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Foto: Marcel Wolf

André Hansen arbeitet seit 2016 als freiberuflicher Übersetzer literarischer und fachlicher Texte aus dem Englischen, Französischen und Italienischen und ist im "Verband deutschsprachiger Übersetzer*innen literarischer und wissenschaftlicher Werke" in ver.di aktiv. In den vergangenen Jahren hat sich Hansen gemeinsam mit Kolleg*innen intensiv mit dem Einsatz von Übersetzungs-Software, insbesondere dem Programm "DeepL" beschäftigt. Im Interview berichtet er über die Grenzen und Möglichkeiten dieser Software, die allgemein der Kategorie "Künstliche Intelligenz" zugerechnet wird.

ver.di publik: Mit 14 Übersetzer*innen haben Sie DeepL getestet. Steht die Branche kurz vor der Ablösung durch KI?

André Hansen: Ganz sicher nicht. DeepL ist längst nicht so gut, dass es ohne weiteres für Übersetzungen genutzt werden könnte. Gerade bei längeren Texten zeigte sich, wieviel Nachbearbeitung nötig ist. KI arbeitet mit statistischen Wahrscheinlichkeiten. Das heißt, je mehr Daten sie nutzt, desto ansprechender das Ergebnis. Doch das bedeutet kein Verständnis des Textes. Gerade beim Übersetzen literarischer Texte stößt die KI deshalb sehr schnell an ihre Grenzen.

Wie sah das in den Experimenten konkret aus?

14 Kolleg*innen haben in der Zeit von März bis Mai 2023 den Anfang von Aubrey Gordons "What We Don't Talk About When We Talk About Fat" sowie einen Ausschnitt aus Melissa Fergusons Unterhaltungsroman "Meet Me in the Margins" mit Hilfe von DeepL übersetzt und die KI dabei unter bestimmten Aspekten arbeiten lassen – als Rohübersetzer oder etwa als Wörterbuch. Wichtig ist mir zu betonen, dass alle Übersetzer*innen im Projekt technikaffin waren und der KI nicht etwa feindlich gegenüberstanden.

Die Grenzen von DeepL traten auf jeden Fall schnell zutage. So spart der Einsatz einer solchen KI keine Zeit beim Übersetzen, sondern erfordert eher mehr Nachbearbeitung als eine menschliche Rohübersetzung. Ein wichtiger Grund insbesondere bei literarischen Texten liegt in der KI begründet: Sie kann Ironie, Sprachbilder, Doppelbedeutungen nicht genau erkennen und bietet entsprechend falsche oder zumindest schiefe Übersetzungen an.

Generell versucht DeepL glatte und gefällige Texte zu erzeugen, was vielen literarischen Vorlagen überhaupt nicht gerecht wird. Von uns Übersetzer*innen wird schließlich erwartet, dass wir sperrige Begriffe oder einen rauen Text adäquat ins Deutsche übersetzen und nicht glattbügeln. Deshalb ist die KI zunächst einmal keine Konkurrenz für uns.

Trotzdem warnen Sie vor den möglichen Auswirkungen des vermehrten Einsatzes von KI beim Übersetzen, wie erst kürzlich bei der ver.di KI-Veranstaltung. Welche Gefahren gehen mit DeepL und Co einher?

Sicher kann KI auch in unserer Branche den Druck auf die Honorare erhöhen. Wenn Verlage sie als brauchbares Hilfsmittel einstufen, das die Arbeit erleichtert, dann wäre das eine denkbare Negativentwicklung. Passiert ist so etwas schon im Bereich des Fachübersetzens, wo der KI-Einsatz vorgegeben und engmaschig kontrolliert wurde. Das lief darauf hinaus, dass diese Übersetzer*innen nur für Änderungen bezahlt wurden, nicht für den übersetzten Text als Ganzes. Bisher sind solche ausbeuterischen Verhältnisse noch nicht im großen Stil bekannt geworden, aber sicher zeigt sich hier eine potenzielle Gefahr.

Sie haben mit zwei Kolleg*innen das Projekt zur Untersuchung von KI beim Übersetzen angeschoben. Die Webseite dazu nennen Sie allerdings "Kollektive Intelligenz". Wieso?

Letztlich geht KI auf die kollektive intellektuelle Leistung sehr vieler Menschen zurück, die alle einen Input an Daten liefern, auf den wiederum die KI zurückgreift. Es ist sicher sinnvoll, sich immer wieder klarzumachen, dass diese weiter entwickelte Software ihren Ursprung in menschlichen Informationen hat, ohne wie ein Mensch sein zu können.

Ihr Experiment wurde aus einem speziellen Programm der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert, war aber zu großen Teilen ehrenamtlich. Warum haben Sie und Ihre Kolleg*innen diesen hohen Aufwand auf sich genommen?

Es ist wichtig, sich mit der KI und ihren Einsatzmöglichkeiten auszukennen. Nur so können wir auch gegenüber den Verlagen qualifiziert argumentieren und weiterhin selbst entscheiden, an welchen Stellen wir etwa DeepL für eine Rohübersetzung einsetzen wollen und wo nicht. Letztlich kann nur gut verhandeln, wer sich mit der Materie auskennt. Da wir Übersetzer*innen fast ausschließlich freiberuflich arbeiten und für unsere Arbeitsbedingungen sowie eine angemessene Honorierung ständig kämpfen müssen, bedeutet der kundige und frühzeitige Umgang mit KI, gewappnet zu sein, bevor man uns eine unsachgemäße Nutzung von DeepL oder ähnlichem aufzwingen kann. Interview: Gudrun Giese

Weitere Infos: kollektive-intelligenz.de

Tipp: ver.di bietet eine regelmäßige KI-Online-Veranstaltung an. Sie ist offen für alle Mitglieder. Bisher ging es umKompetenzen für KI , Praxisberichte und Beispiele für die betriebliche Gestaltung, Fragen der Normung , lernende Systeme und ethische Leitlinien der Gewerkschaften. Dokumentation und Anmeldung: innovation-gute-arbeit.verdi.de/ themen/digitale-arbeit