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Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen mit prominenten GesichternFoto: Claudia Greco/AAPimages

Am 24. April ist „National Rape Day” – Nati­onaler Vergewaltigungstag. Das ist kein Scherz. Seit 2021 kursiert ein Video auf der Plattform TikTok, in dem dazu aufgefordert wird, am 24. April junge Frauen und Mädchen anzufassen und zu belästigen, weil diese Übergriffe an diesem Tag angeblich nicht bestraft würden. Natür­lich ist die Behauptung falsch. ­Sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind nach deutschem Recht Straftaten an jedem Tag und zu jeder Zeit. Doch das Video und die Gerüchte halten sich hartnäckig und sind nicht nur ekelhaft und ein geschmackloser „Witz” – sie zeigen, wie salonfähig Gewalt an Frauen noch ist.

Die letzte großangelegte europaweite ­Erhebung, die die geschlechtsspezifische Gewalt in Europa vergleicht, wurde 2014 veröffentlicht. Der nächste Bericht wird erst im Laufe dieses Jahres erwartet. Hinzu kommt: Einige Länder weisen geschlechtsspezifische Gewalt in ihren Statistiken nicht einmal aus. Sowohl für die Forschung als auch für die politische Entscheidungsfindung ist der Mangel an ­aktuellen Daten ein großes Problem.

Die Agentur für Grundrechte der Europäischen Union hatte in der Studie von 2014 festgestellt, dass jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfährt. Das entspricht etwa 62 Millionen Frauen in Europa. Allein 2022 wurden mehr als 2.300 Frauen von ihrem Partner oder ­einem Familienmitglied getötet. Bereits am 8. März 2022 hat die Europäische Kommission deshalb einen Richtlinienentwurf zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt eingebracht, am 9. Juni 2023 wurde er weitestgehend angenommen. Mit der Richtlinie werden körperliche Gewalt sowie psychische, wirtschaftliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen in der gesamten EU sowohl offline als auch online unter Strafe gestellt, einschließlich des nicht einvernehmlichen Austauschs von intimen Bildern, Cyberstalking, ­Cyber-Belästigung und frauenfeindlicher Hetze. Verstümmelung weiblicher Genitalien und Zwangsehen werden als eigenständige Straftaten unter Strafe gestellt.

Ja, nein, jein?

Zentrales Element der EU-Richtlinie war zunächst auch der Tatbestand der Vergewaltigung. Die EU wollte eine strengere Regelung einführen, bei der nur eine ausdrückliche Zustimmung („Nur ja heißt ja“) als Einwilligung gilt. Das haben einige EU-Staaten, darunter Deutschland, blockiert. Es hätte eine erhebliche Verschärfung im Vergleich zum deutschen Recht dargestellt, das seit 2016 nach dem Prinzip „Nein heißt Nein“ urteilt, wonach sexuelle Handlungen als Vergewaltigung gelten, wenn sie gegen den erkennbaren Willen einer Person erfolgen.

Paola Panzeri, Vizepräsidentin des Frauen­komitees des Europäischen Gewerkschaftsbundes, sieht in der so abgeschwächten EU-Richtlinie ein deutliches Zeichen für fehlenden politischen Willen beim Thema Vergewaltigung. Besorgt ist sie auch darüber, dass das Thema Gewalt am Arbeitsplatz weitgehend ignoriert wird. Sie betont, dass „Arbeit“ nicht nur das Büro umfasst, sondern insbesondere im Kontext von Telearbeit auch das Zuhause. „Cybermobbing und Bedrohungen am Arbeitsplatz stellen ganz reale und ernste Probleme dar, Gewerkschaften können auch hier im sozialen Dialog sowie bei der Implementierung von Schutzmaßnahmen durch Kollektivverhandlungen eine entscheidende Rolle spielen”, so die Italienerin.

Ihr Heimatland Italien garantiert beispielsweise einen gesetzlichen Mindestanspruch auf bezahlten Urlaub für Gewaltopfer, der durch Tarifverhandlungen um zusätzliche Rechte ergänzt wurde. Alexa Wolfstädter, bei ver.di zuständig für Frauen- und Gleichstellungspolitik, sieht hier ebenfalls großes Potenzial: „Der Arbeitsplatz ist ein wichtiger Ort, um auch über häusliche beziehungsweise Partnerschaftsgewalt zu informieren und Betroffene dabei zu unterstützen, sich Hilfe zu suchen. Statistisch gesehen haben fast alle von uns Kolleginnen, die betroffen sind. In Deutschland gibt es Verbände und Beratungsstellen, die für Betroffene da sind und kostenfrei Infomaterialien auch für den Betrieb bereitstellen, zum Beispiel das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“.

Vertrauensleute schulen

Die ver.di-Frauen bieten zudem eine neue Muster-Betriebs-/Dienstvereinbarung zum Thema an, haben vielfältige Flyer im Angebot und sind immer ansprechbar für die Erarbeitung guter betrieblicher Regelungen. „Regelungen gegen geschlechtsspezifische Gewalt und insbesondere sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auch in Deutschland in Tarifverträgen zu verhandeln, wäre natürlich ein sinnvoller, zusätzlicher Weg, um Frauen zu schützen und zu unterstützen“, sagt die Gewerkschafterin.

Für ver.di könnte insbesondere die Schulung von Vertrauensleuten richtungsweisend sein. Auch hier macht es Italien vor. Die Kooperation dort mit der Organisation „Differenza Donna“ ermöglicht es den Gewerkschaften, Strukturen in Unternehmen zu schaffen, die die Beschäftigten vor Gewalt schützen.

Seit ihrer Gründung am 6. März 1989 in Rom hat sich Differenza Donna dem Ziel verschrieben, geschlechtsspezifische Gewalt aufzudecken, zu bekämpfen, zu verhindern und zu überwinden. Die Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und Differenza Donna sieht vor, dass am Arbeitsplatz Unterstützung für Personen angeboten wird, die Gewalt erfahren haben, um ihnen zu helfen, aus der Situation der Gewalt, ob im familiären Umfeld oder am Arbeitsplatz, auszubrechen.

Paola Panzeri sagt, dass die Italienische Gewerkschaft CGIL ein Abkommen mit Differenza Donna geschlossen hat, das betroffenen Personen Unterstützung ermöglicht. „Die CGIL hat erkannt, dass sie die benötigten Mittel für diese Arbeit ­allein nicht aufbringen kann, und hat ­daher die Partnerschaft geschlossen, die es Betroffenen erlaubt, zur Gewerkschaft zu kommen, damit sie begleitet und unterstützt werden können.“ Die Partner­organisation verfüge über Fachpersonen, die in der Lage seien, bei Bedarf zu intervenieren und vor allem Vertrauensleute auszubilden.

Unterstützung finden

Genau das sei ein wesentlicher Teil der Strategie, sagt Lara Verbigrazia. Sie ist Vize­präsidentin des Frauenausschusses für Gender und Gleichstellung des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGÖD und bei CGIL für Gleichstellungspolitik zuständig. „Ein einjähriges Ausbildungsprogramm für die Vertrauensleute ist wesentlich, um sie darin zu schulen, wie sie Gewalt erkennen und Hilfe leisten können. Ziel sei es, nicht selbst die Rolle des Helfers zu übernehmen, sondern als Verbindungsglied zu fungieren, um die Ressourcen der Gewerkschaft und das lokale Personal effektiv einzusetzen, damit Frauen Unterstützung finden.“

Bereits das Aufhängen von Plakaten am Arbeitsplatz habe ausgereicht, um erste Hinweise von Betroffenen zu erhalten, sagt Lara Verbigrazia und betont die Notwendigkeit, weitere Anreize zu schaffen, um diejenigen in der Umgebung, die bereits gegen Gewalt aktiv sind, zur Zusammenarbeit zu motivieren.