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Foto: Andia/Visum

Seit langem streitet ver.di für bessere ­Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung in der Altenpflege. Denn die Kommerzialisierung der Branche hat verheerende Auswirkungen. Insbesondere private Träger, denen fast die Hälfte der Einrichtungen gehört, haben nur selten Tarifverträge. Hilfe könnte nun aus Brüssel kommen: Mit ihrer Pflegestrategie fordert die EU die nationalen Regierungen auf zu handeln. Sie sollen für einen guten und bezahlbaren Zugang zu Pflege­leistungen sorgen – und für eine höhere Tarifbindung.

„Die 2022 beschlossene Pflegestrategie ist ein Beispiel dafür, wie die EU uns Beschäftigten konkret nützt“, sagt Ilka Steck von der Evangelischen Heimstiftung Baden-Württemberg. Am 8. April konnte die Altenpflegerin im EU-Parlament sprechen, um auf die prekäre Situation in der Branche hinzuweisen. „Bis 2025 wird die Zahl der Menschen in der Europäischen Union, die auf Pflegedienste angewiesen sind, um 7 auf 38 Millionen steigen – eine enorme Herausforderung, die sich nur bewältigen lässt, wenn der Pflegeberuf deutlich aufgewertet wird.“ Doch stattdessen hätten profitorientierte Konzerne und Finanzinvestoren die Altenpflege für sich entdeckt. „Da werden auf dem ­Rücken pflegebedürftiger Menschen und der Beschäftigten Gewinne maximiert. Die Versorgung steht dann höchstens noch an zweiter Stelle“, kritisiert die Gewerkschafterin.

Deutlich geworden ist das zuletzt unter anderem durch die Insolvenz von Pflegeketten mit Namen wie Convivo und ­Curata, deren auf Expansion und Niedrig­löhne basierendes Geschäftsmodell plötzlich nicht mehr aufging. Die Folge: Das Zuhause zehntausender pflegebedürftiger Menschen stand plötzlich auf dem Spiel, tausende Beschäftigte bangten um ihre Arbeit. „Versorgungsverträge sollten nur noch mit gemeinwohlorientierten Einrichtungen geschlossen werden“, so die Schlussfolgerung der Leiterin des ver.di-Bereichs Gesundheitspolitik, Grit Genster.

Für eine „Solidarische Pflegegarantie“

„Und es braucht verbindliche und bedarfsgerechte Personalschlüssel sowie eine flächendeckende Tarifbindung. Das würde der Profitorientierung den Boden entziehen und eine flächendeckend gute Versorgung ermöglichen.“

Das sind auch die Ziele der EU-Pflegestrategie und mit ihr einhergehender Empfehlungen: Die nationalen Regierungen sollen Maßnahmen ergreifen, um eine hochwertige Pflegequalität zu sichern und die Tarifbindung zu stärken. Bis Juni 2024 muss die Bundesregierung einen entsprechenden Aktionsplan vorlegen. „Die noch unter CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geschaffene sogenannte Tariflohnpflicht, reicht dafür nicht aus“, stellt Grit Genster klar. „Sie hat zwar die Entlohnung in einigen Einrichtungen etwas verbessert, sie schafft jedoch keinen konkreten Anspruch auf bessere Bezahlung, beinhaltet etliche Schlupflöcher und erhöht die Tarifbindung nicht.“

Ilka Steck ist ebenfalls überzeugt, dass die Bundesregierung deutlich mehr ­machen muss, um die Vorgaben aus ­Brüssel zu erfüllen. Das gelte auch für die geforderte „angemessene und nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflege“. Die Gesetzlichen Krankenkassen warnten jüngst vor dem nahenden Kollaps der ­Sozialen Pflegeversicherung, falls diese nicht grundlegend reformiert werde. Zudem werden immer mehr Bewohner*innen von Pflegeheimen durch steigende Eigenbeiträge überfordert.

„Unsere Antwort darauf ist eine Solidarische Pflegegarantie, bei der die Pflegeversicherung alle pflegebedingten Kosten abdeckt und solidarisch von allen Einkommensgruppen finanziert wird“, sagt Steck, die sich seit einigen Jahren auch in der europäischen Gewerkschaftsarbeit engagiert. „Die Pflegestrategie der EU hilft uns, für unsere Positionen Unterstützung zu gewinnen.“ Sie macht klar: Ein „Weiter so“ kann es in der Pflege nicht geben – in Deutschland und in ganz Europa nicht.