie er den Einzelschicksalen nachgeht. Zwar verfügt das Leo-Baeck-Institute über zahlreiche Dokumente und Hinterlassenschaften jüdischen ­Lebens, mit denen allein sich jede Folge ­hätte bestreiten lassen. Aber die Mache­r*innen haben sich auch auf den Weg gemacht und – wo möglich – Nachfahren ihrer Prota­gonisten aufgespürt, haben mit Histo­riker*innen und anderen Experten gesprochen. So kommt jede Episode auf die eine oder andere Art ihren Protagonisten ganz nah.

Während die Ohren zuhören, macht man sich ein Bild von Kurt und Helen Kleinman(n), von Florence, der Spionin, von Albert Einstein in seinem letzten Sommer in Caputh, von der Kochbuchautorin Alice Urbach, dem Eugeniker Wilhelm Nussbaum und der Künstlerin Lene Schneider-Kainer, um nur einige der Menschen zu nennen, von denen der Podcast erzählt.

Auch Lene Schneider-Kainers Leben hat das Potential zur Verfilmung. Zweimal entkommt sie den Nazis, zunächst in Deutschland, später in Spanien, genaugenommen auf Ibiza. Für ihren Geliebten überlässt sie noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ihren 16-jährigen Sohn von heut‘ auf morgen in Berlin der Obhut einer Haushälterin, um sich auf die Spuren von Marco Polo zu begeben.

Über einen Film, den sie damals mit ­ihrem Liebhaber in Isfahan drehte, hat unlängst ein iranischer Filmemacher eine Dokumentation veröffentlicht. Von der iranischen Zensur wurde er wegen angeblich allzu freizügiger Szenen beschnitten. Man wüsste gerne, was Lene Schneider-Kainer heute über die Situation der Frauen im Iran sagen würde. Wie alle anderen Protagonisten lebt sie leider nicht mehr, aber sie alle haben im Unterschied zu Millionen anderen Jüdinnen und Juden überlebt – im Exil.

EXIL – eine Podcastreihe des Leo-Baeck-Institutes New York | Berlin und der Bundeszentrale für politische Bildung. 12 Episoden abrufbar auf bpb.de/mediathek sowie allen gängigen Plattformen