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Foto: Getty Images / iStockphoto

Seit Wochen brodelt es in den Hallen der Özak Tekstil Fabrik in Urfa im Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze. Was zunächst als interner Konflikt zwischen Geschäftsführung und Beschäftigten begann, hat sich zu einem landesweiten Kampf um Gewerkschaftsfreiheit ent­wickelt. Özak Tekstil wird nun möglicherweise zur Bewährungsprobe für das deutsche Lieferkettengesetz im Textilhandel.

Die Türkei ist der größte Bekleidungsproduzent Europas. Özak Tekstil zählt zu den führenden Produzenten und gilt als eines der 1.000 größten Unternehmen der Türkei. Sie beliefert internationale Marken wie Zara, Levi’s und Hugo Boss – doch gerade hinter ihrem trendbewussten Image offenbaren sich katastrophale Arbeitsbedingungen. Beschäftigte berichten von Arbeitszeiten von bis zu 18 Stunden pro Arbeitstag, Belästigungen, insbesondere gegenüber weiblichen Beschäftigten sowie Bossing, dem systematischen Schikanieren, Drohen oder Demütigen von Mitarbeitenden durch Vorgesetzte.

Während die Beschäftigten im Werk in Istanbul vergleichsweise hohe Löhne erhalten, werden die Näherinnen und ­Näher in Urfa mit dem Mindestlohn von 11.400 Türkische Lira ohne Prämien abgespeist. Das entspricht etwa 330 Euro monatlich und reicht angesichts stark gestiegener Preise nicht zum Leben.

Arbeitskampf auf türkisch

Im November 2023 eskalierte die Situation, als sich 450 der 700 Beschäftigten entschieden, der Gewerkschaft Öz-Iplik-Is den Rücken zu kehren und der kleinen, aber kämpferischen Gewerkschaft der „Vereinigten Textil-, Weberei- und Lederarbeitergewerkschaft“ BIRTEK-SEN beizutreten. Der Öz-Iplik-Is, die als regierungsnah und arbeitgeberfreundlich gilt, werfen die Textilbeschäftigten vor, sie nicht angemessen zu vertreten, vor allem auch auf die Unterdrückung von Frauen in der Fabrik nicht reagiert zu haben.

Als Antwort auf den Gewerkschaftswechsel wurden sie von Öz-Iplik-Is-Mitgliedern und der Werksleitung bedroht, schikaniert und zum Austritt aus der neuen Gewerkschaft BIRTEK-SEN gezwungen. Als eine Kollegin entlassen wurde, die sich weigerte auszutreten, gingen ihre Kolleginnen und Kollegen in einen Ausstand und organisierten einen Sitzstreik vor den Werkstoren. Seitdem herrschte regelrecht Ausnahmezustand in der Fabrik, die Zara und Co. mit Produkten ­versorgt.

Die Streikenden wurden mehrfach verhaftet, es gab gewaltvolle Gendarmerie-Einsätze mit vielen Verletzten auf Seiten der Beschäftigten. Es wurden immer wieder Versammlungsverbote für die Streikenden angeordnet. Schließlich wurden fast 400 Beschäftigte, die sich weigerten, aus der Gewerkschaft auszutreten und sich nicht einschüchtern ließen, fristlos gekündigt und auf eine schwarze Liste gesetzt.

Der Arbeitskampf bei Özak Tekstil dauerte 80 Tage. Mittlerweile haben 376 der gekündigten Kolleg*innen eine außergerichtliche Einigung geschlossen und eine Abfindung erhalten. Immerhin ein Teil-erfolg. Sie haben damit zugestimmt, auf weitere Schritte zu verzichten. Insgesamt 24 Beschäftigte führen noch Wieder­einstellungsklagen. Die Dauer dieser ­Prozesse wird auf 3-4 Jahre geschätzt.

Unternehmertum ­verpflichtet

Unternehmen wie Zara, die bei Özak Tekstil produzieren lassen, haben sich bisher nicht zur Situation geäußert. Nur Levi’s hat auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau eine knappe Stellungnahme abgegeben und betont, die Anschuldigungen ernst zu nehmen. Für Levi’s und Co. hieße das, sicherzustellen, dass ihre Zulieferer die Menschenrechte respektieren und angemessene Arbeitsbedingungen bieten. Und dass sie einmal jährlich eine Risikoanalyse in ihrem eigenen Geschäftsbereich und bei direkten Zulieferern durchführen, bei mittelbaren Zulieferern dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für mögliche Rechtsverletzungen vorliegen.

Adem Öktem, Vorsitzender des ver.diBundesmigrationsausschuss berichtet: „Ich war vor Ort und habe erlebt, welchen Umgang unsere Kolleg*innen erleben müssen. Levi‘s und Zara stehen in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass ihre teuren Markenprodukte menschenwürdig hergestellt werden und gerechtfertigter Protest ermöglicht wird. Davon ist der - seit vielen Monaten unter staatlicher Schutzbegleitung stehende - Auftragnehmer Özak meilenweit entfernt. Unser deutsches Lieferkettengesetz wird vollständig ignoriert.“

Das deutsche Lieferkettengesetz ist seit Januar 2023 in Kraft, seit Januar 2024 auch für Unternehmen mit einer Niederlassung in Deutschland und mindestens 1.000 hier Beschäftigten. Sie sind verpflichtet, Menschenrechtsstandards entlang ihrer Lieferkette einzuhalten. Dazu zählen auch die Koalitionsfreiheit, das Einsatzverbot von Sicherheitskräften, die exzessive Gewalt anwenden, ein Diskriminierungsverbot sowie die Gewährleistung angemessener Löhne. Eine Anwendung des Lieferkettengesetzes auf den Fall Özak Tekstil könnte also weitreichende Folgen haben. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben, sondern wirksame Maßnahmen ergreifen.

Was Betriebs-, Personal- und Aufsichtsräte wissen müssen und wie sie sich aktiv bei der Entwicklung von Standards entlang der Lieferkette in ihren ­Unternehmen einbringen können, haben wir hier zusammengefasst: kurzelinks.de/bnbo